Der Papst kommt. Andrea Hensgen

Der Papst kommt - Andrea Hensgen


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sie aus großartigen Gemälden strahlen zu sehen, in menschenleeren Sälen.

      „Glaubst Du, dass die Bilder unsere Blicke spüren?“

      Kongress-Hotel

      Weitaus schwerer als alle übrigen Besonderheiten der Stadt wiegt für Kolja die ganz und gar neue Erfahrung, sein Büro mit einem Zweiten teilen zu müssen. Ein harmloser Junge Anfang zwanzig namens Jan, gutwillig und in jeglicher Hinsicht sorglos, was die Zukunft betrifft. Von Kolja will er viel lernen und mit seiner Freundin zusammenziehen, sobald der Umbau des Dachstuhls im Haus seiner zukünftigen Schwiegereltern abgeschlossen sein wird. Daran hilft nach seinen Auskünften die gesamte männliche Hälfte der Familie am Feierabend kräftig mit.

      Am vierten Montag in diesem Betrieb, während er die Treppe hinaufsteigt und sein Blick wie an jedem Morgen unweigerlich auf dem Lächeln der Pappfigur landet, eine fast lebensgroße Frau in dem blauen Anzug, den hier alle Arbeiter tragen, nimmt Kolja vorweg, was ihn gleich erwartet. Die Spielergebnisse seiner Mannschaft, Jan trainiert die Jungs des Fußballvereins, der ihm selbst bis vor drei Jahren jede Menge Siege verdankte.

      Mit gleichgültiger Höflichkeit hört ihm Kolja zu, als hätte er keinerlei Erfahrungen auf diesem Feld. Jan wäre der Letzte, dem es einfiele, an Augenscheinlichem zu zweifeln. Da entschlüpft Kolja unbedacht sein Erlebnis mit dem kleinen Wüterich und ­dessen zweimaligem Platzverweis.

      „Die hellblauen Schuhe hätte ich dem schon gleich verboten, solche Extravaganzen gibt’s bei mir nicht.“

      Kolja nickt.

      „Stimmt, wenn Unterschiede von vorneherein ...“

      „Und dann hellblau, das geht gar nicht. Überhaupt, ich hätte den erst mal schmoren lassen, auf keinen Fall gleich wieder in der zweiten Halbzeit eingesetzt.“

      Jan tippt mit seinem Stift ein paar Mal fest auf den Tisch, während Kolja seiner Sympathie nachsinnt, für diesen Kleinen, noch zu jung und unerfahren, um die eigene Überlegenheit auszuspielen, ohne sich damit den Neid aller Zweitklassigen einzukassieren – das Telefon klingelt.

      Der Mann an der Pforte meldet einen Vertreter. Kolja erwidert, er werde Jan hinunterschicken.

      „Nicht mehr als zehn, höchstens fünfzehn Minuten, mehr Zeit braucht es dafür nicht. Trinken Sie in der Kantine einen Kaffee mit ihm und versuchen Sie herauszubekommen, wie es bei den anderen läuft!“

      Jan ist fast einen Kopf größer, sein Körper trainiert, elastisch – jünger. Kolja sieht auf Jans Rücken, bis die Tür hinter ihm ­zufällt, hört dessen schnellen Schritte auf dem Flur, steht auf und stellt sich ans Fenster.

      Hohe Bambusbüsche auf dem Streifen Grün in der Mitte ­zwischen Reihen neuer Bürogebäude. Auch an seinem vergangenen Arbeitsplatz schwang Kolja Bambus entgegen. Es verbindet sich offenbar leicht mit den gängigen Attributen der Wirtschaft. Die feinen Äste schwingen mit jedem Windstoß, das lichte Blattwerk weist auf Tansparenz. Zudem wächst Bambus außerordentlich schnell. Der Grundstein zur Bebauung dieses Gewerbegeländes wurde erst vor drei Jahren gelegt. Bereits jetzt bietet es keine freien Flächen mehr. Vor allem junge Firmen siedelten sich hier an, die Stadt förderte den „Industrie- und Medienpark“ mittels billiger Bauplätze.

      Kolja wird nichts Vernünftiges zustande bringen in diesem halben Jahr, Jan Tisch an Tisch gegenüber, acht Stunden am Tag. Falls es keinen freien Raum mehr geben sollte, wird Jan als Dritter seinen Schreibtisch in einem anderen Zimmer dazu schieben müssen – sonst hätten sich Koljas Auftraggeber das viele Geld für ihn sparen können.

      Jan wird ihn bloß ratlos und enttäuscht anstarren, wie auch immer Kolja es begründen wird, dass er unbedingt ein eigenes Büro benötigt.

      Eine Amsel hüpft auf dem Rasen hin und her, als steckte ihr ein aufgeblasener Luftballon im Bauch, springt senkrecht in die Höhe, ohne Flügelschlag, ohne Anstrengung, und plumpst ­genauso bewegungslos wieder zu Boden.

      Eine Weile lang beobachtet Kolja den Vogel, bis den etwas aufschreckt und er plötzlich aus seinem Blickfeld verschwindet. Jan steht in der Tür und hält Kolja mit beiden Händen einen Stapel Werbeprospekte entgegen.

      „Mann, war der hartnäckig, nächste Woche kommt er wieder.“

      „Hat er denn was Neues zu bieten?“

      Jan lässt den Packen auf den Tisch an der Wand fallen.

      „Keine Ahnung, müsste man das Zeug da mal durchgucken.“

      „Dann fangen Sie gleich an! Am besten legen Sie eine Liste der neuen Produkte an, einschließlich der zusätzlichen Funktionen und der geänderten Preise. Am besten an dem Tisch am Fenster, da ist mehr Platz.“

      Bis zur Mittagszeit fällt kein Wort. Jan müsste es selbst wissen, dass alle Zulieferer ihre neuen Angebote online präsentieren und sich seine Arbeit in Minuten erledigen ließe. Kolja sieht keinen Grund, weshalb ein schlechtes Gewissen seine Entspannung während des Vormittags schmälern sollte. Eine Weile ruht sein Blick auf Jans Rücken, und Kolja verliert sich in der Vorstellung, welche Zuversicht Jans Freundin, die gesamte Familie aus diesem Kerl da vor ihm schöpft. Vom aufgeweckten Schuljungen zum voranstürmenden Fußballspieler, zum Controllingasisstant, zum Jugendtrainer, zum jungen Familienvater, Abteilungsleiter und Vereinsvorstand – Kolja tut ihm wahrscheinlich nicht unrecht mit dieser Reihe von Erfolgen, wollte man diese Stationen so nennen. Es wäre müßig, dem nachzugehen, was nötig gewesen wäre, um statt des vorgebahnten Wegs einen anderen Lebenslauf entstehen zu lassen. Letzte Woche hat Jan mit fast der Hälfte des Dorfes seinen zweiundzwanzigsten Geburtstag gefeiert.

      Spätestens heute Abend wird Kolja über eine unverdächtig-harmlose Begründung für den notwendigen Raumwechsel nachdenken, nach dem letzten Saunagang, entspannt im Ruheraum. Auf keinen Fall darf der subtile Rauswurf Jans Ehrgeiz bremsen. Im Grunde ist er ja ein feiner Kerl.

      Das Äußere des Kongresshotels lädt kaum dazu ein, in seinem Inneren nach Entspannung zu suchen.

      Ein quadratischer, schnörkelloser Block, dessen Fassade von den dicht aufeinanderfolgenden hohen, schmalen Fenstern bestimmt wird. Die Stadthalle unmittelbar neben dem Hotel empfängt ihre Besucher mit einem prächtigen Säulengang. Wie eine Schwelle bietet er einen Übergang zwischen dem profanen Vorplatz und der Würde des Gebäudes.

      Dies wird der schmalen Terrasse entlang der Längsseite des Hotels nicht gelingen. Statt auf einen begrenzten, überschaubaren Platz zu weisen, setzt sie die Gäste des Hotel-Restaurants dem beständigen Verkehr von Autos und Straßenbahnen aus, knappe zehn Meter von ihren Tischen entfernt. Wie ein hilfloser Versuch, dennoch Gäste anzulocken, spannt sich ein großes Transparent über die Terrasse, das in unübersehbar fetter Schrift den Preis verkündet, den kein Karlsruher für ein Sonntagsfrühstück zu zahlen bereit sein wird, Sommerbrunch hin oder her.

      Durch die Errichtung dieses Hotels direkt neben der erst ein paar Jahre zuvor aufwändig im Stil des Klassizismus restaurierten Stadthalle würde der Platz seine Großzügigkeit und die Stadthalle die ihr angemessene Weite verlieren, so hat ihm Simona die Stimmung in der Stadt im Vorfeld der Entscheidung zu diesem Bau erklärt. Die Stadtoberen haben dennoch gegen den Bürgerwillen ihren Ehrgeiz durchgesetzt, inmitten der Stadt ein Hotel zu präsentieren, das keinen Anspruch heutiger Messebesucher unbefriedigt lässt.

      Im Inneren der übliche Stil gehobener Hotelketten, eine ­dezente Einrichtung, Stahl, Glas und Schwarz, unaufdringlicher Luxus, leise, bedeutungslose Musik. In allem ein Hintergrund, der ebenso wie das beflissene Personal in gleich welcher Stadt eine Annehmlich­keit verspricht und erfüllt, die nur dann auffällt, wenn sie fehlt.

      Oft genug hat Kolja in solchen Häusern übernachtet. ­Ansons­ten wäre es ihm ebensowenig wie den Leuten hier in der Stadt eingefallen, die Sauna des Hotels zu benutzen, ohne dessen Gast zu sein. Nach zehn Uhr gehören ihm die Räume allein, manchmal schon um neun. Kaum einer der Geschäftsleute, die in diesem Hotel absteigen, scheint den Besuch einer Sauna als außerordentlich erholsam einzuschätzen.

      Kolja mag die leichte Müdigkeit, die weiche Wärme seines Körpers, und nackt zu sein.


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