Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche. Guido Fuchs

Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche - Guido Fuchs


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Gottesdienst nicht oder nur wenig kennen. Manchmal findet man die jeweiligen Verhaltensweisen auch in den Kirchen angezeigt oder auf einem Verlaufsblatt des Gottesdienstes notiert.

      Zum schlechten Benehmen gehört das, was in dem in der Einführung zitierten Prolog aus dem Roman „Wir in Kahlenbeck“ genannt wird; Dinge, die man macht, obwohl man weiß, dass sie sich (nicht nur in der Kirche) nicht gehören: lautes Reden, Kaugummi kauen, Handy und Smartphone nutzen, rauchen u. a. Meist werden sie auch auf Schildern und durch Piktogramme als verboten angezeigt, weil sie andere stören.

      Störendes Verhalten umfasst all das, wodurch andere Gottesdienstteilnehmer oder Kirchenbesucher sich in ihrer Andacht gestört fühlen; das ist mehr als zum Beispiel lautes Reden. Die Störung des Gottesdienstes kann sogar ein strafrechtliches Tun sein und ist, wie auch beschimpfender Unfug, im Strafgesetzbuch (StGB) aufgeführt (vgl. S. 53).

      Das Verhalten der Gemeinde in Korinth war ihrer Erfahrung nach nicht falsch oder schlecht – es passte nur nicht mehr zur Feier einer christlichen Gemeinschaft, weil sich nach dem Evangelium Jesu neue und andere Wertvorstellungen herausgebildet hatten, die auch das Verhalten untereinander regeln. Zu Veränderungen im Verhalten ist es in der Geschichte des Gottesdienstes und der Kirchen immer gekommen. Das Benehmen im Kirchenraum ist über die Jahrhunderte hinweg und auch in verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich. Was uns heute nicht vorstellbar erscheint, war in früheren Zeiten nicht ungewöhnlich, umgekehrt hätte manches, was heute bei uns selbstverständlich ist, früher für Unverständnis gesorgt.

      Beginnen wir nun unseren Gang durch Raum und Zeit des schlechten Benehmens mit dem Betreten der Kirche.

       2. „Grüß Gott!“

      Vom Betreten des Gotteshauses und dem Verhalten dabei

      Ein unappetitliches Vorkommnis wurde einige Jahrzehnte zurück vor dem Landgericht Essen verhandelt: Da hatte ein Mann im Windfang einer Kirche onaniert, „als Kirchenbesucherinnen in seiner Nähe weilten“. Nicht nur eine Frage des schlechten Benehmens, sondern bereits eine Strafsache nach § 167 StGB. So weit schien alles klar. Doch nun begannen die juristischen Spitzfindigkeiten: Es wurde die Frage gestellt, ob der Windfang bereits Kirche im eigentlichen Sinne ist. Antwort: Der Windfang sei zwar kein Teil der zum Gottesdienst bestimmten Räume, aber „nach Rechtsgefühl und Volksauffassung befindet man sich nach Durchschreiten der äußeren Tür bereits in der Kirche. Dieses Empfinden pflegen die männlichen Kirchenbesucher z. B. dadurch zu bezeugen, dass sie meist schon beim Betreten solcher Eingangsräume den Hut abnehmen“, schreibt Heinrich Stader in seiner „Einführung in den Juristenhumor“ von 1996. Ob der Mann bei seinem abseitigen Tun im Windfang den Hut aufbehalten hatte, wurde allerdings nicht weiter erörtert …

      Die Frage nach dem rechten Benehmen im Gottesdienst bzw. in einer Kirche beginnt bereits mit deren Betreten. Das betrifft nicht nur die entsprechende Kleidung, auch der Zweck des Kirchenbesuchs spielt dabei eine Rolle: Betritt man die Kirche für einen Gottesdienst oder zum Besichtigen, will man ein kurzes Gebet sprechen und eine Kerze anzünden oder eine Abkürzung nach dem Einkauf nehmen? Die Kirche ist ein öffentlicher Raum, aber keineswegs kann man sich in ihr verhalten, wie man es in der Öffentlichkeit tun kann (oder nicht einmal da). Weil zunehmend mehr Menschen nicht mehr kirchlich sozialisiert sind, gibt es Hinweise auf das richtige Verhalten beim Betreten („Verhalten in der Kirche. Regeln für Besucher“) auch in Internet-Ratgebern, Zeitungen und Lifestyle-Magazinen: „Beim Betreten einer Kirche müssen Männer unbedingt ihre Kopfbedeckung abnehmen und Frauen sollten nicht zu freizügig gekleidet sein. Katholiken benetzen sich beim Betreten der Kirche mit Weihwasser und bekreuzigen sich vor dem Altar.“ Dies sind Hinweise auf die auffälligsten Riten, die zumeist nur für einen kurzen touristischen Besuch wichtig sind.

      Das Betreten der Kirche zum Gottesdienst ist aber ein weitaus vielschichtigeres Ritual, quasi Teil eines Sich-Bereitens, einer „Liturgie vor der Liturgie“, wie es im evangelischen „Handbuch der Liturgik“ (1995) ausgedrückt wird, und ein sehr bewusstes.

      Das besondere Verhalten hängt auch mit dem Ort zusammen: „die Pforte“ umschreibt ihn Romano Guardini in seinem berühmten Büchlein „Von heiligen Zeichen“ (1922), „die Schwelle“ Egon Kapellari in dem Buch „Heilige Zeichen“ (1987). Beide verweisen auf den Übergang, den Eintritt in das Heilige: „Wir sollten nicht eilfertig durch die Pforte laufen! Ganz langsam sollten wir hindurchschreiten und unser Herz auftun, damit wir vernehmen, was sie spricht. Wir sollten sogar vorher ein wenig innehalten, damit unser Durchgang ein Schreiten der Läuterung und der Sammlung sei.“ – „Die Kirche hält nach wie vor Schwellen bereit. Wer als Glaubender über die Kirchenschwelle tritt, der ist eingeladen, dies bewusst zu tun.“

       Unterschiedliche „Grußriten“

      Der Liturgiewissenschaftler Franz Kohlschein hat sich 1991 in einem Artikel damit befasst, „wie die Gemeinde zusammenkommt“, und das Verhalten der Gläubigen beim Betreten der Kirche in den Blick genommen – auch in den verschiedenen Konfessionen. Es wird aus seiner Darstellung deutlich, dass das Betreten der Kirche zum Gottesdienst mehr ist als ein Hereinkommen. Das Verhalten der Gläubigen wird durch ein ausgeprägtes Brauchtum bestimmt, das sich aus einer Folge von Handlungen zusammensetzt, die vom Betreten der Kirche bis zum Einnehmen des Platzes reicht. „Man kann sie als ‚Grußritus‘ verstehen, der eine doppelte Richtung aufweist. Er wendet sich auf der vertikalen Ebene des Betens Gott zu, auf der horizontalen Ebene des Miteinanders den Anwesenden.“ Zu den überkommenen Formen, die vor allem auf die Verehrung des Heiligen ausgerichtet waren (z. B. Mütze abnehmen, Weihwasser nehmen, sich bekreuzigen, Kniebeuge, Hinknien, stilles Gebet am Platz), kommen heute neue hinzu, die eher kommunikativ sind (Grüßen der Bekannten, Gespräch auch in der Bank, Lesen des Pfarrbriefes o. Ä.). Manche der älteren Verhaltensformen sind nach Kohlscheins Beobachtung im Schwinden begriffen oder haben sich in Richtung der horizontalen Kommunikation verändert. Diese Beobachtung macht auch ein Pfarrer, der in einer E-Mail schrieb:

      image Nichts dagegen, wenn sich Nachbarn, Freundinnen usw. begrüßen, aber muss man wirklich lautstark den Ratsch, der eigentlich vor der Kirchentüre seinen Platz hätte, bis zum Glockenzeichen ausdehnen? Übrigens: Dass der Herr im Tabernakel von den Hereinkommenden gegrüßt würde (durch eine Kniebeuge und ein kurzes Gebet), ist mehr und mehr rückläufig. […] Setzen Sie sich mal 20 Minuten vor einer Sonntagsmesse an die Emporenbrüstung und schauen Sie den Hereinkommenden zu: Sie werden den Mund nicht mehr zubringen! Was ist da seit den 50er Jahren katechetisch falsch gelaufen? (A. W. – 18. 8. 2019)

      Eine Änderung der „Grußriten“ beim Betreten des Gottesdienstraumes konstatiert der Pastoralliturgiker Michael Meyer-Blanck auch für die evangelische Kirche (Inszenierung des Evangeliums, 1997). Das Nehmen von Weihwasser und Sich-Bekreuzigen ist hier ohnehin nicht üblich; hingegen findet man die stille Sammlung im Stehen, bevor man den Platz in der Bank einnimmt. Aber auch das sieht er im Schwinden begriffen, das stille Gebet am Bankplatz (vor dem Hinsetzen) ist nicht mehr selbstverständlich. „Alles Äußere steht im Verdacht, nur äußerlich zu sein, und in der religiösen Erziehung werden äußere Formen vernachlässigt.“ Dies wird auch von anderer Seite her bestätigt; der Verhaltenswissenschaftler Parvis H. Falaturi schreibt über den Gruß in Richtung Altar vor dem evangelischen Gottesdienst: „In manchen Kirchen fällt er ganz weg, und die Gottesdienstbesucher gehen in ihre Bankreihe, setzen sich in die Bank und harren der Dinge, die da kommen“ (Das Geschehen am Altar, 2014).

      Tendenziell scheint die Ausrichtung auf das Heilige nicht mehr so sehr im Vordergrund zu stehen, wie es früher noch üblich war und wie es kirchlicherseits gewünscht wird. „Der sündige Mensch, der sich Gott nähert“, wie es Meyer-Blanck zusammenfasst: In diesem Bewusstsein gehen heute viele Menschen nicht mehr zum Gottesdienst. Man nimmt ihn eher als eine fromme Veranstaltung wahr, oder eben, wie es Falaturi ausdrückt: Man harrt der Dinge, die da kommen – ähnlich wie im Theater.

      Im orthodoxen Gottesdienst steht ebenfalls die Ausrichtung auf das Heilige


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