The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart
nicht ausreichend anständig bezahlte Auftritte kriegen“, erinnert sich Betty, „bis ich Bob Druce kontaktierte.“
Bob Druce führte die lokale Veranstaltungsagentur Commercial Entertainments, für die Doug schon gelegentlich als Sessionmusiker gearbeitet hatte, bevor er zu den Detours gestoßen war. Die Agentur unterhielt einen festen Kreis von fünfzehn bis zwanzig Veranstaltungsorten in und um West-London, wofür sie vertraglich verpflichtete Bands nach einem rotierenden Wochenplan einsetzte. Dieser wandernde Rock’n’Roll-Zirkus bediente vorrangig die größeren Klubs und Bars mit Tanzflächen wie das White Hart Hotel in Acton, den Goldhawk Road Social Club in Rogers früherem Wohnviertel Shepherd’s Bush oder das Oldfield Hotel im West-Londoner Vorort Greenford – Namen und Adressen, die jedem rockhistorisch bewanderten Who-Fan wohlige Schauer über den Rücken jagen, gelten sie doch als Weihestätten, wo ihre Helden bedeutende Begegnungen hatten und wegweisende Schritte unternahmen.
Betty hatte mit Druce einen Vorspieltermin für Anfang November im Oldfield Hotel arrangieren können. Falls Druce, der wichtigste Promoter der Szene, die Band unter Vertrag nahm, bedeutete das den ersten wirklichen Schritt zu einer professionellen Karriere: fest zugesicherte Auftritte bei regelmäßigem Salär.
Die Gruppe erschien pünktlich im Oldfield Hotel, von Betty gefahren, wie die einen sagen, von Doug transportiert, wie dieser behauptet: „Ich mietete den Lieferwagen, weil Betty keine Zeit hatte. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so aufgeregt war wie Roger an diesem Abend. Und Pete war weiß wie ein Blatt Papier“, erinnert sich der ehemalige Schlagzeuger, der seine Bandkollegen zu beruhigen versuchte: „Ich sagte ihnen, wenn wir den Job kriegen, ist es gut. Wenn nicht, bekommen wir halt einen anderen.“
Im Oldfield Hotel traten an diesem Abend The Bel-Airs auf, eine der bekanntesten Bands im Portfolio von Bob Druce, die hauptsächlich Countrysongs zum besten gab. Das war keine gute Voraussetzung für die Detours, die normalerweise lieber für ein progressives Publikum spielten. Ein Glück, dass die Band so vielseitig war und auf Rogers Wunsch einige Nummern von Johnny Cash ins Programm genommen hatte.
In einer Pause kletterten die Detours auf die Bühne. Sie benutzten nach einhelliger Meinung das Equipment der Bel-Airs, womit zumindest fraglich wäre, wozu Doug einen Transporter gemietet haben will. Jedenfalls spielten sie die vereinbarten drei oder vier Songs, und am Ende rief der Anheizer – vermutlich war es Lou Hunt, der für die Geschichte der Who noch eine wichtige Rolle spielen sollte – ins klatschende Publikum: „Was haltet ihr von den Jungs? Wollt ihr sie noch mal hören?“
Der Applaus nahm hörbar zu, woraufhin Druce einwilligte, die Gruppe unter Vertrag zu nehmen – ein großer Erfolg für die jungen Bandmitglieder und ein erfreulicher Ausblick für den alten Hasen Doug, der Musik zwar nicht als berufliche Perspektive betrachtete, aber als interessantes bezahltes Hobby, mit dem man durchaus dem Alltag eines Handwerkers entfliehen konnte. „Wir waren schon richtig bekannt im Viertel und hatten unsere Fans. Die Mädchen legten uns gern Geschenke in den Transporter, kleine Puppen und solche Sachen“, erzählt Doug. „Meine Frau weigerte sich schließlich, mit mir einkaufen zu gehen, weil ich überall angesprochen wurde.“ Eines der ersten Engagements für Druce führte The Detours nach Kent in das Seniorenkurbad Broadstairs. Schon die Fahrt dorthin war recht beschwerlich, wie Roger erzählt: „Es war ein verfluchter Alptraum. John, Pete und ich fuhren mit Betty. Pete saß vorn neben ihr, und wir anderen lagen hinten auf unseren Verstärkern, die Decke kaum zehn Zentimeter über unseren Köpfen, den ganzen langen Weg nach Broadstairs.“
Am Auftrittsort selbst erwartete die Band ein kaum adäquates Publikum. John berichtet: „Es gab dort vielleicht gerade mal sechzehn Kids unter fünfundzwanzig. Ich erinnere mich gut an unseren ersten Auftritt. Wir kamen spät an, und niemand war da. Als wir die Ausrüstung ausluden, tauchte endlich ein Animateur auf, und wir dachten, toll, der bringt unser Publikum. Aber dann ging er raus und begann, Rollstühle auszuladen. Druce schickte uns Ewigkeiten jede Woche dorthin.“ Der Touragent Bob Druce galt neben seiner erfolgreichen Vermittlungstätigkeit auch als „Mister-Ten-Percent“, der sich nicht scheute, von der Band ein zweites Mal für nicht näher definierte Manageraufgaben zu kassieren, indem er einen „Exklusivvertrag“ vorlegte. Damit wären die Detours in jedem Fall an Commercial Entertainment gebunden und zu Provisionszahlungen verpflichtet gewesen, gleich ob sie an einem von der Agentur vermittelten Ort spielten oder nicht. Als Touragent legte Druce der Band auch das Geld für ihren ersten eigenen Transporter aus, den Roger für hundertfünfzehn Pfund aufgetrieben hatte. Druce zog den Detours dafür jede Woche zehn Pfund vom eingespielten Honorar ab. Die Eltern der noch nicht volljährigen Musiker Pete, John und Roger verweigerten ihre Unterschrift unter diesen Knebelvertrag. Das hieß, dass The Detours auch weiterhin eigene Auftritte annehmen konnten, ohne Provisionen an die Agentur abführen zu müssen.
Diese Regelung zahlte sich aus. Betty hatte einen weiteren Bekannten, Lesley Douglas, der sie und Cliff einst zusammengeführt hatte und in dessen Band beide aufgetreten waren. Douglas betrieb mittlerweile einen exklusiven Klub für amerikanische GIs; Cliff spielte gelegentlich dort, und nun brachte Betty auch die Band ihres Sohns dort unter, im Douglas House, am Lancaster Gate am Hyde Park. Douglas bezahlte für einen zweistündigen Auftritt der Detours jeden Sonntag von 13 bis 15 Uhr die damals sagenhafte Summe von zwanzig Pfund.
Zusammen mit diesem Sahnehäubchen, mit den weiterhin stattfindenden Auftritten bei Partys, Hochzeiten oder Bar Mizwahs, und natürlich dank der regelmäßigen Tanzabende für Druces Agentur, schaffte es die Gruppe, nach Abzug aller Unkosten rund zwölf Pfund pro Mann und Woche einzunehmen – etwa das Doppelte bis Dreifache, was ein Lehrling oder einfacher Arbeiter um diese Zeit als Wochenlohn erhielt.
Nicht nur Doug und Roger waren von diesen finanziellen Möglichkeiten begeistert, sondern vor allem auch Pete, der sein Studium bis dahin mit Nebenjobs finanziert hatte, indem er Milch und Wurst auslieferte. Sein Leben hatte sich in den vergangenen fünfzehn Monaten radikal verändert: „Ich konnte es kaum fassen“, erzählt er in der Biografie von Richard Barnes. „Es war so eine großartige Zeit für mich. Die Kunst setzte meine Kreativität in Gang und half mir, bewusst nachzudenken. Die Kunsthochschule war wie eine Offenbarung für mich nach dem letzten Schuljahr an der Grammar School, wo ich ausgestoßen war. Ich erkannte, dass ich nirgendwohin kommen würde mit meiner Introvertiertheit, sondern dass ich extrovertiert werden musste – und genau das tat ich.“
Richard Barnes, der ebenfalls an der Ealing Art School studierte und Pete dort kennenlernte, beschreibt, wie sein Kommilitone, anfangs noch zögerlich und voller Komplexe wegen seiner großen Nase, die ersten Kontakte knüpft und sich immer gekonnter im neuen Milieu in Szene setzt:
„Die Ealing Art School war eine sehr ungewöhnliche Kunsthochschule. Diese normalerweise eher gesetzte und konservative Institution hatte im selben Jahr einen neuen Rektor bekommen, in dem Pete sich dort einschrieb. Die meisten Dozenten waren durch junge Sechzigerjahredesigner und -künstler ersetzt worden, und man war gerade dabei, ein neues Experiment in der Kunsterziehung zu beginnen, das auf Kybernetik basieren sollte. Kybernetik als Studium von Kontrollsystemen und Kommunikation in so unterschiedlichen Dingen wie Tieren, Rechenmaschinen oder Ökonomie – es war ein kleines Rätsel, was diese obskure Wissenschaft mit Kunst und Design zu tun haben sollte. Aber der Rektor beharrte darauf, dass Kunst mehr sei als nur ein ‚paar alte Äpfel auf Tischen‘“.
Tatsächlich mussten die Studenten allerlei seltsame Projekte in Angriff nehmen. Eines zeigte den davon offenbar höchst inspirierten Pete Townshend einige Wochen lang in einem Wägelchen aus Orangenkisten durch die Flure rollen und dabei rätselhafte Töne ausstoßen, womit die physische Behinderung eines Menschen ohne Beine simuliert werden sollte, der sich in einem fremden Alphabet verständigen musste: „Die Dozenten erwarteten so etwas von uns, und sie wollten Erklärungen für alles. Sie waren sehr akademisch“, erzählt Pete.
Die englischen Kunstschulen scheinen damals eine Brutstätte für angehende Rockstars gewesen zu sein. An Petes Ealing Art School studierten unter anderem Ron Wood und Freddy Mercury; aber auch John Lennon, Eric Clapton, Ray Davies, David Bowie und Keith Richard waren an englischen Kunstschulen eingeschrieben, ehe sie sich vollständig der Musik zuwandten.
Keith Richard meinte einmal: „Ich lernte an der Kunsthochschule