Verbrannte Erde. Marie Kastner

Verbrannte Erde - Marie Kastner


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Giftgasangriffe in Syrien – und so weiter und so fort. Wann und wo immer du in der Weltgeschichte nachforschst, stets waren Männer für die allergrößten Katastrophen verantwortlich.

      Gut, wir Frauen können natürlich auch fies werden, aber auf völlig andere Weise und nicht in diesem desaströsen Ausmaß für ganze Volksgruppen«, philosophierte Verena grimmig.

      Marit fand es insgeheim frappierend, dass eine, die mit ihrem kantigen Körperbau und dem Herrenkurzhaarschnitt selber fast wie ein Mann aussah, diskriminierende Sprüche über die Herren der Schöpfung von sich gab. Nicht zum ersten Mal hatte Verena heute dieses Thema angeschnitten. Sie musste wohl schon einige negative Erfahrungen mit dem stärkeren Geschlecht hinter sich haben. Oder es lag daran, dass auch sie zum Opfer von Remmlers ekelhaften Grabsch-Attacken geworden war. Vielleicht hatte sie deswegen die Nase von Männern gestrichen voll.

      Noch immer ahnte niemand im Revier, dass Verena Kant eine Lesbe war. Als solche verspürte sie das Bedürfnis, der hübschen Marit ein wenig näher zu kommen, ach was, sehr viel näher. Sie hatte mitgekriegt, dass die schlanke Brünette seit längerer Zeit keinen festen Freund an ihrer Seite hatte und gedachte ein paar Testballons zu starten.

      Fürs Erste rückte sie ihr auf die Pelle, indem sie sich neben ihr vor einer monströsen Landkarte an der Wand postierte, die die Harzregion zeigte. Mithilfe von Stecknadeln und roten Wollfäden war ein Gebiet eingegrenzt. Es handelte sich um die abgebrannte Fläche. Sie reichte von der Ortschaft Torfhaus, gelegen im Vogelschutzgebiet und westlich der Landesgrenze zu Niedersachsen, bis zur Straße L 100 im Osten, wo es den Feuerwehren zumindest im nördlichen Teil gelungen war, eine Feuerschneise zu schlagen und die Flammen zurückzudrängen.

      Bedauerlicherweise hatte es das idyllisch gelegene Hotel Der Kräuterhof noch mit erwischt, es war dem Feuer zum Opfer gefallen. Die Brockenstieg-Apartments waren Geschichte, genauso wie der bei Touristen wie Einheimischen beliebte Campingplatz am Schierker Stern. Wie durch ein Wunder waren die Ortschaften Elend und Schierke knapp verschont geblieben.

      »Ist das jetzt der endgültige Stand?«

      »Ja. Ein riesengroßes Waldstück, nicht wahr? Keine Ahnung, wie viele Hektar es sind. Ich könnte heulen, wenn ich das sehe. Noch jetzt hängt eine graue Rauchglocke über Wernigerode, es stinkt zum Himmel. Ich bin wirklich gespannt, was der Brandermittler herausfindet.«

      Verena rückte, wie zufällig, auf Tuchfühlung heran und zeigte gezielt auf einen Punkt in der Karte.

      »Sieh mal einer an, die kleine Waldlichtung hinter dem Schierker Bahnhof, auf der letztes Jahr Rüdiger Müller ermordet wurde, ist mit abgefackelt. Weiß man mittlerweile eigentlich schon, ob bei dem Brand die Gleisanlagen der Brockenbahn in Mitleidenschaft gezogen wurden? Vorhin hat mich eine aufgebrachte Anruferin danach gefragt.«

      Marit trat einen halben Schritt zur Seite. Zu viel Nähe war ihr unangenehm, egal ob sie nun von Männlein oder Weiblein hergestellt wurde. Sie brauchte ihren Dunstkreis für sich alleine.

      »Nein, das muss zuerst alles sorgfältig durchgecheckt werden. Der Bahnbetrieb dieses Streckenabschnitts bleibt bis auf weiteres eingestellt. Die Harzer Schmalspurbahnen gehen kein Risiko ein. Das Brockenplateau ist am Freitag sowieso prophylaktisch mit evakuiert worden, damit niemand vom Feuer eingeschlossen wird. Wer, außer ein paar gestörten Katastrophentouristen vielleicht, sollte momentan schon freiwillig da hochfahren wollen«, merkte sie sarkastisch an.

      »Auch wieder wahr«, nickte die Kant. »Wobei man genau hieraus wahrscheinlich richtig viel Profit generieren könnte. Mancherorts ist Ähnliches zum Geschäftsmodell geworden. Hast du gewusst, dass auf dem Gelände des havarierten Atomreaktors in Tschernobyl inzwischen Führungen stattfinden? Die Touris aus aller Welt rennen dort mit Geigerzählern herum und freuen sich über jeden Ausschlag der Nadel. Meines Erachtens könnte man diese Idioten hinterher geschlossen in die Psychiatrie einweisen, es würde bestimmt keinen Verkehrten treffen.«

      »Wohl wahr, geistig normal können solche Leute kaum sein. Aber zurück zu unserer heimischen Feuersbrunst. Wie du mitbekommen hast, besteht der dringende Verdacht auf Brandstiftung. Ein einziger Brandherd hätte eine so schnelle Verbreitung der Flammen nie zugelassen, so viel steht schon zum jetzigen Zeitpunkt fest. Es sieht also eher nach einer konzertierten Aktion von einem oder mehreren Feuerteufeln aus.

      Sämtliche niedergebrannten Gebiete werden in den nächsten Tagen so gründlich wie möglich nach eventuellen Brandopfern durchforstet. Sollten sich hierbei Tote finden und sich der Verdacht der Feuerwehren somit bestätigen, müsste man von Mord, mindestens jedoch von fahrlässiger Tötung ausgehen. Der oder die Brandstifter hätten ja zumindest billigend in Kauf genommen, dass aufgrund dieser Aktion irgendwer zu Tode kommen könnte. Und damit hätten wir, die Mordkommission, wieder mal den Schwarzen Peter in Händen und müssten gegen Unbekannt ermitteln.

      Ganz ehrlich, Verena … ich hoffe, dass sich doch noch eine andere Brandursache findet und keine Opfer zu beklagen sind. Der Bürgermeister ist schon jetzt auf hundertachtzig, weil er um seinen heiligen Tourismus fürchtet. Schwarze Baumgerippe sind nun mal kein schöner Anblick. Ich möchte nicht wissen, was los wäre, wenn die letzten verbleibenden Touris noch mit der Angst vor einem unheimlichen Brandstifter leben müssten. Die örtliche Hotellerie stünde wohl bald vor dem Aus. Ich würde jedenfalls sofort stornieren, wenn mir sowas über meinen Urlaubsort bekannt werden würde.«

      »Ich ebenfalls«, bestätigte Verena.

      Ein bisschen enttäuscht, schlurfte sie davon. Heteros hatten es ja so viel leichter beim Anbaggern. Als Lesbe konnte man nicht einfach zu einer x-beliebigen Frau marschieren und dieser offen Avancen machen. Man musste erst sorgfältig abklopfen, wie es um deren sexuelle Ausrichtung bestellt war, sonst blamierte man sich bis auf die Knochen. In Marits Fall war sie sich diesbezüglich immer noch nicht sicher.

      Im dienstlichen Umfeld, wo Techtelmechtel ohnehin kritisch gesehen wurden, wäre ein Irrtum besonders pikant. Sie musste sich weiterhin zusammenreißen.

      *

       13. Juli 2018, im Waldgebiet

      

      Im Morgengrauen war Förster Hubert Strunz aufgebrochen, um einer höchst unangenehmen Pflicht nachzukommen. Ihm und seinen drei Gehilfen fiel die Aufgabe zu, im gesamten Brandgebiet eine grobe Bestandsaufnahme zu machen. Die Verwaltung des Nationalparks hatte ihm junge Ranger zur Seite gestellt. Es galt herauszufinden, wie schlimm die Schäden ausfielen, wieviel Wald vernichtet wurde und ob es außer Rehen, Eichhörnchen, Wildschweinen und Hasen weitere Opfer zu beklagen gab.

      Sie hatten die zu begehende Fläche in vier Bereiche aufgeteilt, wobei ihm der Größte zufiel. Er hängte sich seine Spiegelreflexkamera um, damit er die dokumentierte Schadensbilanz hinterher mit Bildern untermauern könnte, nahm seinen Beagle an die Leine und trat am Obersten Hangweg, wo er den dunkelgrünen Jeep abgestellt hatte, in den milchigen Morgendunst.

       Oh Mann … ich wollte, ich wäre für sowas nicht zuständig.

      Der Brandgeruch war immer noch präsent. Ihm graute bei der Vorstellung, dass er bis zum Abend etliche Kilometer zurückzulegen hatte. Strunz liebte den Wald über alles. Ihm kamen angesichts der allgegenwärtigen Zerstörungen die Tränen, kaum dass er aus seinem Fahrzeug gestiegen war.

      Verschwunden war das saftige Grün und mit ihm die würzigmoosige Waldluft, die er normalerweise so sehr schätzte.

      Düstere Gedanken bemächtigten sich seines Gemüts.

      Leider war dies nicht das erste Mal, dass er in seinem Waldgebiet mit einem solchen Desaster konfrontiert war. Etwas weiter westlich, zwischen den Ortschaften Elend und Braunlage, waren im April 2011 durch ein Feuer um die zweieinhalb Hektar Waldund Wiesenflächen vernichtet worden. Genauso wie dieses Mal hatte es den Einsatzkräften an Löschwasser gemangelt.

      Natürlich, die Natur würde sich mit der Zeit wieder erholen. Allerdings war alleine schon wegen der weltweiten Klimaerwärmung davon auszugehen, dass derartige Ereignisse künftig häufiger auftraten, selbst ohne jegliche Fremdeinwirkung. Vermutlich wären die herrlichen Wälder Nordeuropas wegen der anhaltenden


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