Verbrannte Erde. Marie Kastner

Verbrannte Erde - Marie Kastner


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ersehnte Reise würde dem Harzer Inferno zum Opfer fallen, daran gab es nach Lage der Dinge wenig zu zweifeln.

      *

      Die Gänge des Wernigeröder Revierkommissariats wirkten wie leergefegt. Wo sich üblicherweise jede Menge Kollegen tummelten, herrschte heute gähnende Leere. Jeder halbwegs abkömmliche Polizist wurde zur Unterstützung der Feuerwehr gebraucht. Die Beamten mussten Straßen absperren, Evakuierungen unterstützen und starrsinnige Anwohner mit Nachdruck dazu bewegen, bedrohte Häuser rechtzeitig zu verlassen.

      Die meisten Dienstzimmer lagen verwaist in der hereinblinzelnden Mittagssonne. Manch ein angebissenes Brötchen kompostierte auf den Schreibtischen langsam vor sich hin. Der Einsatzbefehl musste Maders Kollegen auf dem kalten Fuß erwischt haben. Im flotten Stechschritt marschierte er zu Marit Schmidbauers Büro, Julia konnte ihm kaum folgen.

      Was für ein Glück, sie war anwesend, telefonierte gerade. Mit einer Handbewegung lud sie die Maders ein, sich zu setzen.

      » … was, inzwischen schon bis zum Scherstorweg? Das darf doch alles nicht wahr sein! Ich verstehe ja, dass Sie noch Leute brauchen, aber unsere Kapazitäten sind erschöpft! Tut mir leid, aber da müssen Sie leider andere Reviere bemühen, wir können keinen einzigen Polizisten und kein Fahrzeug mehr entbehren«, sagte Marit bedauernd. Sie legte stöhnend auf.

      »So weit hat sich der Brand innerhalb dieser kurzen Zeit ausgebreitet? Dann existiert unser Häuschen bestimmt nicht mehr«, jammerte Julia. Sie hielt sich beide Hände vors Gesicht.

      Marit sah sie mitleidig an, zuckte mit den Schultern.

      »Kann ich wirklich schlecht sagen, die Ereignisse überschlagen sich. Der Ortskern von Elend steht jedenfalls noch, das hat mir ein Kollege erst vor ein paar Minuten durchgegeben. Das Feuer breitet sich momentan eher nach Nordost aus, weil der stürmische Wind in diese Richtung gedreht hat.«

      Sie sah Bernd lange und tief in die Augen. Viel zu lange und viel zu tief für Julias Geschmack.

      »Wenigstens seid ihr heil davongekommen. Ich hatte mir bereits Sorgen gemacht, weil ich dich weder am Handy noch über Festnetz erreichen konnte.«

      »Kein Wunder. Wir saßen entspannt auf der Terrasse, als es losging. Mein Smartphone ist mittlerweile vermutlich zu einem Plastikklumpen zerschmolzen, es lag daheim auf dem Schreibtisch«, entgegnete Mader voller Sarkasmus.

      »Wie dem auch sei … zurück nach Hause dürft ihr fürs Erste sowieso nicht. Ich hätte eine bequeme Klappcouch anzubieten, wo ihr übernachten könntet. Mein Apartment ist klein, aber für ein paar Tage müsste es erträglich sein. Wobei … geht euer Flug nicht morgen Abend?«

      Bernd musste kurz und trocken lachen. Diese Marit! Als ob ihm jetzt noch nach Urlaub zumute gewesen wäre.

      »Sehr witzig. Die Bordkarten sind genau wie unsere Reisepässe abgefackelt. Außerdem, wofür hältst du mich? Die Urlaubslaune ist mir gründlich vergangen. Nie im Leben würde ich euch in einer solchen Situation hier im Stich lassen. Allerdings ... Felix kann nicht auf Dauer im Revier bleiben. Ich frage sehr ungern, aber könnten wir diesen pelzigen Kerl einstweilen bei dir in der Wohnung unterbringen? Er wird jetzt allmählich unruhig. Für gewöhnlich kratzt er nicht an Möbeln, keine Sorge.«

      Sie schob der unglücklich dreinblickenden Julia einen Schlüsselbund über den Schreibtisch.

      »Klar! An meiner alten Einrichtung kann man ohnehin nicht mehr viel ruinieren, ich bin schon zweimal damit umgezogen. Ich würde sagen, du besorgst eine Transportbox und die Zutaten für ein provisorisches Katzenklo und quartierst den Stubentiger schon mal bei mir ein, die Adresse ist Sägemühlengasse 12. Du findest sie in der Nähe des Westerntorturms, falls du den kennst. Und wir beide versuchen derweil bei unseren Kollegen vor Ort neueste Infos über Elend zu kriegen, okay?«

      Julia zögerte für einen Moment. Eigentlich war es ihr gar nicht recht, die beiden alleine zu lassen. Täuschte sie sich, oder wollte Marit sie loswerden? Abgesehen hiervon, musste Felix wirklich irgendwo untergebracht werden, obgleich er momentan friedlich auf ihrem Schoß döste. Eine Katzentoilette tat früher oder später ebenfalls not. Sie würde das Angebot also annehmen müssen, obwohl es ihr nicht recht schmecken wollte.

      Katzenklo macht Katze froh, wie Helge Schneider zutreffend gesungen hat. Na schön, vielleicht lenkt mich das Einkaufen ein bisschen ab. Ich werde sonst echt noch wahnsinnig. Kaum glaubt man, dass endlich alles in Butter ist und freut sich auf eine kleine Auszeit mit seinem Liebsten, passiert sowas Fatales. Den Verlust an Lebensqualität kann uns keine Versicherungssumme dieser Welt ausgleichen, haderte Julia.

      »Vielen Dank für das nette Angebot. Aber die Sache mit dem Urlaub sollten wir uns nochmals überlegen, Bernd. Unsere Koffer mit den notwendigsten Utensilien liegen im Auto. Außerdem sind die wichtigsten Papiere im Kofferraum, inklusive Brandversicherungspolice. Also … falls unser Häuschen erwartungsgemäß abgebrannt sein sollte, hätten wir wenigstens für die nächsten Wochen ein Dach über dem Kopf und könnten den lästigen Versicherungskram in Ruhe von Spanien aus regeln. Schließlich fallen innerhalb der EU keine Roaming-Gebühren mehr an.«

      Bernd wirkte ob so viel Pragmatismus ehrlich verblüfft.

      »Du hast das Zeugs trotz heller Panik tatsächlich noch mitgenommen? Respekt … dann besitzen wir wenigstens Klamotten zum Wechseln. Aber nach einem Spanienflug ist mir trotzdem nicht ansatzweise zumute, wie du dir vielleicht denken kannst. Jetzt bring du erstmal unseren Kater unter. Wir müssen in dieser beschissenen Situation von einer Minute zur anderen entscheiden, können momentan absolut keine Urlaubspläne schmieden«, entschied der Kommissar kopfschüttelnd. Er widmete sich wieder seiner Kollegin, welche konzentriert den Polizeifunk mithörte. Die beiden steckten die Köpfe zusammen.

      Julia fühlte sich überflüssig. Sie trollte sich, nahm sich jedoch vor, dass in der Spanien-Angelegenheit das allerletzte Wort noch nicht gesprochen war. Sie hatte da ja wohl ebenfalls mitzureden.

      Vierzig Minuten später war Bernds frischgebackene Ehefrau mit ihren Einkäufen zurück. Sie verfütterte Leckerlis an Felix und befüllte das Katzenklo mit Streu, dann eilte sie zu den Anderen an den Schreibtisch. Sie hatte sich nicht dazu entschließen können, gleich zu Marits Wohnung zu fahren.

      »Gibt’s was Neues?«

      Bernd kratzte sich stirnrunzelnd am Hinterkopf.

      »Ja … und nein. Schau, die Crew des Aufklärungshubschraubers hat vor fünf Minuten das Brandgebiet auf dieser Karte rot eingezeichnet. Danach liegt unser Haus haargenau auf der roten Linie, es könnte theoretisch also mit abgebrannt sein. Genaueres konnten wir leider nicht herausfinden, weil diese Straße mit als erstes evakuiert wurde und seither niemand mehr vor Ort gewesen ist. Außerdem ist das Feuer bislang nicht unter Kontrolle, wird sich voraussichtlich noch ausbreiten. Glücklicherweise sind für heute Nacht Gewitter mit starken Regengüssen vorhergesagt und die könnten bei der Brandbekämpfung helfen. Hoffen wir also das Beste.«

      »Immer optimistisch bleiben, ja? Ihr beide fahrt jetzt bitte zur Wohnung, während ich hier weiter die Stellung halte. Ruht euch aus, bedient euch nach Belieben am Kühlschrank. Sobald ich was Neues erfahre, rufe ich euch auf meiner eigenen FestnetzNummer an. Ihr könnt also ruhig ans Telefon gehen.

      Und Bernd, du darfst mich gerne heute Nacht hier ablösen. Remmler hatte eh schon angeregt, dich aus dem Urlaub zurückzupfeifen«, meinte Marit gähnend.

      »Als ob ihr nicht gewusst hättet, dass ich mit neunundneunzig Prozent Wahrscheinlichkeit ohnehin im Revier aufkreuzen werde«, brummte der Kommissar augenrollend.

      »Genau das habe ich dem Alten prophezeit. Sogar mit denselben Worten«, grinste die junge Polizistin verschmitzt.

      Julia spürte einen weiteren schmerzhaften Stich der Eifersucht in ihrer Herzgegend. Die harmonische Übereinstimmung in der geistigen Wellenlänge dieser beiden fand sie schlicht und einfach zum Kotzen.

      In Marits Wohnung angekommen, nahm der Kater sogleich sein neues Revier in Augenschein. Julia klappte die Couch aus, verstaute die Koffer im Flur und brachte Waschzeug ins winzige Badezimmer.

      Bernd


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