Im Gespräch mit Morrissey. Len Brown

Im Gespräch mit Morrissey - Len  Brown


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nicht beneidet und sich eher wenig um sie zu kümmern scheint.“ Auf die Frage, ob Bennetts Werk eine besondere Sicht des Nordens definiere, entgegnete Morrissey: „Ja, hauptsächlich diese trübe Schwermut des Nordens – dieses eingemauerte Leben ohne große Alternativen, das mag er. Die Familie ist ein Schlachtfeld, und jede Figur steht kurz vor einem Eingeständnis. Alle denken an Sex, aber niemand sagt etwas.“

      Nachdem es Morrissey nicht gelungen war, für Coronation Street zu schreiben, wurden seine ersten Versuche als Musikkritiker von seiner Lieblingszeitschrift, dem New Musical Express, abgelehnt und weitere literarische Ambitionen somit zunichte gemacht. Obgleich er unter dem Namen Sheridan Whiteside (in Anlehnung an den Peiniger von Bette Davis aus dem 1941 gedrehten Film The Man Who Came To Dinner) ein paar Plattenkritiken für den Record Mirror schrieb, tat die Absage des NME doch weh: „Ich erinnere mich, dass vor langer, langer Zeit jemand beim NME den Hörer auf die Gabel knallte, als ich anrief, und das war wahrscheinlich der letzte Tropfen in einem Fass mit vielen, vielen Tropfen darin.“ (Außer Sheridan Whiteside hat Morrissey auch die Pseudonyme Terrace Stomp, Alf Button, Eddie Riff, Stoney Hando, Ann Coates – nach dem Ancoats-Stadion in Manchester – und Talbot Rothwell verwendet. Letzterer war der Drehbuchautor der Carry-On-Filme sowie von Up Pompeii und The Army Game. Er starb im Jahre 1981.)

      Deans Leben, das Leben eines rebellischen jugendlichen Außenseiters in Amerika, sprach Morrissey in vielerlei Hinsicht an. Der Einfluss des Schauspielers ist ein immer wiederkehrendes Thema in seinem künstlerischen Schaffen. Am offenkundigsten zeigt sich dies auf dem Cover von „Bigmouth Strikes Again“, auf dem Dean als junger Motorradfahrer mit Brille angebildet ist. Ein anderes Stück der Smiths, „Stretch Out And Wait“, verwies auf eine Zeile von Sal Mineo aus Deans berühmtestem Film … denn sie wissen nicht, was sie tun: „Wird das Ende der Welt bei Nacht kommen …?“ Im Exil in den Neunzigern wurde Morrissey am Griffith Observatory in Los Angeles fotografiert, wo der Messerkampf gedreht wurde, bei welchem der von Mineo dargestellte Plato stirbt.

      Als Morrissey 1988 sein Video zu „Suedehead“ drehte, reiste er in die Heimatstadt von James Dean, nach Gary im US-Bundesstaat Indiana. Dort erfand er sich als James Dean neu, wie ihn der Fotograf Denis Stock sah: Bongos spielend und auf einem Traktor. In dem Video trägt Morrissey ein Exemplar von Antoine de Saint-Exupérys Der kleine Prinz bei sich. Eins von Deans Lieblingszitaten aus dem Buch – „Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar“ – ist auf seiner Gedenktafel im kalifornischen Cholame eingraviert.

      In Jenseits von Eden spielt Dean den jungen Cal, der sich nach elterlicher Liebe sehnt. Auch diese Figur scheint den heranwachsenden Morrissey schwer beeindruckt zu haben. Das Bild von Deans Co-Star Richard Davalos sollte auf dem Cover von Strangeways, Here We Come Verwendung finden. Der Ausschnitt wurde jedoch so gewählt, dass Deans Gesicht nicht zu sehen war. Als Solokünstler veröffentlichte Morrissey später die Single „Alma Matters“, die zum Teil auf Deans Rolle in dem John-Wayne-Film Ärger auf der ganzen Linie (1953) basiert. Der ursprüngliche Titel des Films, der Dean im Abspann nicht aufführte, war Alma Mater. Tonlose Ausschnitte aus Probeaufnahmen mit Davalos und Dean wurden vor den Konzerten auf Morrisseys Tournee im Jahre 2006 ausgestrahlt.

      Einmal fragte mich Morrissey, ob ich je den Film Die Außenseiterbande (1963) von Regisseur Jean-Luc Godard gesehen hätte. Dies war der Fall, doch hielt ich den Film nicht für einen von Godards Meisterwerken, wenngleich darin Claude Brasseur in einer Hauptrolle zu sehen war. Ich wusste zwar, dass sich Morrissey sehr für den Film interessierte – die Covers von „This Charming Man“ und The Queen Is Dead bestätigen dies –, doch erst als ich über Francois Truffauts Buch Les films de ma vie (Die Filme meines Lebens, 1978) stolperte, begriff ich, was mit „Außenseiter“ tatsächlich gemeint war. Kapitel fünf nennt „Einige Außenseiter“ und enthält ein Essay mit dem Titel „James Dean ist tot“.

      Truffaut zufolge (der auch bei Der Wolfsjunge Regie führte) „verkörpert James Dean wie kein anderer die jungen Leute von heute … den Hunger der Heranwachsenden nach Erfahrungen, Rausch und Stolz, aber auch das Gefühl, ‚ausgeschlossen‘ zu sein, den Wunsch und gleichzeitig die Ablehnung, sich in die Gesellschaft zu integrieren, und schließlich die Akzeptanz und Ablehnung der Welt, wie sie ist.“

      Mit Fanzine-artigen Büchern über James Dean, The New York Dolls und tote amerikanische Schauspieler (Exit Smiling) verzeichnete Morrissey zwar frühe Erfolge als Autor, doch lassen diese noch nicht jenes Talent erahnen, welches ihn bald zu einer britischen Ikone machen sollte, einem genialen Textdichter und Rock’n’Roll-Poeten. Bereits in jungen Jahren begannen ihn die Popkultur und insbesondere die Popsingle zu interessieren. Als er gerade sechs Jahre alt war, kaufte er Marianne Faithfulls „Come And Stay With Me“. Von da an sammelte er leidenschaftlich, unersättlich und wie besessen Popmusik.

      Wie seine Lieblingsfilme sprachen auch seine Lieblingspopstars – hauptsächlich Sängerinnen, allen voran Sandie Shaw und Cilla Black – in der unverkennbaren Sprache der britischen Arbeiterklasse zu ihm: „Popmusik ist meistens so transatlantisch angehaucht, ich hingegen ziehe die Kameraderie des Nordens vor … ich mag diese billigen Wegwerf­typen … ich verehre jeden Rülpser von Cilla Black.“

      Später räumte er ein: „Ich liebte diese Leute wirklich. Ich widmete ihnen mein Leben, meine Jugend. Über die Grenzen der Popmusik hinaus konnte man durch sie einen Blick auf das Ende der Welt erhaschen.“ Vielleicht war dies sein Problem mit Beziehungen? Vielleicht konnte die Liebe im wirklichen Leben niemals so intensiv, so rein, so perfekt oder emotional fokussiert sein wie in einem dreiminütigen Popsong.

      Neben den britischen Sängerinnen waren es die weicheren, verletzlicheren Männerstimmen wie die von Billy Fury, die den noch kindlichen Morrissey am meisten ansprachen. Fury – einer seiner größten Einflüsse hinsichtlich Stil und Showtalent und abgebildet auf dem Cover von „Last Night I Dreamt That Somebody Loved Me“ – hatte sich ab Ende der Fünfziger und in den Sechzigern von dem kränklichen Jungen Ron Wycherley aus Liverpool zu einem der zweifellos größten Rock’n’Roll-Stars Großbritanniens gemausert.

      Freilich erweiterte sich mit zunehmender Reife auch Morrisseys musikalischer Horizont. Im Jahre 1972, als David Bowie mit dem Thema Bisexualität spielte, traten die ungeheuer einflussreichen New York Dolls in der BBC2-Sendung Old Grey Whistle Test auf, und Marc Bolan zog mit dem Glam-Rock bei Top Of The Pops ein. Diese Verkettung von Ereignissen lockte den 13-jährigen Morrissey aus der Sicherheit seines mit Büchern voll gestopften Schlafzimmers hervor, um sein erstes Live-Konzert zu besuchen: T. Rex im Bellevue in Manchester.

      Wie wichtig war Marc Bolan für Ihre musikalische Entwicklung?

      Morrissey: „Marc Bolan war sehr wichtig für mich. Extrem wichtig. Er machte ein paar großartige Platten, bevor er berühmt wurde und schließlich zum Teeniestar wurde. Sein früheres Zeug mit Tyrannosaurus Rex fand ich wirklich sehr stark. Diese Platten bedeuten mir immer noch sehr viel. Viele Leute bezeichnen T. Rex heute als ihre erste musikalische Liebe. Damals aber war es so, dass sie zum ersten Mal seit den Beatles eine wahre Hysterie bei den Fans auslösten. Ich sah sie 1972 im Bellevue in Manchester, und es schien zu stimmen, denn man konnte die Musik nicht hören. Es herrschte ein völliges Chaos. Zwar ein sehr aufregendes Chaos, aber die Leute hörten einfach nicht auf zu kreischen. Solche Sachen sind tolle Erinnerungen.“


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