Im Gespräch mit Morrissey. Len Brown

Im Gespräch mit Morrissey - Len  Brown


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dass er es als darstellender Künstler geschafft hat. Neben seiner sympathischen Schüchternheit, seiner leichten Unbeholfenheit, seinem selbstironischen Sinn für Humor und der negativen Selbstanalyse, die er oft betreibt, muss er noch über eine unergründliche, besondere Fähigkeit verfügen; etwas, das ihn von den Millionen anderer abhebt, die davon träumen, Popstar zu werden, sich dann aber unweigerlich doch für etwas Realistischeres entscheiden. Man könnte diese Fähigkeit als verblüffendes Talent oder außergewöhnliches Genie bezeichnen – jedenfalls hat ihn eine unergründliche Kraft tief in seinem Innern vorangetrieben und zu einem bemerkenswerten Dichter und Showman gemacht.

      Oder war es vielleicht nur ein glücklicher Zufall, irgendeine wunderbare chemische Reaktion oder das zufällige Eintreten eines anderen Menschen in Morrisseys Leben, was diese seltsame Metamorphose verursachte? James Maker zumindest stellt fest, dass „Morrissey und Marr, als sie sich kennenlernten, füreinander ein seltener Glücksfall und eine Erlösung waren“.

      Morrissey ließ seine deprimierende Suche nach einem musikalischen Partner später Revue passieren: „Der Hauptgrund dafür, warum ich, bevor ich Johnny begegnete, nichts Konstruktives zuwege brachte, war der, dass jeder andere, der wie ich seit Jahren dieselben geheimen Wünsche hegte und denselben kreativen Drang verspürte, unweigerlich unglaublich deprimiert, völlig desorganisiert und irgendwie unrettbar verloren war. Mit anderen Worten: eine wandelnde Katastrophe.“

      Johnny Marr (bürgerlich: John Maher, geboren am 31. Oktober 1963) stammte ursprünglich aus der Gegend um Ardwick Green und Wythenshawe in Manchester und war ebenfalls irischer Abstammung. Er arbeitete in einem Geschäft namens X-Clothes neben Joe Moss’ Boutique Crazy Face. Moss spielte in der frühen Entwicklungsphase der Smiths eine wichtige Rolle, unterstützte die Band finanziell und fungierte unter anderem als deren erster Manager. (Er war es auch, der Mahers Namen in Marr änderte, um Verwechslungen mit dem Schlagzeuger der Buzzcocks, John Maher, auszuschließen.) Anfang 1984 erinnerte sich Marr in einem Interview mit dem NME, wie „ich mit etwa vierzehn oder fünfzehn über ein paar Freunde, die ihn wegen seiner New York Dolls-Vernarrtheit kannten, in Kontakt mit Morrissey kam. Er machte gewaltigen Eindruck auf mich … Durch sein Zusammenspiel in Bands mit Billy Duffy war er mir schon seit ein paar Jahren ein Begriff gewesen.“

      Angeregt durch eine Leiber & Stoller South Bank-Show beschloss Marr im Mai 1982, „einfach vorbeizuschauen und bei ihm anzuklopfen“. Er kann sich noch entsinnen, dass er während ihres ersten kurzen Gesprächs an der Türschwelle, das unweigerlich ein wenig betreten ausfiel, folgenden selbstbewussten Satz sagte: „Ich weiß, wer du bist. Ich bin ein toller Gitarrist und würde gerne eine Band gründen … Also lass mich rein!“

      Die Partnerschaft baute zunächst auf gemeinsamen musikalischen Interessen auf: Marc Bolan, David Bowie, amerikanische Mädchengruppen wie die Shangri-las und die Shirelles, die New York Dolls, Patti Smith, die Stooges, Lou Reed und sogar die frühen Singles der Rolling Stones. Marr konnte bereits auf eine musikalische Vergangenheit in Manchester zurückblicken, da er in der Funk-Band Freaky Party und in anderen Bands wie White Dice gespielt hatte.

      Aus der gemeinsamen Bewunderung heraus entstanden im Verlauf weniger Wochen erste Demoaufnahmen solch außergewöhnlicher Songs wie „Suffer Little Children“ und „The Hand That Rocks The Cradle“.

      Morrissey erinnerte sich an ihre erste Begegnung: „Ich war derart beeindruckt und geschmeichelt, dass es nicht einmal etwas ausgemacht hätte, wenn er gar nicht hätte spielen können, weil die Ansätze da waren und aus dieser Saat alles sprießen konnte. Er erschien zu einer Zeit, als ich gerade an einem absoluten Tiefpunkt angelangt war … er verpasste mir einen ungeheuren Energieschub. Ich konnte spüren, wie mich Johnnys Energie förmlich durchdrang.“

      Marr war von ihren ersten gemeinsam Versuchen, schöne Musik zu machen, gleichermaßen beeindruckt: „Es war das erste Mal, dass ich Morrissey so singen hörte, wie ich mir es erhofft hatte. Von diesem Augenblick an wusste ich, dass wir verschieden waren – und sehr, sehr gut. Jedes Wort war so bedeutungsschwer, dass ich, als ich mich wieder erholt hatte, plötzlich begriff, dass ich zuvor nie so recht auf die Texte geachtet hatte … Ich spürte, dass wir Rockmusik mit ein bisschen Kunst darin machten … wir machten keine banalen Songs, sondern eine Musik, die ganz andere Aussagen zu Sex, Politik und Gesellschaft machte.“

      Anfängliche Zweifel an dieser ungewöhnlichen Kombination wurden ausgeräumt, als sie im Oktober 1982 im Ritz in Manchester auftraten. Die Smiths spielten im Vorprogramm der New-Romantic-Gruppe Blue Rondo A La Turk, außerdem trat an jenem Abend noch ein örtlicher Travestiekünstler auf. Joe Moss zufolge „waren sie absolut unglaublich. Es gab nur eine Richtung, in die sie gehen konnten.“

      Wenngleich bei diesem Debüt noch Dale Hibbert die Bassgitarre spielte, so war die berühmte Smiths-Besetzung bald beisammen, als sich ein Schulfreund und Bandkollege Marrs aus Freaky Party-Tagen, Andy Rourke, und der ehemalige Victim-Schlagzeuger Mike Joyce der Gruppe anschlossen. Morrissey war damals schon längst in seinen Zwanzigern, wohingegen die anderen Smiths ihre Teenagerjahre erst nach der Veröffentlichung der ersten Single „Hand In Glove“ hinter sich ließen.

      Live trat gemeinsam mit den Smiths ab und zu auch James Maker als Go-Go-Tänzer auf, ganz im Stil von Warhols Factory und Velvet Underground – und ein Jahrzehnt, bevor Bez bei den Happy Mondays und Cressa bei den Stone Roses Aufmerksamkeit erregten.

      Nach weiteren Auftritten in Manchester in Clubs wie dem Manhattan, dem Rafters oder dem relativ neuen Hacienda (am 4. Februar und am 6. Juli 1983; der zum Plattenlabel Factory gehörige Club wurde mit Blumen geschmückt), hatten die Smiths ihre ersten Konzerte in London im Rock Garden und bei der ULU (University of London Union). Eben dort entschloss sich Geoff Travis von Rough Trade, die Band unter Vertrag zu nehmen, und schnappte sie somit den in Manchester ansässigen und von Tony Wilson geleiteten Kollegen von Factory Records vor der Nase weg, wo unter anderen Joy Division – die heutigen New Order – unter Vertrag standen. Rob Gretton, der Manager von New Order, war von dem Demo der Smiths gänzlich unbeeindruckt gewesen.

      Travis hatte bereits ein Band mit „Hand In Glove“ und „Handsome Devil“ gehört, das ihm Johnny Marr gegeben hatte. Später bemerkte er: „Was Johnny so einzigartig machte, war, dass er für sein Alter über ein atemberaubendes musikalisches Wissen verfügte. Er wusste, wer John Renbourn war. Er wusste, wer Richard Thompson war. Für mich war er immer ein Ausnahmegitarrist, weil er mit einer Leichtigkeit spielte, die ihresgleichen suchte.“

      Im Juni 1983 wurde der Vertrag zwischen Rough Trade und den Smiths also auf Gedeih und vielleicht auch Verderb (hinterher ist man bekanntlich immer schlauer) unter Dach und Fach gebracht. Damals beabsichtigten sie ganz offensichtlich, in die Fußstapfen von Bands wie Aztec Camera, The Monochrome Set, den Slits, Scritti Politti und The Fall zu treten. Sicher waren die Independent-Philosophie der Plattenfirma und die Garantie künstlerischer Kontrolle ebenfalls gewichtige Argumente. Es schien also zunächst die richtige Entscheidung zu sein. Scott Piering besorgte der Gruppe ihre frühen, wegweisenden Sessions bei Radio One in den Sendungen von John Peel und David Jensen, durch welche die Smiths an die Spitze der Independent-Charts katapultiert wurden. Die Konditionen des Rough Trade-Deals waren für Morrissey und Marr extrem vorteilhaft. Sie waren auch die einzigen Bandmitglieder, die den Vertrag unterzeichneten. Später jedoch erwiesen sich die Details, die Mike Joyce und Andy Rourke ausschlossen, als juristisches Minenfeld.

      Wodurch hoben sich die Smiths 1983 von der großen Masse der anderen Independent-Bands ab? Abgesehen von Marrs Gitarrenspiel und Morrisseys Umgang mit Worten seien die Smiths „eine wohlkalkulierte Operation“ gewesen, sagte Joe Moss. Johnny Marr stimmte insofern zu, dass Morrissey ihren gemeinsamen Weg zum Erfolg sorgfältig geplant habe: „Es war fast so, als hätte er nur noch darauf gewartet, dass die Band gegründet wird. Zweifellos wurden viele wichtige Entscheidungen Jahre zuvor getroffen … offensichtlich hatte er an der Gestaltung bereits jahrelang gearbeitet und seine eigenen künstlerischen Fähigkeiten geschult.“ Paul Morley, der für die Zeitschrift Blitz schrieb, ging später auf die Vision hinter dem Phänomen ein: „Morrissey war eine sorgfältig ausgeklügelte Figur, als wäre alles bereits zu Hause geplant worden.“

      Zweifellos waren die Smiths etwas vollkommen Neues, das sich in der britischen Musikindustrie der frühen Achtziger mit nichts vergleichen


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