Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten. Sam Cutler

Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten - Sam Cutler


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bessere Zukunft zu ermöglichen. Ihr Liebhaber, also mein Vater, hatte sie sitzenlassen und war während eines Einsatzes gefallen.

      Ich habe die Entscheidung meiner Mutter stets respektiert. Obwohl es mich heute noch schmerzt, unternahm ich nie den Versuch, sie aufzuspüren und zu ihr in Kontakt zu treten. Ich hoffe innigst, dass sie eine bessere Zukunft erlebt hat als viele der Iren, die in London leben. Ich kenne ihren vollständigen Namen, weiß aber nicht, ob sich noch lebt oder schon verstorben ist. Falls sie noch lebt, müsste sie mittlerweile schon über 80 sein. Im Grunde genommen gab sie viel für mich auf – Gott segne sie.

      Man verfrachtete mich nach Swansea in Wales, wo ich in einem katholischen Waisenhaus landete, doch schon mit drei Jahren adoptiert wurde. Als ich herausfand, dass mein Geburtsname Brendan Lyons lautete und ich von Iren abstammte, war ich mehr als dankbar – zum Glück war ich kein Brite und hieß auch nicht Cyril!

      Meine erste Erinnerung: Eine Nonne trug mich die Treppen des von Bomben schwer beschädigten Bahnhofs Marylebone hinunter und übergab mich meinen Adoptiveltern Ernie und Dora Cutler. Ich saß auf der Rückbank eines geliehenen Autos, und sie erzählten, dass sie für mich den Namen Sam ausgewählt hatten.

      Während der ganzen Fahrt heulte ich Rotz und Wasser, wie mir meine Adoptivmutter später erzählte. Zu Hause angekommen, setzte mich mein Vater auf den Küchentisch, damit mich eine Gruppe seiner Freunde bestaunen konnte. Mit seiner lauten Stimme übertönte er die Gesprächsfetzen und frohlockte: „Hier ist einer, den wir vor den Katholiken gerettet haben!“

      Meine neue Familie zog mich in Woodford auf, dem Wahlkreis von Winston Churchill, nahe dem Epizentrum der brutalen Bombardierung, mit der die Deutschen das Londoner East End zerstörten. Dora und Ernie hatten erlebt, wie der Albtraum des Kriegs eine einstmals aufblühende Gemeinde auseinanderriss, und wandten sich seitdem gegen jegliche Form kriegerischer Auseinandersetzungen. Meine Adoptivmutter nannte Churchill bei der ersten Begegnung einen „versoffenen alten Kriegstreiber“ und durfte von da an nicht mehr sein Wahlkampfbüro betreten.

      Meine Familie verachtete Churchill und verwandelte unser Haus in die Wahlkampfzentrale der Kommunistischen Partei, die beim nächsten Urnengang gegen ihn antrat. Na ja, die Kommunisten verloren haushoch. Durch ihre politische Einstellung machten sich meine Eltern nicht sehr beliebt, besonders nicht beim Hauseigentümer, der sich benahm wie Attila, der Hunnenkönig.

      Von frühster Kindheit an erlebte ich Erwachsene als Dauerleser, die ihr Buch auch nicht zum Essen weglegten. Im Haus meiner Eltern standen neben vielen anderen Büchern die gesammelten Werke von Marx und Engels, Lenin, Stalin und Mao, praktisch jeder Schinken aus dem linken Spektrum, der in einer Club-Edition erschienen war. Allerdings besaßen wir weder Trotzki noch die Bibel.

      Ständig kamen und gingen Besucher, und wahrscheinlich hätten die „Roten“ sich auch noch unter die Betten verkochen, wenn sie gewusst hätten, dass dort noch mehr Bücher lagerten. Wir fungierten als Gastgeber für die unzähligen Menschen, die zeitweise der Partei angehörten. Sie schliefen, wo immer sie einen Platz fanden, und debattierten die großen Fragen der Zeit mit Intelligenz und Eifer.

      Doch neben den Menschen und den Büchern gab es auch noch die Musik! Musik für die Leute und von ihnen aufgeführt. Ich erinnere mich liebend gerne an die wunderbaren Partys, auf denen die versammelten Erwachsenen selbstgebrautes Bier tranken und voller Inbrunst Volkslieder, Shanties und politische Stücke sangen. Während der Nachwuchs anderer Eltern Kinderliedchen lernte, wurde ich mit Gewerkschaftssongs, Lobeshymnen auf Stalin und die Rote Armee und einigen Stücken aus dem Gesangbuch unseres Wahlbezirks aufgezogen. Die Erwachsenen versammelten sich um das von meiner Mutter gespielte Klavier und sangen beherzt bis in die tiefe Nacht. Man müsste eigentlich annehmen, dass ich die Texte dieser obskuren Politsongs nach zahlreichen LSD-Trips und den Erfahrungen in den Drogen-geschwängerten Sixties vergessen hätte, doch bis zum heutigen Tag klingen sie wie Echos aus dem entfernten Land meiner Vergangenheit.

      Meine Familie veranstaltete häufig Gedenkfeiern für die Menschen, die ihr junges Leben für das Ziel einer spanischen Republik gelassen hatten. Sie kämpften für die legitime Regierung von Spanien und wurden von der vereinten Streitmacht der deutschen und italienischen Armee niedergemetzelt, die die Faschisten unterstützte. Die Erinnerungen an den spanischen Bürgerkrieg ermahnten die Erwachsenen an ihre eigene Verantwortlichkeit und bedeuteten ihnen sehr viel. Sie brachten einen Toast auf die Republik aus und schrien: „Viva!“

      Unser Vermieter bezeichnete meine Eltern einmal als „verfluchte Heiden“, woran ich mich nur allzu deutlich erinnern kann, doch uns war das egal. Das Christentum betrachteten sie als ein verachtenswertes Instrument zur Unterdrückung der Leichtgläubigen, Schwachen und Schutzlosen. Weihnachten wurde in meiner Kindheit wie ein altes und größtenteils sinnloses Fest der Ungläubigen zelebriert, wohingegen die Erwachsenen Silvester lautstark und gut gelaunt feierten. Wir durften sogar bis Mitternacht aufbleiben, aber dann brachten sie uns schnell ins Bett. Bei den Feiern spielte die Musik eine zentrale Rolle, und das Highlight war immer, wenn Mum „The Socialist Sunday School“ sang, dessen Text ich nicht vergessen habe.

      Die Sonntagsschulen der Sozialisten wurden als Gegenpol zu den kirchlichen Institutionen gegründet. Man eröffnete die Unterrichtstunden mit folgendem Leitspruch: „Wir wollen gegenüber allen Männern und Frauen gerecht sein und ihnen Liebe geben, wie Brüder und Schwestern gemeinsam arbeiten, jedes Lebewesen mit dem gebührenden Respekt behandeln und somit eine neue Gesellschaftsform erschaffen – die auf Gerechtigkeit gegründet ist und deren oberstes Gebot Liebe lautet.“

      Auch am Ende einer Zusammenkunft hörten wir ein abschließendes Credo: „Wir haben uns in Liebe getroffen. Lasst uns in Liebe scheiden. Mag nichts Unwürdiges die Sanftheit und das Schöne dieses guten Tages stören oder beflecken. Lasst uns die Zeit bis zum nächsten Treffen ehrenwert verbringen. Lasst uns die Tore und die Mauern der Stadt des reinen Herzens errichten.“ Bedauerlicherweise eröffnete und beschloss ich die Meetings mit den Grateful Dead nicht mit diesen Zeilen. Vielleicht hätte das einen Unterschied gemacht!

      Dora erzog mich ganz im Sinne der sozialistischen Sonntagsschule. Allerdings muss ich zugeben, dass ich nicht nach ihren Lehren lebte, obwohl ich es versucht habe. Trotzdem spielten diese Ansätze eine tragende Rolle in meiner Lebensführung. Die sozialistischen Prinzipien sind eine wichtige Orientierungshilfe in einer Welt der ungezügelten Gier, des Profitstrebens, das über allem anderen steht, und der Zerstörung unseres wunderbaren Planeten.

       Schätze deinen Schulkameraden, der dein Arbeitskollege im Leben sein wird.

       Liebe das Lernen, die Nahrung des Bewusstseins, und danke deinen Eltern und Lehrern.

       Mache durch nützliche Beschäftigungen und sanftmütige Taten aus jedem Tag einen heiligen Tag.

       Ehre das Gute, sei zu allen höflich und beuge dich niemandem.

       Hasse keinen anderen und sprich nicht schlecht über sie. Sinne nicht auf Rache, aber stehe für deine Rechte auf und stelle dich gegen die Unterdrückung.

       Sei nicht feige. Sei den Schwachen ein Freund und liebe die Gerechtigkeit.

       Denke immer daran, dass das Gute auf der Welt durch die Arbeit ermöglicht wird. Wer ohne Arbeit die Freuden des Lebens genießt, stiehlt den Arbeitern das Brot.

       Beobachte und denke mit Bedacht, um die Wahrheit zu erkennen. Glaube nicht an das, was gegen alle Vernunft steht, und täusche niemals dich selbst oder die anderen.

       Glaube nicht daran, dass die Menschen, die ihr Land lieben, andere Länder hassen und verachten müssen oder den Krieg wollen, der ein Überbleibsel der Barbarei ist.

       Arbeite auf den Tag hin, an dem alle Männer und Frauen freie Bürger eines Vaterlands sind, und lebe in Frieden zusammen mit deinen Schwestern und Brüdern.

      Ernest George Cutler, mein Adoptivvater, litt an Osteomyelitis, einer schreckliche Krankheit, bei der sich die Knochen zersetzen. Vor der Entdeckung der Antibiotika verursachte das Leiden große Schmerzen und führte zu einem qualvollen und schmerzhaften Tod. Seine Beine und der Brustkorb waren von hässlichen Narben übersät, da die Chirurgen verzweifelt versucht hatten, das Fortschreiten der furchtbaren


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