Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten. Sam Cutler
die Stufen zur Tottenham Court Road hochzustolpern war schon ziemlich schräg. Ich flüchtete so schnell wie möglich vor der ganzen UFO-Szene, spazierte meilenweit durch die ausgestorbenen Straßen und beobachtete, wie die ganze Stadt langsam zum Leben erwachte.
Als die neuen Clubs eröffneten, nahmen enthusiastische Manager den Platz der alten Typen ein, die das Business schon viel zu lange schleifen ließen. Peter Jenner und Andrew King standen an vorderster Front der „jungen Wilden“ und gründeten gemeinsam Blackhill Enterprises. Durch einen Umweg gelangte ich zu den beiden.
Traditionell verbringt die Bevölkerung Großbritanniens die Wochenenden mit einem Ausflug aufs Land, dem Besuch eine Gartenparty oder von Freunden. Ich hatte eine Einladung zu einer großen Party auf einem riesigen Anwesen in Surrey erhalten. Das Gebäude gehörte Nick Masons’ Schwiegervater, einem bekannten und fortschrittlichen Architekten.
Wir kamen südlich von Guildford an und sahen 40 bis 50 Leute, kunterbunt in allen Farben des Regenbogens gekleidet, die LSD-Trip eingeworfen hatten und weit über dem Boden der „herkömmlichen“ Realität schwebten. Sie schlenderten durch die gepflegten Gärten und machten es sich auf dem makellosen Rasen bequem, der hinter einem unfassbar großen Gebäude lag. Doch irgendwie lief alles so schrecklich britisch-zivilisiert ab. Ich begegnete dem Hausbesitzer, der einen grauweißen Bart trug und sich sehr großzügig zeigte. Er fand die Freunde seiner Tochter bemerkenswert und hochinteressant. Allerdings bin ich mir nicht sicher, was er von mir hielt, denn ich trug die wildesten Klamotten, die ich damals besaß. Mit einer Freundin produzierte ich Kleidung für einige der neuen, ausgeflippten Boutiquen Londons. Wir kauften die Stoffe bei Liberty’s, einem großen Geschäft, das aufsehenerregende Designs anbot, die an die von William Morris im 19. Jahrhundert kreierten Wandbehänge und -teppiche erinnerten. Eigentlich waren die Stoffe für Gardinen gedacht oder für Schonbezüge, aber wir fertigen daraus Schlaghosen und Jacketts für die Shops in Kensington. Ich schneiderte mir einen Anzug mit aufgedruckten knallig bunten Rhododendrenblüten. Mich erstaunt es noch immer, wie viel Mut ich gehabt haben muss, in so einem Dress in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Zwar verkauften wir nicht viel, doch es machte eine Menge Spaß.
An diesem netten Sommernachmittag, tief im Herzen der ländlichen Idylle Großbritanniens, unterhielt ich mich mit Nick Mason und Rick Wright über Musik, das Leben und das Universum und sonstige Belanglosigkeiten. Nach kurzer Zeit kam das Thema Blackhill auf. Die beiden erzählten mir, hier sei eine neue Firma mit einem vollkommen anderen Ansatz des Managements in der Musikindustrie am Start.
Sie meinten, die alten Strukturen müssten eingerissen und alles neu aufgebaut werden. Das bezog sich auf das Management der Musiker und die Organisation des Profilebens. Die Bands durften sich nicht mit alternden, fettleibigen, an der Zigarre nuckelnden Kerlen des Establishments einlassen, die ihnen Vorschriften machten. Die Musiker wollten unter allen Umständen mit Leuten zusammenarbeiten, die ihre Sprache verstanden. Sie wollten von Typen repräsentiert werden, die kifften, die etwas von alternativen Bewusstseinszuständen verstanden und die bereit waren, sich auf einer neuen Ebene zu verwirklichen. Darüber hinaus war es für viele Musiker am wichtigsten, dass sich angesagte Leute um ihre Angelegenheiten kümmern. Blackhill vertraten Floyd und den späteren Glam-Rock-Star Marc Bolan, der seine Karriere mit dem Duo Tyrannosaurus Rex begann, und befanden sich im Epizentrum einer sich rasant entwickelnden Londoner Musikszene. Ich war wie versessen darauf, mit ihnen zu arbeiten, und Nick Mason versprach mir, sich für mich einzusetzen.
Peter und Andrew führten die Firma völlig unverkrampft und freigeistig. In einem zur Straße hin gelegenen Büro, abseits der Westbourne Grove, beschäftigten sie begeisterte und idealistische Leute, die Tourneen organisierten, Plakate druckten und allgemein die Kleinigkeiten erledigten, die für den reibungslosen Ablauf einer Konzertreise notwendig sind. Es war die sicherlich schönste Zeit, um im Musikgeschäft zu arbeiten. London schien vor kreativer Energie aus allen Nähten zu platzen. Ich begann dort 1967 als Mädchen für alles und versuchte mich als Bühnenmanager oder Roadie.
Ich hielt Andrew King für einen offenen und zugänglichen Mann und überreichte ihm im jugendlichen Leichtsinn ein Buch meiner auf der Schreibmaschine geschriebenen Gedichte (ich besaß nur ein Exemplar). Vielleicht taugten sie was für Texte? Andrew versprach, sie zu seinem Cottage in Wales mitzunehmen, wo er sie in Ruhe lesen könne. Als er sich zu einem Wochenende auf dem Lande aufmachte, ließ er das Buch gedankenverloren auf dem Dach seines Wagens liegen; es entschwebte dann irgendwo zwischen London und den Grafschaften in Vergessenheit und tauchte nie mehr auf. Wie damals üblich, dachte er nach einer kurzen Entschuldigung nicht mehr darüber nach, und mir fiel es erst jetzt, bei der Niederschrift dieses Buches wieder ein.
Ich beobachtete mit großem Interesse, wie Peter und Andrew der schwierige Balanceakt zwischen dem „Wertesystem des Underground“ und den kommerziellen Notwendigkeiten gelang. Peter hatte die London School of Economics besucht, und Andrew war als Manager für British Airways tätig gewesen. Ich hatte immer den Eindruck, dass die beiden für eine Art des „erleuchteten ökonomischen Despotismus“ standen, vergleichbar mit dem heutigen China, das den Kapitalismus mit einem sozialistischen Deckmäntelchen vertritt.
Die beiden propagierten ihren ökonomischen Ansatz mit einem charmanten Lächeln, guter Laune und einer Portion Schlitzohrigkeit und wurden von allen geschätzt. Sie waren clevere Typen, für die nichts unmöglich zu sein schien. Das stellte besonders in Großbritannien eine Ausnahme dar, weil sich die meisten Briten für nichts begeistern konnten.
Die eingeübte Zurückhaltung und eine gewisse Kühle kennzeichneten das soziale Leben des Landes. Das Selbstbewusstsein und die Begeisterungsfähigkeit von Peter und Andrew sorgten für einen frischen Wind, der uns mitriss. Es mutet merkwürdig an, wenn die Begeisterungsfähigkeit an sich als eine revolutionäre Einstellung erlebt wird, doch in den Sechzigern war das eindeutig der Fall. Die Briten hatten sich zuletzt im Zweiten Weltkrieg emotional engagiert, als sie sich schworen, den Faschismus zu zerschlagen.
Oft wird vergessen, dass fast nur junge Menschen in den Kampf ziehen mussten. Die Gruppe derer, die im Krieg zwischen 18 und 25 gewesen waren, trug die Traumata des Gefechts und der hohen Verluste mit sich, fühlte sich ausgelaugt und wie am Boden zerstört. Seit 1946 hatte in Großbritannien trotz aller guten Absichten und Vorsätze eine Art Dauerschlaf geherrscht. Nun wollte eine neue Generation das Land aus seiner Lethargie befreien und den Menschen (wenigstens ein bisschen) mehr Leben einhauchen. Glücklicherweise erreichte uns in den Fünfzigern der Rock’n’Roll und rettete uns aus einer Schockstarre der ewigen Langeweile.
Die Musikszene im London der Sechziger lässt sich sarkastisch als „leicht inzestuös“ beschreiben. Es war einfach, schnell ein Netzwerk von Kontakten und Freundschaften aufzubauen, da wir alle dieselben Pubs und Clubs besuchten und in denselben Stadtbezirken abhingen – und natürlich warfen wir die gleichen Drogen ein. Eines Tages traf ich Alexis Korner in der Portobello Road. Er lud mich spontan in seine Wohnung in Queensway ein. Korner lachte, als ich ihm erzählte, dass ich ihn als Banjo-Spieler mit Ken Colyer einige Jahre zuvor in Croydon gesehen hatte.
Er war die personifizierte Großzügigkeit, und ich fand es sehr aufregend, dass er überhaupt mit mir redete. In seiner kleinen Bude quatschten wir über den Blues. Ich war vollkommen verblüfft, als er mir davon berichtete, dass Big Bill Broonzy, Brownie McGhee und viele andere Blues-Größen genau auf dem Sofa gesessen hatten, auf dem ich es mir gerade gemütlich machte. Während ihrer Großbritannien-Konzerte übernachteten sie oft bei Alexis und seiner Frau Bobby. Ich empfand es als eine große Ehre, mich dort aufhalten zu dürfen. Alexis lachte, als ich ihm erzählte, dass Musiker mich zum Kiffen gebracht hatten. Seiner humorvollen Einschätzung nach war ich ein glücklicher Junge, weil mich die Musiker im Dope-Konsum und im Blues unterrichteten. Ich konnte da nur zustimmen.
Alexis war damals eine Art Übervater der Londoner Blues-Szene. Ein kleiner griechischer Mann mit einem ansteckenden Lächeln und dem Kopf voller Ideen beeinflusste die Entwicklung einer ganzen Szene und machte oft Vorschläge, wer denn mit wem spielen sollte. Man kann ihm und seiner großartigen und überaus einflussreichen Band Blues Incorporated den Aufbruch der Rhythm’n’Blues-Szene Großbritanniens zuschreiben. Cyril Davies, sein Mundharmonika-Mann, war ein Top-Musiker, verehrt von allen Zuschauern.
Es gab keinen Musiker in London, der Alexis Korner nicht