The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock I - Christoph Geisselhart


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dass er die tägliche Routine nicht lang durchhalten konnte,­ aber er brauchte Geld, um sich ein Schlagzeug zu kaufen und seinen ­Status­ als Dandy und modebewusster Stutzer aufrecht zu erhalten.

      Bei seinen Wanderungen durch die Londoner Szeneviertel hatte Keith schon das passende Outfit für seine Träume entdeckt: einen echten Bühnenanzug aus Goldlamé. Das exquisite und reichlich extravagante Teil hing vorerst weit außerhalb seiner Reichweite im Schaufenster des für exklusive Klientel und pompöse Designs gerühmten Bühnenausstatters Cecil Gee. Das Teil kostete ein Vermögen. Doch Keith, plötzlich überraschend bodenständig in seinen himmelhohen Imaginationen, trug allwöchentlich ein Pfund in die Wardour Street und ließ sich den goldenen Anzug schon mal anpassen. „Eines Tages werde ich ihn auf der Bühne tragen“, prognostizierte er seinem Freund Gerry, der so ein protziges Glitzer­gewand nicht einmal zum Kostümball angezogen hätte. Doch Gerry wusste: Wenn jemand den Mut besaß, in dieser glitzernden Montur auf der Bühne Schlagzeug zu spielen, dann Keith Moon.

      Gerry hatte sich inzwischen als Verkäufer merklich weiter entwickelt. Er verdiente jetzt besser, hatte aber immer weniger Zeit für den Freund. Als Keith eines Samstags in den Paramount Music Shop schaute, nahm er ihn beiseite und zeigte­ auf ein glitzerndes silberblaues Schlagzeug: „Siehst du das wunderschöne Premier-Kit da drüben? So gut wie neu. Das wäre das ideale Schlagzeug für dich. Ich kann’s dir für fünfundsiebzig Pfund anbieten.“

      Ein Schlagzeug! Für fünfundsiebzig Pfund! Keith ging fast in die Knie. Er hatte gerade erst angefangen zu arbeiten, und fünfundsiebzig Pfund entsprachen dem Lohn von vier Monaten! Aber der Preis schien mehr als verführerisch. Laut damaliger Preisliste kostete ein Premier-Kit „55“, wie Keith es erwarb, neu insgesamt über fünfhundert Pfund. Insofern war es wirklich ein außergewöhnlich gutes Angebot, das Gerry seinem Freund machte. Nur: Wie sollte er es bezahlen?

      Gerry meinte: „Keine Sorge, ich hab’ mit meinem Chef gesprochen. Du kannst fünfzehn Pfund anzahlen, und den Rest machst du in Raten. Da merkst du gar nicht, dass du dafür bezahlst.“

      Auf diese Weise wurde Keith Moon eines der ersten Opfer des in England gerade­ aufkommenden Kreditkaufunwesens. Da er nicht volljährig war, benötigte­ Gerry die Unterschrift eines Elternteils. Keith brachte seinen Vater dazu, für den Betrag zu bürgen (und natürlich letztlich dafür aufzukommen), und Gerry war erleichtert, dass sich seine heimliche Befürchtung, Keith werde die Signatur seines Vaters fälschen, als unzutreffend erwies.

      Er half dem Freund, das in Dutzende Schachteln verpackte Schlagzeug mit der U-Bahn nach Hause zu transportieren. Diesmal gab es während der Fahrt weder Brechreiz noch geklaute Schokoriegel; dann wurde das fast neue, glitzernde ­Premier-Drumkit vor dem schweren Vorhang im Wohnzimmer der Moons aufgebaut, Keith schwang sich hinter die Trommeln und legte unter den besorgten Blicken­ seiner Mutter los. „Wie ein kompletter Irrer“, erzählt Gerry. „Nicht die Spur von Takt, wie ein Verrückter.“

      Wenn Gerry, der frühe Zeuge von Moons Bemühungen, ein durchweg vernichtendes Urteil über dessen Taktgefühl abgibt, so muss immer in Betracht gezogen­ werden, dass er unter Keiths Unbeschwertheit bald zu leiden hatte. Zum einen dauerte es nicht lange, bis Keith dem Freund auf nicht ganz saubere Weise seinen Platz in der Band streitig machte. Zum anderen wurden Keiths Späße immer grenzwertiger und derber, je mehr er an Selbstbewusstsein gewann.

      Und das geschah so: Da er nun endlich sein eigenes Schlagzeug besaß und mit ein paar Jungs aus der Nachbarschaft eine wenig hoffnungsvolle Gruppe namens The Altones gegründet hatte, wurde ihm klar, dass er sein Idol Gene Krupa nicht ebenso leicht imitieren konnte wie The Goons. Er brauchte praktischen Anschauungsunterricht und ein erreichbares Vorbild. Mit seinen neuen Freunden, The Escorts, was auf Deutsch bezeichnenderweise „die Begleiter“ heißt, verfolgte er 1961/1962 sehr genau die lokale Szene. Zwei Bands beeindruckten die Jungen vor allen anderen: der schon erwähnte Johnny Kidd aus der Nachbarschaft mit seinen­ Pirates und The Savages, angeführt von ihrem Leadsänger Screaming Lord Sutch, der als Begründer des Monsterrocks gilt und junge Musiker wie Alice Cooper­ oder Ozzy Osbourne zur Nachahmung anstiftete.

      The Savages waren jedoch keineswegs bloß eine effektvoll agierende Showband, sondern allesamt hervorragende Musiker. Unter dem selbsternannten Lord, der 1940 ganz bürgerlich als David Edward Sutch geboren worden war, erhielten­ britische Rockgrößen wie Jimmy Page, Jeff Beck, der siebzehnjährige Richie Blackmore oder der später auf Who-Platten mitwirkende Pianist Nicky Hopkins den ersten professionellen Schliff für ihre eigene Karriere.

      Und eben jener letztgenannte Nicky Hopkins war ein weiterer Stich in Keiths Herz. Nur zwei Jahre älter als „Sputnik“ Moon und ebenfalls aus Wembley, hatte er bereits eine klassische Klavierausbildung hinter sich, bevor er zum Rock’n’Roll stieß.

      Noch ärger traf es Keith, als er den Namen des Gitarristen der Savages hörte. Der hieß Bernie Watson und war in Moons Erinnerung alles andere als ein Rocker gewesen, sondern ein stiller, braver Junge von der Ealing Road, der zwei Jahre über ihm in die Alperton Secondary School gegangen war. Als er diesen Kerl mit der angesagtesten Band Englands auf der Bühne erblickte, wurde ihm klar, dass er für eine eigene Karriere als Rockstar alles aufs Spiel setzen musste, weil er alles dafür gewinnen konnte.

      Und dazu brauchte er einen Mann, den er auf der Bühne gesehen hatte: Carlo Little, den besten Freund und wichtigsten Mitarbeiter des Lord Sutch, einen unglaublich lauten Schlagzeuger von bärenhafter Statur. Carl O’Neil Little, so sein wirklicher Name, hatte zwei Jahre lang in der Armee ein Bataillon von tausend Mann durch Paraden geführt, bevor er 1961 die Uniform ablegte, um mit Lord Sutch den Rock’n’Roll aus der einsetzenden Agonie zu retten. Denn nach dem Skiffleboom und dem aus den USA einfallenden Elvis-Fieber, das smarte Jüng­linge wie Cliff Richard dem englischen Markt anpassten, war der britische Musikexpress jäh zum Stillstand gekommen. Zu viele kommerzielle Elvis-Klone raubten­ dem Rock’n’Roll das Herz und die Seele; es schien, als müssten die zu neuen Ufern aufgebrochenen jungen Musiker buchstäblich noch einmal von vorn anfangen – oder aufgeben.

      Viele gaben tatsächlich auf, die wilden Jahre schienen vorüber: Wer eine feste Freundin hatte, heiratete; wer noch keinen sicheren Job hatte, begann mit dem Aufbau einer bürgerlichen Karriere … Bald schien die Musik wieder jenen zu gehören, die sie mit einer klassischen Ausbildung für sich beanspruchen konnten. Das schon überholte traditionelle Jazz-Establishment kam zurück und fühlte sich plötzlich wieder obenauf.

      Carlo Little, der auch mit etablierten Berufsmusikern wie The Gunnell Brothers arbeitete, erzählte, wie ihn diese allen Ernstes und mit tiefer Verachtung fragten: „Was willst du bloß mit diesen Rock’n’Roll-Idioten? Mit denen wirst du nirgendwohin kommen.“ Doch Carlo Little spielte weiter mit allen, die ihn brauchten, die Herz und Seele besaßen und bereit waren, den Weg des Rock’n’Roll weiter zu gehen als Cliff Richard & The Shadows mit ihren braven Anzügen und einstudierten Tanzschritten.

      Zu den nicht angepassten Kräften gehörten neben Screaming Lord Sutch oder Johnny Kidd auch noch jene progressiven Musiker, die ein multikultureller Kosmo­polit namens Alexis Korner anführte. Die von ihm formierte R&B-Gruppe Blues Incorporated eroberte im Nu die Londoner Klubszene, nachdem sie im Ealing Club zu einem Kassenmagneten geworden war. Und über Carlo Little, der wie kein anderer in ganz England das Schlagzeug bearbeitete, kamen alle auch zu den Konzerten von Screaming Lord Sutch & The Savages. Der Lord selbst berichtete 1996, drei Jahre vor seinem Tod, in einem Interview:

      „Wir hatten einen hohen Standard an Professionalität. Wir hatten ein Konzept, bei dem alle Musiker ständig in Bewegung waren. Jagger, Brian Jones, sie waren alle bei unseren Konzerten und liehen sich später Carlo, Nicky und Rick Fenson, unseren Bassisten aus, um hier und dort in kleinen Kneipen auf­zutreten. Als Carlo nicht mehr mit ihnen spielen wollte, empfahl er ihnen Charlie­ Watts.“

      Neben diesen schon auf den Rhythm & Blues-Zug aufgesprungenen Kandidaten, die voller Enthusiasmus und Entschlossenheit die Fahne der neuen, lebendigen, lauten Musik vorantrugen, gab es natürlich auch die unentdeckten Talente und Hoffnungsträger wie Keith Moon und The Escorts. Sie blieben nicht unentdeckt, wie Lord Sutch erzählt: „Und dann hatten wir noch diesen Jungen in der Stadthalle von Wembley, wo wir auftraten. Er hörte nicht auf, uns von der Bühnenseite


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