Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche. Guido Fuchs

Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche - Guido Fuchs


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      „Schlechtes Benehmen im Gottesdienst“ gehört zu den Themen aus dem Grenzbereich zwischen Liturgie und Alltag, mit denen ich mich an der Universität Würzburg in den letzten Jahren verschiedentlich befasst habe. Auf das Phänomen des angemessenen Verhaltens stieß ich dabei öfter: im Zusammenhang etwa mit „Heiligabend“, „Fronleichnam“ – besonders aber bei dem Thema „Essen und Trinken im Gottesdienst und in der Kirche“, bei dem es um liturgische Mahlfeiern und Mahlzusammenhänge im Laufe der Geschichte ging. Deshalb soll auch das vorliegende Buch seinen Platz in der Reihe „Liturgie & Alltag“ haben. Für einen Druckkostenzuschuss des Bistums Hildesheim möchte ich mich herzlich bedanken.

       Zum Bild auf dem Cover

      Das Bild zeigt einen Ausschnitt des Gemäldes von Emanuel de Witte „Das Innere der Oude Kerk in Delft“ (um 1650). Dass die Männer und Knaben Hüte tragen, ist für die Zeit und die Niederlande nicht ungewöhnlich; das war kein schlechtes Benehmen, sondern Ausdruck der anderen Einstellung gegenüber dem Kirchenraum sowie der politischen Freiheit. Auch Hunde waren damals kein seltener Anblick in Kirchen. Der das Bein hebende Hund sowie die an die Säule kritzelnden Buben sind aber womöglich bewusst ins Bild gesetzt worden, um beim Betrachter die Reaktion „So etwas macht man doch nicht!“ hervorzurufen.

       1. „Was soll ich dazu sagen? Soll ich euch etwa loben?“

      Falsches, schlechtes und störendes Benehmen

      Korinth. Um das Jahr 50 n. Chr. ist die griechische Hafenstadt eine pulsierende Multikulti-Metropole fast neuzeitlichen Zuschnitts mit etwa 100 000 Einwohnern, darunter viele römische Veteranen und freigelassene Sklaven. Verschiedene Ethnien und Religionen prägen die Hauptstadt der Provinz Achaia. Seit Neuestem gehören dazu auch Menschen, die an einen jüdischen Rabbi namens Jesus glauben, der etwa 20 Jahre zuvor in Jerusalem am Kreuz hingerichtet wurde, aber nach dem Zeugnis verschiedener Frauen und Männer drei Tage später von den Toten erweckt wurde und zu Gott, den er seinen Vater nannte, zurückgekehrt ist. „Christus“ nennen ihn seine Anhänger, „Gesalbter“. Die kleine christliche Gemeinde wurde von Paulus gegründet, der auf seiner Missionierungstour von Thessalonich über Athen auch nach Korinth kam, wo er etwa anderthalb Jahre blieb. Diese Gemeinschaft der Christusgläubigen bestand ebenfalls aus vielen Angehörigen der unteren Bevölkerungsschicht, aber auch aus einigen wohlhabenden Familien. Nach seiner Abreise gab es Streitigkeiten unter der etwa zweihundert Personen umfassenden Gemeinde, die auch Paulus zu Ohren kamen und auf die er in einem Brief einging, den er um das Jahr 55 an die Korinther schrieb. Dabei geht es auch um unpassendes Verhalten im Gottesdienst:

      „Das kann ich nicht loben, dass ihr nicht zu eurem Nutzen, sondern zu eurem Schaden zusammenkommt. Zunächst höre ich, dass es Spaltungen unter euch gibt, wenn ihr als Gemeinde zusammenkommt. […] Wenn ihr euch versammelt, ist das kein Essen des Herrenmahls; denn jeder nimmt beim Essen sein eigenes Mahl vorweg und dann hungert der eine, während der andere betrunken ist. Könnt ihr denn nicht zu Hause essen und trinken? Oder verachtet ihr die Kirche Gottes? Wollt ihr jene demütigen, die nichts haben? Was soll ich dazu sagen? Soll ich euch etwa loben? In diesem Fall kann ich euch nicht loben“ (1 Kor 11,17–22).

      Der Gottesdienst, den er anspricht, ist das sogenannte Herrenmahl, die Eucharistiefeier, freilich nicht wie heute in einem stilisierten Mahl mit Oblaten (Hostien) und einem Schluck Wein, sondern in Verbindung mit einem vorausgehenden Sättigungsmahl. Der von Paulus getadelte Missstand wird verständlicher, wenn man sich vor Augen hält, dass es bei den Festmählern in der Antike sehr oft unterschiedliche Speisen je nach dem Rang der Geladenen gab. Und: Offensichtlich konnten nicht alle zur selben Zeit schon anwesend sein. Die Begüterteren konnten sich bei dem Mahl bereits an Speisen und Getränken laben, bis die anderen eintrafen, die bis abends – das Herrenmahl fand am Abend statt – arbeiten mussten. Was schon bei einem profanen Gastmahl zu Ärgernis führen kann, ist im Zusammenhang des „Herrenmahls“ geradezu ein Skandal, weil hier das Wesen des eucharistischen Mahles, das ja Communio, Gemeinschaft mit dem Herrn und untereinander ausdrücken soll, ad absurdum geführt wird. „Wenn ihr euch versammelt, ist das kein Essen des Herrenmahls“, sagt Paulus daher ganz direkt und fügt noch überspitzt hinzu, dass so der eine schon betrunken ist, während der andere noch hungert.

      Für die junge Christengemeinde in Korinth war dieser Tadel ein Augenöffner: In ihrer Gemeinschaft kamen Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten zusammen – anders als in sonstigen Vereinigungen –, und doch waren sie alle gleich, sollten auch bei den Zusammenkünften gleich behandelt werden. Das war das Neue der Botschaft Jesu, das musste erst gelernt werden. Durch das überkommene Verhalten der Wohlhabenden wurden die Ärmeren auch noch als solche bloßgestellt und gedemütigt, wie Paulus schreibt. Auch das richtete sich gegen das Evangelium Jesu, der die Armen seligpries.

       Schlechtes Benehmen, unhöflich, gedankenlos?

      Aber wie ist dieses Verhalten zu bezeichnen? Als schlechtes Benehmen? Oder nur als Unhöflichkeit, als Gedankenlosigkeit? Man sieht an diesem Beispiel, dass es bei Klagen über das Verhalten im Gottesdienst zunächst nicht nur um Äußerlichkeiten wie das Betreten einer Kirche in unpassender Kleidung oder das Popeln in der Nase oder Schlafen während der Predigt ging. Das alles gab es in der Geschichte und gibt es auch heute noch. Manches Verhalten aber richtet sich gegen das Wesen des Gottesdienstes selbst und zugleich auch gegen die, die an ihm teilnehmen, ohne dass dies gleich negativ auffällt.

      Das führt aber auch zu der Frage, was schlechtes Benehmen im Gottesdienst alles umfasst und ob es einen Unterschied zwischen Verhalten und Benehmen gibt. Im Zusammenhang des Themas begegnen beide Begriffe – Benehmen und Verhalten – oft austauschbar, sie stellen aber, genau betrachtet, Unterschiedliches dar:

      „Benehmen“ im Sinne eines richtigen bzw. angemessenen Benehmens ist die Summe der Verhaltensweisen und Äußerungen, die den Wertvorstellungen einer Gemeinschaft oder Gruppe in bestimmten Situationen entsprechen. Unterschiedliche Kulturen bzw. Subkulturen definieren richtiges bzw. gutes Benehmen möglicherweise jeweils anders. Das erklärt, dass im kirchlichliturgischen Bereich konfessionell unterschiedliche Verhaltensweisen, die auch als Benehmen gewertet werden, auftreten können.

      „Verhalten“ hingegen zielt im gottesdienstlichen Zusammenhang eher auf Vorgänge, Handlungen und Haltungen (im wahrsten Sinne des Wortes). Ein gutes Beispiel dafür bieten die Verhaltensregeln für den Gottesdienst, wie sie im „Orthodoxen Glaubensbuch“ von Andrej Lorgis und Michail Dudko (2001) dargelegt werden; so werden hier etwa genaue Hinweise auf das Verhalten vor der Kirche, in der Kirche, zur Verehrung der Ikonen und zum Gebetsgedenken gegeben.

      Verhalten und Benehmen können auseinanderklaffen. Es kann sich jemand liturgisch richtig verhalten im Sinne der Haltungen und vorgegebenen Verhaltensweisen, sich aber schlecht benehmen, weil er oder sie dabei lacht, schwätzt, Kaugummi kaut oder Ähnliches. Oder aber jemand verhält sich falsch, weil er bzw. sie die richtigen Verhaltensweisen nicht kennt, vollzieht aber den Gottesdienst in innerer Ehrfurcht mit.

      Verhalten wie Benehmen sind ein äußerer Ausdruck, der einer inneren Einstellung entsprechen sollte. Das Verhalten ist dabei auch von bestimmten Regeln und Konventionen geprägt. Das Benehmen wiederum ist unabhängig von Ort und Situation. Prinz Asfa-Wossen Asserate, der vor Jahren ein viel beachtetes Benimm-Buch verfasst hat, bringt dies so auf den Punkt: Es reicht nicht aus, irgendwelchen Benimmregeln zu folgen – es geht um die innere Haltung und die Herzensbildung.

      „Schlechtes Benehmen“ ist also ein weiter Begriff – die Bandbreite dessen, was im Gottesdienst unpassend, ungebührlich, ungehörig erscheint, ist groß und reicht von falschem Verhalten bis hin zu störendem Tun mit strafrechtlicher Relevanz.

      Falsches Benehmen – oder besser: Verhalten – kann man da antreffen, wo Kirchenbesucher oder Gottesdienstteilnehmer nicht wissen, wie man sich zu bestimmten Gelegenheiten verhält, sitzen bleiben, wo man knien sollte, keine Reverenz machen etc. Auch die unpassende Kleidung gehört dazu. Es ist auch die Frage: Wie lernt man das, wenn


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