Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten. Sam Cutler

Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten - Sam Cutler


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entworfen hatte, ein damals angesagter Modedesigner. Meiner Meinung nach sah er ziemlich albern aus, doch natürlich sagte ich das nicht. In dem Caravan, der den Stones als Garderobe diente, verriet mir Mick, dass er zum Gedenken an Brian einen Auszug aus Percy Bysshe Shelleys Gedicht „Adonaïs“ lesen wolle. Er bat mich, die Menge zur Ruhe aufzurufen, damit der Text überall gehört werden könne. Ich versicherte ihm, dass er sich keine Sorgen machen müsse.

      Schnell trieben wir ein Ersatzmikro auf, durch das Mick den Text vortrug.

      Mick bat um Ruhe und las Shelleys Zeilen:

      Peace, peace! He is not dead, he doth not sleep –

      He hath awakened from the dream of life –

      ’Tis we, who lost in stormy visions, keep

      With phantoms an unprofitable strife,

      And in mad trance, strike with our spirit’s knife

      Invulnerable nothings. – We decay

      Like corpses in a charnel; fear and grief

      Convulse us and consume us day by day,

      And cold hopes swarm like worms within our living clay.

      He hath outsoared the shadow of our night;

      Envy and calumny and hate and pain,

      And that unrest which men miscall delight,

      Can touch him not and torture not again;

      From the contagion of the world’s slow stain

      He is secure, and now can never mourn

      A heart grown cold, a head grown grey in vain;

      Nor, when the spirit’s self has ceased to burn,

      With sparkless ashes load an unlamented urn.

      Das Riesenpublikum lauschte in andächtiger Stille den Zeilen eines der größten Lyriker Großbritanniens. Wir ließen die Schmetterlinge aus ihren brütend heißen Kisten frei. Die Überlebenden flatterten schwach in die heiße Luft und versuchten zu entkommen. Schon bald war die komplette Bühne mit den toten Faltern übersät. Brian, selbst ein geschwächter und niedergeschlagener Schmetterling, hätte das gefallen.

      Dann sagte ich die Rolling Stones an. Es folgte ein ohrenbetäubender Applaus. Sie begannen das Konzert, wobei Mick zuerst in das falsche Mikro sang. Ich hatte ihm von den unterschiedlichen Mikrophonen erzählt (und dabei mit einem kleine Witz auf einen Rock’n’Roll-Klassiker angespielt: „One for the Shelley, two for the show“ [gemeint ist „Blue Sude Shoes“ von Carl Perkins]), aber die Situation war so spannungsgeladen, dass er es vergaß. Er grinste und hielt mich wohl für einen totalen Trottel. Egal, er vergaß es, und ich musste auf die Bühne kriechen, um Mick darauf hinzuweisen. Als er seinen Fehler bemerkte, lächelte er, entledigte sich des albernen Jacketts und konzentrierte sich auf die Musik, um einen gutes Konzert hinzulegen.

      Anscheinend störte es niemanden, dass die Musiker die Instrumente nicht richtig gestimmt hatten und manchmal das Timing vergaßen. An diesem Tag liebten alle die Stones, denn sie überwanden ihre Trauer und hatten den Menschen durch das Konzert ein Geschenk gemacht. Es wurde ein energiegeladenes Statement und bewies dem Establishment, dass die Stones, ungeachtet der gnadenlosen Verfolgung durch die Polizei in den letzten Jahren, noch immer beliebt und populär waren. Es gab keine einzige Verhaftung. Und warum? Nicht ein einziger Polizeibeamter ließ sich blicken, um jemanden aus dem Verkehr zu ziehen!

      Die Parkverwaltung machte sich Sorgen über den ganzen Abfall, der bei früheren Konzerten entstanden war, und so organisierte ich nach der Show ein kollektives Mülleinsammeln. Hunderte Mülltüten wurden an die Menge ausgegeben, und Tausende verbrachten einige Stunden damit, sie zu füllen und zum Sammelpunkt zurückzubringen, wo wir ihnen für die Mühe eine Stones-Platte überreichten. Es lief wie am Schnürchen. Wir hatten eine ansehnliche Müllpyramide zusammengetragen und ließen den Park sauber zurück. Bis heute erfüllt mich das noch mit Stolz, denn wir verbrachten eine tolle Zeit miteinander und haben unseren Scheiß selbst weggeräumt.

      Erschöpft, aber in Hochstimmung ging ich noch in die Royal Albert Hall, um mir Chuck Berry und die Who in einem Doppelkonzert anzusehen. Mick hielt sich im Backstage-Bereich mit Marsha Hunt auf, warf mir ein fröhliches Lächeln zu und dankte mir. Er meinte, es sei einer der schönsten Tage in seinem Leben gewesen.

      8. Allen Klein? Nein, danke!

      Ungefähr einen Monat später traten die Stones erneut in mein Leben. Mick versuchte sich in Australien als Schauspieler in dem Film Ned Kelly. Bob Dylan sollte in wenigen Tagen auf der Isle of Wight auftreten, und einige der Stones wollten sich das Konzert anschauen. Jo Bergman fragte, ob ich die Musiker begleiten würde, nichts Offizielles, alles eher diskret. Ich mochte das Festivalgelände und kannte die Gunnell-Brüder, die alles veranstalteten. Natürlich sagte ich ohne zu zögern zu.

      Dylans Set beeindruckte mich nicht. Nach einer Verzögerung trat zuerst The Band auf und spielte als Vorbereitung auf ihren Chef eine 45-minütige Show, die das Publikum kaltließ. Dann erschien Dylan auf der Bühne. Man hatte den Eindruck, als entschuldige er sich für seine Musik. Dylan spielte nicht einmal eine Stunde, und nach dem Ende des Gigs bedachte ihn das Publikum mit eisigem Schweigen. Durch seinen weißen Anzug sah er wie ein klassischer Verkäufer aus. Er schien sich nicht wohlzufühlen. Vermutlich hatte er einige der Beatles und der Stones in der Menge entdeckt, was ihn wohl einschüchterte. Nach zwei schwachen Zugaben verzogen er und The Band sich wie verschreckte Kaninchen.

      Die „große weiße Hoffnung“ im edlen weißen Anzug hatte einen zahmen und zahnlosen Gig hingelegt. Die Leute erinnerten sich immer noch an die aufgepeitschte Stimmung, die er auf der Tour vor drei Jahren an den Tag gelegt hatte; und im Vergleich dazu fehlte dem neuen, eher „laid-back“ agierenden Dylan eindeutig der Biss. Mit sichtlichem Spaß stellte er seinen Status als „Musik-Gott“ selbst in Frage und frustrierte das Publikum; die Bühne hatte er wie ein Autoverkäufer aus Nashville betreten.

      Nach dem Schlamassel wollten die Stones und einige Freunde noch in einem Restaurant am Ort essen, doch das war leichter gesagt als getan. Jedes halbwegs anständige Etablissement war ausgebucht, doch nach einigen verzweifelten Anrufen und mit Hilfe der Gunnell-Brüder fand ich ein Lokal. Ich hatte meine ersten Pluspunkte gesammelt!

      Wir aßen langsam und bedächtig und bestellten ständig weiter zu essen und zu trinken. Ich verbrachte eine nette Zeit mit einer Unterhaltung mit Charlie Watts. Später diskutierten wir über die Friedensbewegung, wobei die sarkastische Frage aufkam, welche Bands sich trauen würden, in Vietnam aufzutreten. Am Ende des Essens, die meisten waren sturzbesoffen, bat ich um die Rechnung. Es entwickelte sich ein heftiger Streit mit dem Besitzer, der den Preis für unsere kleine Party offensichtlich, ohne mit der Wimper zu zucken, viel zu hoch angesetzt hatte. Nach einer hitzigen Diskussion fand ich mit dem Typen einen gemeinsamen Nenner, was alle zufriedenstellte.

      Wieder in London, lud mich Jo Bergman zum Dinner ein. Wir unterhielten uns über die geplante US-Tour der Stones. Jo verpflichtete mich zur Verschwiegenheit und erzählte, dass sich Mick zufolge Ronnie Schneider bei der Tour um das Finanzielle kümmern sollte. Die Einnahmen der Abendkasse wurden also nicht an Allen Kleins New Yorker Büro weitergeleitet, sondern gingen direkt an die Stones.

      Zu der Zeit managte Klein sowohl die Beatles als auch die Stones und hatte sich mit dieser Aufgabe ganz offensichtlich übernommen. Die Stones hatten die Nase gestrichen voll von den ganzen Streitigkeiten, was das Geld anbelangte, und beharrten darauf, die Abendkasse zu kontrollieren. Schneider war Kleins Neffe und verließ ihn zwei Wochen vor der Zusage bei den Stones, weil er sich von nun an exklusiv um die Finanz­angelegenheiten der Band kümmern wollte. Ich wusste nichts von den internen Absprachen, weil es kaum einen diskreteren Menschen als Jo gab, und mal ehrlich – das Ganze ging mich auch nichts an.

      Die neue Vereinbarung brachte große Schwierigkeiten mit sich, wie Jo erklärte. Klein hielt sich im Moment in London auf, und man hatte ein Meeting angesetzt. Keith wollte sich mit ihm im Büro in der Maddox Street treffen. Ich sollte ihn abholen und als Zeuge am Gespräch teilnehmen.


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