Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten. Sam Cutler
herabregneten. Fleetwood Mac – damals noch eine stilechte Blues-Band – waren spielbereit, als ich zum Mikro ging, um sie anzusagen. Nach den letzten Worten prasselten Biergläser auf uns ein, geworfen von Mods, die sich unter die Menge gemischt hatten. Was folgte, war ein schneller Rückzug zur einzigen Ausgangstür der Bühne, die sich hinter Mick Fleetwoods Schlagzeug befand. Er fand es nicht sonderlich amüsant, dass alle über sein Drum-Set kletterten, aber es gab nun mal keinen anderen Weg. Ein Wunder, dass niemand verletzt wurde!
Nachdem man die Glassplitter von der Bühne gefegt hatte, näherte ich mich vorsichtig dem Mikro, wobei ich ein wachsames Auge auf die Menge hatte. Ich versuchte an ihren angeborenen britischen Sinn für Fair Play und Ruhe zu appellieren. Ich rief die Menge auf, die aus Rockern der alten Schule, Mods und Kiffern bestand, einander lieber in die Arme zu nehmen und fest zu drücken, anstatt mit Gläsern zu werfen. Diese aus heutiger Sicht absurde und naive Bitte wirkte wahre Wunder, und so spielte eine verängstigte und nicht sonderlich glücklich wirkende Band ein kurzes Set – und überlebte! „Liefer den Scheiß ab, und dann nichts wie weg!“ Kurz darauf zog der in Großbritannien geborene Mick Fleetwood nach Los Angeles, wo er vermutlich mit einer eher zivilisierten Reaktion auf seine Musik rechnen konnte.
Die anderen Festivals liefen stressfreier ab. Wir hörten von einer neuen Supergroup, die sich gegründet hatte und schon einiges an Vorschusslorbeeren erhielt. Die Gitarrenlegende Eric Clapton und der Drummer Ginger Baker (beide von Cream), Sänger und Organist Steve Winwood (vorher bei Traffic und der Spencer Davis Group) und der Bassist Ric Grech von Family hatten Blind Faith ins Leben gerufen. Als Manager fungierte der einflussreiche und mächtige Robert Stigwood, der schon Clapton und Baker bei Cream betreute. Peter und Andrew gelang es, Stigwood zu überzeugen, dass der beste Start für Blind Faith ein Free Concert im Hyde Park war.
Mr Stigwood hatte jedoch eine merkwürdige Einstellung zu dem Wort „Free“ [u.a. „kostenlos“], denn sein Büro rückte nur zögerlich die Gelder raus. Mir wurde ein Budget zugeteilt, mit dem man höchstens die Mahlzeiten für einige Obdachlose bezahlen konnte, von einer Riesenshow ganz zu schweigen. Doch die Idee, die Ersten zu sein, die Blind Faith präsentieren, begeisterte uns so sehr, dass wir tapfer weitermachten.
Irgendwie gelang es uns, eine kleine Bühne zu zimmern, ungefähr einen Meter hoch. Mit Erleichterung hörte ich am Morgen des Konzerts den Wetterbericht, die einen sonnigen und warmem Tag versprach. Denn wir hatten nicht genügend Geld zur Verfügung gehabt, um die Bühne wenigstens mit einer Plane zu schützen. Bis auf das fehlende Schlagzeug lief alles wie am Schnürchen. Das wurde in letzter Minute auf eine eher ungewöhnliche Art angeliefert.
Ein LKW fuhr bis an den Bühnenrand, und vier fette, kräftige Roadies luden das Drum-Set ab. Es war schon komplett aufgebaut und auf einer dicken Sperrholzplatte festgenagelt worden! Die Roadies zerrten dieses Monstrum aus dem LKW und wuchteten es mit der Kraft von vier Supermännern auf die Bühne. Ginger musste sich nur noch hinsetzen und spielen. Eigentlich hätten sie ihn auch mittransportieren können! Bei Ginger Baker, einem wilden Typen mit einer knallroten Mähne, war einfach alles denkbar.
An diesem glorreichen Sonnentag tauchten viele Größen aus der Musikszene auf, die sich hinter der Bühne sonnten – und Mick Jagger schlenderte mit Marianne Faithfull über das satte Grün des Rasens.
Die Stones hatten schon seit fast drei Jahren keine groß aufgemachten Shows mehr gespielt und spürten, dass sie Gefahr liefen, bald von der Bildfläche zu verschwinden. Bei dem Blind-Faith-Konzert konnte Mick aus nächster Nähe erleben, dass der Weg für seine Band auch in einem kostenlosen Gig bestand, denn so konnten sich die Stones vor vielen Zuschauern neu etablieren. Damals war „Free“ ein wunderbares Statement, denn die Musik stand vor dem finanziellen Imperativ. Dadurch wurde der zunehmenden Kommerzialisierung der Musikszene widersprochen. Wir führten eine lange und ernste Unterhaltung über die logistischen Hürden, die man bei einem solchen Konzert nehmen muss. Mick hasste die Bühne, die wir so schnell zusammengezimmert hatten, und ich pflichtete ihm bei. Wir einigten uns darauf, dass eine feste Plane absolut notwendig war, denn in Großbritannien ist man vor Regen nie geschützt – auch nicht an einem scheinbar heiteren Sommertag. Mir blieb nichts anderes übrig, als Mick und Marianne wiederholt zu erklären, dass ein Free Concert Kosten verursacht, weil Produktionskosten anfallen. Mick nickte mit bedächtiger Miene. Ich sagte ihm, dass er mich jederzeit über meinen Freund Alexis oder Blackhill erreichen könne. Dann machte er sich auf den Weg, in ein Gespräch mit Marianne vertieft. Als kleinen Wink für Mick spielten Blind Faith an dem Tag die Stones-Nummer „Under My Thumb“.
In vielerlei Hinsicht war die Show ein Durchbruch. Ein Free Concert dieser Größenordnung hatte niemals zuvor stattgefunden. Die Band wollte sich nicht ansagen lassen, da es rein um die Musik ging und nicht um dümmliche Ego-Trips. Die Leute saßen im Gras, kifften und ließen es sich gut gehen. Niemand wurde verhaftet, denn die Polizei entschied sich klugerweise, den Drogenkonsum zu ignorieren. 150.000 Menschen genossen einen wunderbaren Tag, und das Konzert wurde von allen als ein Riesenerfolg gefeiert.
Doch leider war die Musik nicht sonderlich gut. Die Band hatte hörbar zu wenig geprobt, und Clapton sah bleich aus, wirkte zurückhaltend und schien sich mit Drogenproblemen abzuplagen. Winwood sang den Großteil der Stücke mit seiner überaus kräftigen Stimme, sah aber so spindeldürr aus, dass ich ihm am liebsten ein ordentliches Essen zubereitet hätte. Ric Grech, der Bassist, saß im falschen Zug, und Ginger Baker spiele ein 15-minütiges Schlagzeugsolo, ganz nach seinen Wünschen. Die Band wirkte wie Cream, Teil 2, was Clapton eigentlich unter allen Umständen vermeiden wollte.
Auf das Debüt folgte eine US-Tour, und danach löste sich die Band einfach auf. Es überraschte mich nicht. Blind Faith stellten das perfekte Beispiel für die Devise „Schnapp dir die Kohle und hau ab“ dar, bedenkt man den Riesenerfolg ihres einzigen Albums. Schade und traurig. Sie verfügten über ein großes Potenzial, aber man hätte ihnen noch mehr Zeit geben müssen, um interessantere Songs zu komponieren.
Am Tag nach dem Konzert schrieb der Daily Mirror, eine der größten Tageszeitungen Großbritanniens, in einem Leitartikel: „In wenigen Ländern gelingt es über 100.000 Jugendlichen, so friedvoll zusammenzukommen und der Polizei keine Schwierigkeiten zu bereiten. [Es war] eine der bedeutendsten und liebenswürdigsten Versammlungen junger Menschen, die das Land jemals gesehen hat.“ Natürlich bedankten sich weder das Management oder die Musiker, doch das war uns egal. Wir hatten etwas bewiesen. Free Concerts in Londoner Parks konnten problemlos stattfinden, denn das Publikum interessierte sich für die Musik und wusste, wie man sich benimmt. Einfach, nicht wahr?
6. Organisationskünstler
Zwei Tage nach der Blind-Faith-Show fuhren Mick, Keith und Charlie Watts zur Cotchford Farm, wo Brian Jones lebte, und erklärten ihm, er sei gefeuert. Mick Taylor, sein Nachfolger, hatte Peter Green bei John Mayalls Band abgelöst und wurde in Londons Musikerkreisen als ausgezeichneter Blues-Musiker gefeiert. Er war jung und unverbraucht und zählte zu den besten Gitarristen des Landes, vergleichbar mit Brian Jones zu seinen Glanzzeiten. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger musste er sich nicht mit Drogenproblemen herumschlagen und konnte somit problemlos ein Arbeitsvisum in den USA beantragen, was Brian verwehrt worden war.
Als die Rolling Stones Blackhill verrieten, dass sie im Hyde Park spielen wollten, um Mick Taylor vorzustellen, stürzte ich mich mit manischer Energie auf das Projekt und erarbeitete einen grob umrissenen Plan, in dem ich die Grundkomponenten der Show festlegte: exakter Aufrittsort im Park, die Bühne und die Beschallungsanlage [kurz PA]. Vorsichtig einigten wir uns auf die Notwendigkeit eines Budgets. Die Stones schlossen einen Vertrag mit Granada Televison, die eine Dokumentation der Performance aufzeichnen sollten und im Gegenzug die Produktionskosten übernahmen.
Die Idee, das Konzert durch den Verkauf der Filmrechte zu finanzieren, stammte von Mick. Niemand hatte das zuvor versucht, besonders nicht bei einem Live-Event. Die Rolling Stones waren damals so populär, dass sich einer der größten Fernsehsender bereit erklärte, die Kosten zu begleichen. Natürlich hofften sie, das Investment werde sich durch die Fernsehübertragung des Films und die Filmrechte amortisieren. Bei der Stones-Tour im folgenden Jahr in den USA zog Mick erneut diesen Coup ab, wenn auch in abgeänderter Form.
Der Hyde Park liegt im Zentrum Londons,