Verbrannte Erde. Marie Kastner

Verbrannte Erde - Marie Kastner


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Die kann man relativ schnell behandeln.

      Vermisst wird, bislang jedenfalls, offenbar niemand. Am oberen Ende des Elendstals, an den bis auf die Grundmauern niedergebrannten Brockenstieg-Apartments, wurden Touristen und Personal rechtzeitig über Schierke in Sicherheit gebracht.

      Hoffen wir also, dass es bei diesen Infos bleibt, und, dass die letzten Brandnester schnell in den Griff zu kriegen sind. Falls es den mutmaßlichen Brandstifter wirklich gibt, besteht zumindest die abstrakte Gefahr, dass dieser gewissenlose Widerling weiterzündelt. Das käme ganz darauf an, ob er sein anvisiertes Ziel bis dato schon erreichen hat können. Man weiß schließlich nie, was in den kranken Gehirnen solcher Unholde vorgeht. Aber denken wir vorerst positiv, betrachten wir die Katastrophe als nahezu überstanden. Für uns persönlich ist sie es jedenfalls.«

      »Dann ist das Naturschutzgebiet, abgesehen von den begrenzten Schäden an Teilen des Baumbestandes, vermutlich nochmal mit einem dunkelblauen Auge davongekommen, wenn auch die schwarzen Brandnarben im Wald noch lange zu sehen sein werden«, meinte Julia erleichtert.

      »Jein. Während die Brände an den Waldrändern im Griff sind, lodern die Flammen an den schlechter zugänglichen Berghängen weiter. Es wird bestimmt noch einige Tage dauern, bis die Feuerwehren an sämtliche Brandherde vorgedrungen sind«, dämpfte Bernd ihren Optimismus.

      Marit schaffte es zu Julias Freude tatsächlich beim gemeinsamen Frühstück, ihren sturen Chef zum Urlaubsantritt zu bewegen.

      »Sehr gut, dass du dein Smartphone daheim hast liegenlassen, Bernd. So kannst du uns wenigstens nicht dauernd mit dienstlichen Fragen auf den Wecker gehen, stattdessen deine Frau und den Urlaub genießen. Der verrückte Polizeialltag wird dich noch früh genug wieder einholen, verlass dich drauf.

      Ich kümmere mich derweil zuverlässig um alles Notwendige, versprochen. Euer Tiger scheint bereits dabei zu sein, sich einzugewöhnen. Der kann gerne bis zum Schluss hier in der Wohnung bleiben. Und sollte ich eines Tages wegfliegen wollen, passt im Gegenzug dann ihr auf meine Bude auf«, verfügte die junge Beamtin selbstbewusst.

      Julias grüne Augen strahlten, jegliche Erschöpfung schien auf wundersame Weise von ihr abgefallen zu sein. Bernd wiederum gab sich murrend geschlagen. Wie hätte er gegen zwei selbstbewusste Amazonen ankommen sollen? Dazu fühlte er sich viel zu geschlaucht.

      *

      Rund zweieinhalb Stunden vor Abflug der ausgebuchten Ryan Air Maschine checkten Bernd und Marit ihre Koffer am Terminal des Flughafens Berlin Tegel ein, quälten sich durch die unvermeidliche Sicherheitskontrolle und saßen erwartungsvoll vor dem Gate. Erst jetzt fiel die Anspannung ein wenig ab; müde aber glücklich, sahen sich die Flitterwöchner in die Augen.

      »Ich bin dermaßen erledigt … ich glaube, den Start werde ich gar nicht mehr in wachem Zustand mitbekommen«, prophezeite Bernd, gähnend wie ein Höhlenbär vor dem Winterschlaf.

      Er sollte Recht behalten. Was immer die engagierten Flugbegleiterinnen der irischen Billigairline an Bordverkäufen durchzogen, es ging völlig an den Maders in der dritten Sitzreihe vorbei. Erst während des Landeanflugs kamen beide allmählich wieder zu sich, weil das Flugzeug in den Turbulenzen über einem kahlen Gebirgszug ein bisschen ruckelte.

      Julia sah neugierig aus dem kleinen Fenster zu ihrer Rechten. Sie flog zum ersten Mal nach Spanien, hatte ihre Urlaube vorher ausschließlich in der Türkei und in Kroatien verbracht, bevor sie Bernd kennengelernt hatte.

      »Man könnte beinahe annehmen, da unten hätte ebenfalls ein Waldbrand gewütet. Spärlicher Bewuchs auf den Hügeln, kaum bebaute Felder … die Landschaft wirkt so … gelblich. Sieh mal, diese riesigen türkisfarbenen Wasserspeicher. Dies ist scheinbar eine extrem trockene Gegend hier«, murmelte sie schlaftrunken.

      »Hm«, brummte ihr Gatte. Zu mehr war er noch nicht fähig.

      Ein paar Minuten später setzte die Boeing 737-800 überpünktlich am Flughafen Alicante-Elche auf. Einige der älteren Passagiere klatschten höflich, während die Maschine auf ihre Parkposition am Terminal zurollte und die Fanfare der Airline ertönte.

      Die Abendsonne schickte sich gerade an, mit einem leuchtenden Farbenspiel in Rosa, Gelb und Orange hinter dem Horizont zu versinken. Was für eine verschwenderische Pracht.

      Julia Mader beobachtete das Naturschauspiel fasziniert, freute sich erwartungsvoll auf ein paar unbeschwerte Tage am Mittelmeer. Voller Optimismus betrat sie die Gangway.

      *

       09. Juli 2018, Revierkommissariat Wernigerode

      

      Der Großbrand im Harz war seit dem Mordfall Waldlichtung das erste Ereignis gewesen, welches dazu geeignet war, das Revierkommissariat Wernigerode in den Ausnahmezustand zu versetzen. Bis dahin war der Dienst gemächlich vonstattengegangen, fast so etwas wie Langeweile aufgekommen. Einige Ladendiebstähle, gelegentliche Anrufe wegen Ruhestörung oder häuslicher Gewalt, ein paar Körperverletzungsdelikte, jugendliche Kiffer, Trunkenheitsfahrten – das übliche Alltagsgeschäft eben, womit man sich bei der Polizei ständig zu plagen hatte.

      Revierleiter Remmlers geplanter Weggang im November war schon eher dazu prädestiniert, die Gemüter zu erhitzen. Anstatt erst 2019 von der Bildfläche zu verschwinden, so wie es angekündigt gewesen war, hatte er Knall auf Fall beschlossen, seinen Dienst ein ganzes Jahr früher zu quittieren. Mit der Begründung, dass er den Rest seines Lebens zukünftig ohne Mord und Totschlag genießen wolle. Dafür nähme er einige Einbußen bei der Beamtenpension gern in Kauf, hatte er behauptet. Ein seltsames Statement, das ihm gar nicht ähnlich sah. Charaktertypen wie er klebten gemeinhin an ihren exponierten Posten.

      Seine Ankündigung war sehr überraschend gekommen, selbst für seine Sekretärin Christa, aber böse war ihm niemand gewesen. Bis die Belegschaft feststellen musste, dass er es vor seiner anstehenden Pensionierung noch einmal richtig krachen lassen wollte, vermutlich um sich abschließend ein Denkmal zu setzen. Mit blindem Aktionismus und überheblicher Besserwisserei ging er den Kollegen und Kolleginnen mächtig auf die Nerven, und zwar schlimmer als jemals zuvor.

      Sein Nachfolger aus dem Revier Naumburg stand schon parat, kam mehrere Stunden pro Woche vorbei, um sich langsam einzuarbeiten. Schließlich musste er, neben örtlichen Gegebenheiten, die Strukturen und Mitarbeiter seiner neuen Wirkungsstätte kennenlernen, um von der ersten Sekunde an voll einsteigen zu können. Ein sympathischer Typ, dieser Thomas Wolters, wenn auch extrem ehrgeizig. Das war jedenfalls der Eindruck, der bei Marit Schmidbauer hängengeblieben war.

      Je mehr sich Remmler zum großen Zampano aufspielte und versuchte, dem Neuen seinen fragwürdigen Führungsstil aufzudrängen, desto intensiver fielen die Bestrebungen seiner Untergebenen aus, ihm tunlichst aus dem Weg zu gehen. Einige hatten Maßbänder in den Schubladen ihrer Schreibtische liegen, an denen sie an jedem überstandenen Tag feierlich einen Zentimeter abschnitten.

      Noch waren die Überreste mehr als einen Meter lang.

      An diesem Morgen ertappte Marit ihre Kollegin Verena Kant beim Abschneiden. Das gestutzte Maßband verschwand blitzartig in deren Jackentasche.

      »Mensch, hast du mich erschreckt! Nicht auszudenken, wenn der Alte ins Zimmer gekommen wäre und mich erwischt hätte. Da wäre ich ganz schön in Erklärungsnöte gekommen«, stöhnte die Beamtin erleichtert.

      Marit zuckte grinsend mit den Schultern.

      »Der ist doch selber schuld. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück. Mir ist inzwischen scheißegal, wie er über mich denkt. Der Wolters ist aus einem anderen Holz geschnitzt

      obwohl auch der seine Macken hat. Aber wahrscheinlich muss man rücksichtslos beide Ellbogen benutzen, wenn man auf der Karriereleiter ganz nach oben klettern will.«

      »Das stimmt. Und bedauerlicherweise ist er ein Mann, wenn auch ein ansehnlicher. Man könnte denken, Testosteron verneble die Denkprozesse. Eigentlich sollte keiner von denen aufsteigen dürfen, in welche Führungsposition auch immer. Männer sind für die schlimmsten Erfindungen und Ereignisse der


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