Der Papst kommt. Andrea Hensgen

Der Papst kommt - Andrea Hensgen


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Sitzenden bereits eine Gemeinschaft bilden. Dabei gibt es keine einzige Erinnerung, die diesen Verdacht bestätigt hätte, während Koljas vieler Zugfahrten, dass ihm einer bloß zugenickt hätte, in stummem Einverständnis, nachdem ein anderer sich verabschiedet hatte.

      Setzt sich darin die erste Erfahrung von Gemeinschaft fort? Eine verschworene Gemeinde, wie ein kleines Dorf, erkennt sofort und beobachtet sorgsam jeden Fremden. Oder verfahren die meisten Leute nicht ähnlich?

      Simona öffnet die Augen.

      Mit einem verschämten Lächeln weicht sie der Erklärung aus, warum sie sich den Anschein gibt, als kehre sie aus Träumereien zurück.

      „Und, hast Du Deine Gedanken mittlerweile geordnet?“

      Sie streckt sich nach allen Ecken, wie ein eben aufgewachtes Kind, neigt den Kopf zur Schulter und sieht Kolja unschuldig an. Es fehlte nur noch, dass sie sich die Augen reibt.

      „Ein gelungenes Bild, würde ich sagen.“

      „Hey!“

      Sie richtet sich auf.

      „Jetzt bin ich ja mal gespannt.“

      Ihr fester Entschluss, ihm einen Vorschuss zu geben, liegt blank und offen in ihrem Gesicht, und Kolja weiß nicht, warum und auf was.

      „Weil alles drinsteckt, was Du mir eben erklärt hast.“

      „So leicht kommst Du mir nicht weg!“

      „Wer ist denn hier der Kunstexperte? Ich kann Deinem Urteil nur zustimmen.“

      „Und Du hast selbst überhaupt nichts darin entdeckt?“

      Sie schiebt ihre Beine unter den Hintern und wippt leicht im Schneidersitz vor und zurück. Das Licht der Abendsonne bricht zwischen zwei Wolkenstreifen auf und eine überraschend schöne Sanftheit entspannt ihr Gesicht.

      Sie jetzt an den Schultern fassen, die Hände an ihre Wangen legen und auf dieser warmen Haut wandern lassen – Kolja senkt den Blick zu Boden.

      Sie könnte fast seine Tochter sein, viel zu unbedarft jung für ein Liebesverhältnis und für eine schwesterliche Freundin zu bedürftig, zu schwach. Seit ein paar Jahren gelingt es Kolja meist überraschend schnell und gut, das ab und an drängende Verlangen nach einer Frau zu besänftigen mittels der zur Genüge wiederholten Erfahrungen. Viel zu oft spannte sich gereizter Überdruss erschreckend bald über die anfängliche Begierde.

      Er hält die Augen auf den Boden gerichtet. Simona würde es nur falsch deuten, was ihr sein Gesicht in diesem Moment an Nähe verspricht.

      In der nüchternen Einschätzung, dass Kolja an diesem Gespräch über Kunst nichts liegt, nicht jetzt, treibt Simona das Spielchen weiter. Mit Blicken, scheinbar zufälligen Gesten, in ihrer Absichtslosigkeit nur umso verräterischer, sucht sie die Stimmung leichthin auszuweiten, als hinge sonstwas daran, Kolja für sich zu gewinnen.

      „Oder ist das Gerede schuld, der Papst und Jesus an allen Ecken und Enden, dass Du keinen Spaß hast an dem Bild?“

      Selbst Koljas Mitleid wäre Simona ein Funken Glut für ihr glimmendes Feuerchen an Hoffnung. Kolja ist das Geplänkel mit einem Mal leid. Zu Grien fällt ihm in der Tat nichts ein. Er sucht nach Eindrücken von vor Jahren besuchten Ausstellungen.

      „Reichen denn nicht alle guten Bilder darüber hinaus, was sie abbilden, oder führen tiefer, wie immer Du es nennen willst.“

      Da grinst sie, als sei ihre Strategie geradewegs aufgegangen, und Kolja endlich auf ihre Spur eingeschwenkt, ja als sei statt ihrer Kolja nun in der Not, mittels der Rede über die Kunst allem anderen auszuweichen, was an diesem Nachmittag ebenso gut beginnen könnte.

      „Nenne mir mal ein Bild, an das Du jetzt denkst!“

      Die Frage hat Kolja erwartet.

      „Morandis Vasen und Krüge zum Beispiel. Sein Leben lang hat er nichts anderes gemalt und gezeichnet, immer wieder die gleichen Gefäße, mal in dieser, mal in jener Stellung. Nie im Leben stünden so viele Menschen vor seinen Bildern, ginge es bloß um diese Karaffen oder Flaschen.“

      „Und worum geht es dann?“

      Kolja zögert, sucht nach etwas in Simonas Blick jenseits dieses Spielchens, bevor er weiterspricht.

      „Auf mich wirkt es, als wollte Morandi durch diese Krüge hindurchdringen, bis hin zu ihrer Auflösung oder Einswerdung mit ihrer Umgebung, mit dem Tisch, auf dem sie standen, oder mit dem Blatt Papier, auf das er diese Linien und Striche setzte, ich weiß es nicht. Am Ende hat er seinen Anteil immer mehr zurückgezogen, mit ein paar feinen Linien Umrisse nur noch ­angedeutet. Da könnte die Rundung eines Krugs genauso gut ein Hügel sein, seine sanfte Kuppe.“

      „Das kapiere ich nicht.“

      Vorgetäuschtes Unverständnis, Kolja soll bloß nicht aufhören zu reden – er schließt die Augen, für Sekunden, und führt es fort.

      „Fangen wir vorne an, bei der konkreten und abstrakten Kunst. Die eine hält an den realen Dingen fest, die andere löst sie auf, in Farben und Formen, die alles und nichts bedeuten können. Wir Betrachter übersetzen, füllen dieses Abstrakte wieder mit Ideen oder mit eigenen Erfahrungen, wie Du willst. Dieser Gegensatz greift nicht mehr bei Morandis Bildern. Seine Krüge bleiben erkennbare Krüge. Und zugleich lösen sich ihre Grenzen, bis sie am Ende mit dem Grund verschmelzen oder der Grund durch sie hindurch scheint. Dabei ist es doch dieser Grund, vor dem sie ­eigentlich erst Gestalt gewinnen.“

      Simona wendet sich um, presst ihren Rücken an das seitliche Geländer der Bank und setzt sich im Schneidersitz provozierend dicht vor Kolja. Das T-Shirt spannt über ihrer Brust, deutlich heben sich die Brustwarzen darunter ab.

      „Klingt ja fast religiös – mit dem Grund zu verschmelzen!“

      Sie reizt es aus, neigt den Kopf zur Seite.

      Kolja lehnt sich zurück.

      „Da haben sich schon schlauere Köpfe dran versucht, es in präzise Worte zu fassen.“

      „Versuche es doch mal ganz profan!“

      Die Kette gleitet über ihre nackte Schulter. Gleichmäßig gebräunte, glatte Haut, die verführt, ohne dass Kolja mit mehr als seinen Augen darüberstreift. Abrupt löst er seinen Blick. Da ­lassen auch ihre Augen ab von seinem Gesicht, heften sich an irgendwas in Koljas Rücken, als wollte sie es ihm damit leichter machen, dass sie ihre Aufmerksamkeit von ihm nimmt.

      „Hast Du es noch nie erlebt, Dich in etwas aufgehoben zu fühlen und dabei ganz leicht, ganz unwichtig zu werden?“

      Ihr Blick schnellt zurück.

      „Von was denn?“

      Kolja zögert.

      „Ich weiß es nicht. Aber Morandis Bilder erinnern mich daran.“

      Er greift nach ihrer Hand und legt sie in seine beiden Hände, – was völlig unsinnig ist und was dieser Augenblick nichtsdestotrotz erzwingt.

      „Malen widersetzt sich der Vergänglichkeit, indem es das Hier und Jetzt über die Zeiten hinweg bewahrt, so heißt es doch. Ich glaube, Morandi gelingt es gerade im Gegenteil, unsere Vergänglichkeit zu fassen – und das gibt seinen Bildern diese Ruhe. Mit unserem begrenzten Leben, als einzelner Mensch, sind wir ­vielleicht viel weniger etwas von allem anderen Getrenntes, das allein aus sich selbst Gestalt gewinnt, als wir es glauben wollen.“

      „Nicht schlecht, was Du alles in Morandis Krügen entdeckst!“

      Simona neigt den Blick hinab zu ihrer beiden Hände, und Kolja sieht auf ihre schmalen Schultern, folgt wieder diesen Linien zwischen Hals und Brust, wo die Haut sich straff über die Knochen spannt. Immer scheint ihm hier das Schutzlose auf, weil es so bloß, so offenbar vor Augen tritt, wie der Körper von der Haut umschlossen wird, dieser feinen, verletzlichen Grenze, unter der sich ein Inneres verbirgt, unberührbar, unbegreifbar – im Letzten die Seele, was sonst.

      Er spürt die Wärme


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