Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche. Guido Fuchs

Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche - Guido Fuchs


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die nicht kommunizieren konnten oder wollten, vor der Kommunion entlassen wurden. Sie erhielten dazu einen speziellen Segen am Schluss des Eucharistischen Hochgebets. In Gallien wurde dieser nach dem Vaterunser erteilt; die Nichtkommunikanten sollten bis zu diesem Zeitpunkt in der Kirche bleiben. Später ist, „weil die Väter zu Ende des vierten Jahrhunderts den Unfug derer rügten, welche den Gottesdienst vor der Communion verließen“, dieser Segen auf den Zeitpunkt nach der Kommunion verlegt worden, wie Ferdinand Probst in seiner „Geschichte der abendländischen Messe“ (1896) schreibt.

      Als Johannes Chrysostomus Priester in Antiochia war, wurde er seiner Predigten wegen so berühmt, dass manche Leute nur ihretwegen zur Kirche kamen. So rügt Chrysostomus, dass die unabsehbare Menge, die sich während der Predigt in der Kirche zusammendrängt, schon bald danach nicht mehr zu sehen ist, wenn das Fürbittgebet ansteht. Offensichtlich verließen viele die Kirche sofort, wenn der Prediger seine Worte beendet hatte, noch vor dem Gebet – nach dem Motto: Beten kann man auch zu Hause, wie ihnen Chrystosomus in den Mund legt. Frans van de Paverd stellt in seiner „Geschichte der Messliturgie in Antiocheia und Konstantinopel“ (1970) dar, dass es keineswegs nur die Katechumenen waren, die Taufbewerber, die vor der eigentlichen Eucharistiefeier die Kirche verlassen mussten; mit ihnen verließ auch ein Teil der Gläubigen „freiwillig“ die Kirche. Wie Chrysostomus war es auch Bischof Nestorius von Konstantinopel ein Dorn im Auge, dass viele Gläubige zusammen mit den Katechumenen die Kirche verließen. Für sie war deren Entlassung eine gute Gelegenheit, sich unauffällig aus dem Staub zu machen. Nestorius verglich ihr Verhalten mit dem der Jünger, die Jesus bei seiner Gefangennahme im Stich ließen.

      Auch im gallischen Arles im 6. Jahrhundert, wo Caesarius vierzig Jahre lang als Bischof gewirkt hat, kannte man dieses Problem. Der Bischof legte dem Volk die Mitfeier der heiligen Mysterien ans Herz und wandte sich gegen Missstände wie Versäumen des Gottesdienstes, vorzeitiges Verlassen der Kirche und unandächtiges Betragen: „Ich bitte euch, geliebte Brüder, und ermahne euch in väterlicher Liebe, sooft am Herrentag […] Messe gefeiert wird, möge niemand die Kirche verlassen, bevor die heilige Handlung beendet ist.“ – „Und ich bitte aber- und abermals, keiner von euch möge die Kirche verlassen, bevor die heiligen Mysterien beendet sind; und beherrscht euch in der Kirche so sehr, dass niemand versucht, sich mit unnützem und weltlichem Gerede zu beschäftigen“ (Sermo 73,1.5). Hier geht es um ein adäquates Verhalten gegenüber der gottesdienstlichen Feier, welche den Sonntag auszeichnet. Caesarius ermahnte nicht nur zum Bleiben, er trat sogar denen in den Weg, die den Gottesdienst vorzeitig verlassen wollten, und ließ die Kirchentüren schließen und sie erst nach dem Segen wieder öffnen.

      Das vorzeitige Verlassen des Gottesdienstes ist ein Verhalten, das an keine bestimmte Zeit und Konfession gebunden erscheint; auch in den Kirchen der Reformation gab es dieses Problem. In manchen evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts begegnet der Hinweis, „[d]aß das laufen auß der kirchen vor dem empfangenen segen Gottes abzuschaffen“ ist. Dazu sei es angeraten, dass man die Predigt nicht über eine dreiviertel Stunde andauern lässt, damit auch diejenigen, welche einen weiten Weg haben, eher heimkommen – um rechtzeitig zur Mittagsandacht wieder da sein zu können …

      In den Zeiten der konfessionellen Auseinandersetzung Ende des 16. bis Mitte des 17. Jahrhunderts klagten manche Pfarrer darüber, dass Gläubige vorzeitig die Kirche verließen. Ein wesentlicher Grund war dafür offensichtlich die Unzufriedenheit mit der Predigt – also ganz im Gegensatz zur Situation bei Chrysostomus, als man nur der Predigt wegen kam. In seiner Geschichte des kirchlichen Lebens im 17. Jahrhundert zitiert Friedrich August Tholuck aus reichlich vorliegendem Material über die Zustände der sächsischen und der württembergischen Kirche die Klagen eines Pastors Schönewald in der Diözese Herzberg: „Daß ihrer Viele so gar späte zur Kirche kommen, etwan kurz vor Anfang der Predigt oder wohl gar unter der Predigt. Viel aber können kaum erwarten, bis die Predigt geschlossen, so laufen sie hinaus ohne Noth und erwarten weder das gemeine Gebet noch den Segen.“

      Das vorzeitige Verlassen des Gottesdienstes konnte aber auch Ausdruck der Ablehnung und des Protestes sein; bei der Rekatholisierung mainfränkischer Orte im frühen 17. Jahrhundert ließ der Würzburger Bischof, der ja auch Territorialherr war, nicht nur den Kirchgang der Einwohner von Soldaten kontrollieren, sondern auch die Eingänge mancher Kirchen bewachen, damit niemand vorzeitig gehen konnte. Eine ähnlich restriktive Maßnahme gab es – allerdings aus anderen Gründen – später in den Garnisonskirchen von Potsdam und Berlin (vgl. S. 32).

      Das vorzeitige Verlassen des Gottesdienstraumes, sofern es nicht aus einer Notwendigkeit heraus geschieht, richtet sich als Höflichkeitsverstoß zunächst gegen den Herrn selbst, der ja als „Gastgeber“ der Feier zu sehen ist; gegen die Gemeinde und Gemeinschaft als ganze und einzelne Funktionsträger in ihr wie den Liturgen oder Prediger oder auch die Kirchenmusiker. Vor allem das Herausströmen aus der Kirche noch während des Orgelnachspiels erregt bis heute oft den Unmut der Organisten, weil man durch dieses Tun zum Ausdruck bringt, dass man ihren Dienst und ihre Kunst nicht zu würdigen weiß. Noch anstößiger erscheint das Verhalten mancher Priester, die sich mit ihren Diensten schon während des Schlussliedes in die Sakristei zurückziehen und die Gemeinde im wahrsten Sinne des Wortes stehen lassen.

      image Wir machen seit längerem diese Beobachtungen: […] Der Priester mit dem liturgischen Dienst geht schon in die Sakristei, während die Gemeinde noch das Schlusslied singt (meist mehrere Strophen). (J. A. und M. P. – 14. 8. 2016)

      In manchen Gemeinden gehörte das Verlassen der Kirche noch vor dem Segen für die Männer gewissermaßen zum Brauchtum, wie es Alois Brandstetter in einem Roman beschreibt:

      image Aber auch früher schon haben die Herren der Schöpfung, wenn sie ‚auf die Post‘ geschickt worden sind und ‚im Amt zu tun‘ gehabt haben, immer auch einen Abstecher zum Wirt gemacht, sozusagen ehrenamtlich und privat. So wie ja auch jeder Kirchenbesuch am Sonntag mit einem Kirchenwirtsbesuch verbunden gewesen ist! Bis dann überhaupt nur noch der Wirt übriggeblieben ist und der Kirchenwirt auch die Kirche ersetzen hat müssen. Das sogenannte ‚letzte Evangelium‘ haben die Männer in den hinteren Bänken meistens in der Kirche gar nicht mehr gehört, weil sie den Tumult bei der Kommunion genützt haben, um unauffällig durch das Westportal zu verschwinden. Der Wirt ist ursprünglich aber immer nur der Abstecher gewesen, der Seitensprung gewissermaßen, die Nebensache und das Zusatzprogramm. Bis aus der Nebensache die Hauptsache geworden ist … (Alois Brandstetter, Zur Entlastung der Briefträger, 2011)

      Auf eine notorische „Frühgeherin“ reagierte Philipp Neri (1515–1595), der ja auch als sehr humorvoller Heiliger gilt, auf seine Weise. Die folgende von Theodor Schnitzler in seinem Buch „Erzählte Messe“ (1978) geschilderte Reaktion auf ein unangemessenes Benehmen könnte durchaus zu ihm passen, ist aber – angesichts der Zahl an Benimmverstößen in diesem Zusammenhang – leider nur schwer wiederholbar:

      Die Baronin Pompilia de Rossi, die in Santa Maria Novella (der Kirche, die Philipp Neri betreute) immer zur hl. Messe ging, hatte die Gewohnheit, gleich nach der Kommunion die Kirche zu verlassen, ohne eine Danksagung zu halten und den Schluss abzuwarten. Als es wieder einmal geschah, drückte der hl. Philipp Neri nach der Messe seinen vier Ministranten in der Sakristei ein brennende Kerze in die Hand, gab ihnen Anweisungen und sagte: „Schnell, eilt der Baronin nach!“ Als sie die Baronin erreicht hatten, gingen sie mit den Kerzen neben ihr her. Die Baronin fuhr die Ministranten an: „Was macht ihr da?“ Sie antworteten ihr: „Don Philippo hat uns geschickt.“ Da kam er auch schon selbst des Weges. Er zog den Hut und sagte: „Frau Baronin haben gerade kommuniziert. Noch ist Christi Leib, das eucharistische Brot, nicht vergangen. Zu den Vorschriften der Kirche gehört es: Das allerheiligste Sakrament muss mit Kerzen begleitet sein, wenn man es über die Straße trägt. Deshalb schickte ich die Kerzenträger nach.“ Donna Pompilia de Rossi bekam einen roten Kopf, dass man es unter der Schminke sehen konnte, sagte leise „Madonna mia“, drehte sich auf dem Absatz um und ging wieder in die Kirche. Von nun an lief sie nie wieder zu früh aus der heiligen Messe fort.

      Das führt direkt weiter zur Frage der Haltungen und dem ehrfürchtigen


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