Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden - Max R. Liebhart


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aus den Grauzonen besonders der Sicherheits- und Außenpolitik, wie sie allgemein zum zeitgenössischen Repertoire gehörten, seine Prozesse und Verfolgungen vergleichsweise korrekt und ohne auffallende Willkür betrieben hat.“ (Lebe)

      Aus dem Rat der Zehn gingen 1539 die Staatsinquisitoren hervor. Deren Geschichte reicht bis in das Jahr 1310 zurück, in dem der Rat der Zehn gegründet wurde. Schon damals wählte man aus dem Kollegium zwei Inquisitoren mit einer Amtszeit von nur einem Monat, mit der Funktion von Untersuchungsrichtern, die jedoch zunächst keine besondere Machtstellung hatten. Das änderte sich erst, als historische Ereignisse die Existenz des Staates zu bedrohen schienen, wie es um die Mitte des 16. Jahrhunderts aufgrund der Expansionspolitik der Türken unter Suleiman II. dem Prächtigen geschah. Im Rahmen der kriegerischen Auseinandersetzungen kam es im September 1538 zu einer Seeschlacht zwischen den Türken und einer überlegenen christlichen Flotte bei der Insel Lefkas, die die Christen überraschenderweise verloren. Es entstand der dringende Verdacht, die Niederlage sei durch Verrat bedingt gewesen. Diesen Verdacht aufzuklären erwies sich jedoch als schwierig bzw. unmöglich, weil zu viele Personen über die Vorgänge im Rat der Zehn Bescheid wussten. „Um die Bedrohnung Venedigs durch den Verrat von Staatsgeheimnissen in Zukunft zu verhindern, war es also notwendig, dass man die besonders geheimen Angelegenheiten nur mehr einem kleinen Gremium von bloß drei Personen anvertrauen sollte.“ (Heller) Die Befugnisse dieser Staatspolizei, welche die Venezianer i tre babài nannten, zu durchschauen, ist aus heutiger Sicht ausgesprochen schwierig. Auch ihr Aufgabenbereich lässt sich nur ungefähr beschreiben. Die Inquisitoren verfolgten alle gegen den Staat begangene Verbrechen wie Hochverrat, Spionage, Beleidigung der Regierung sowie verdächtigen Kontakt zu Ausländern. Sie besaßen das Recht, Spitzel einzusetzen und zu bezahlen. Auch konnten sie Verräter von Staatsgeheimnissen verurteilen, seit 1605 auch zum Tode. Nach und nach zogen sie wesentliche Teile der Macht der Zehn an sich und waren letztlich die Institution, deren Wirken heute noch in Form vieler – erfundener oder wahrer – Gruselgeschichten in den Vorstellungen der Menschen spukt. Zur Zeit der Staatsinquisition gab es in Venedig durchaus Tendenzen, die in Richtung eines Polizeistaates gingen. So „konnten die Inquisitoren jene verurteilen, die die Republik verächtlich machten, eine Maßnahme, die für moderne Diktaturen geradezu charakteristisch werden sollte.“ (Heller) Im Laufe der geschichtlichen Entwicklung konnten die Inquisitoren ihre Machtbefugnisse immer weiter ausdehnen. Seit 1612 waren sie den Capi des Rates der Zehn gleichgestellt, seit 1673 beachteten sie das Einspruchsrecht der avogadori nicht mehr, gingen auch dazu über, ihnen missliebige Personen ohne Gerichtsverfahren heimlich umbringen zu lassen. In der Spätzeit der Republik kontrollierten die Staatsinquisitoren nicht mehr nur die Staatsgerichtsbarkeit, sondern auch noch den Verkehr mit Botschaftern, das Glücksspiel, die Glasproduktion (zum Schutz vor Industriespionage), den Tabak- und Salzhandel sowie die Rekrutierung von Soldaten. Es gab allerdings auch wirksame Sperren gegen Machtmissbrauch, zum einen in Form der kurzen Amtsdauer, zum anderen weil sie nur geschlossen vorgehen konnten – jeder der Inquisitoren hatte gewissermaßen ein Vetorecht. Auch gab es später immer stärkere Bemühungen, die Machtausweitung der Inquisitoren zu steuern. Ein Licht auf deren unheimliche Machtfülle wirft die Tatsache, dass der vorletzte Doge, Paolo Renier, einmal gegen die Macht der Inquisitoren wetterte, sich aber dadurch sehr unbeliebt machte und schließlich gefragt wurde, ob er sich denn seines Lebens noch sicher wähnte, wenn er die Inquisitoren angreife. Das Gefängnis der Staatsinquisition waren im Übrigen die piombi, die Bleikammern unter dem Dach des Dogenpalastes, die u. a. auch Casanova kennenlernte.

      Piazza San Marco

      Markusplatz – Markuskirche – Dogenpalast – Glockenturm – Bauten an der Piazza und der Piazzetta

      Wenn die Führung durch Venedig mit diesem Stadtbezirk, genauer gesagt im Umfeld von Piazza, Markusdom und Dogenpalast begonnen wird, so entspricht das einer inneren Logik, stellten doch die Piazza und ihre Umgebung sowohl das politische als auch geistige Zentrum der Republik Venedig dar. Dagegen lag das geistliche Zentrum weit draußen im äußersten Osten der Stadt, nämlich in dem Komplex von Kirche und Kloster San Pietro di Castello, während die Markuskirche nicht Dom, nicht Sitz des Patriarchen, sondern vielmehr Privatkapelle der Dogen und somit Staatsheiligtum war.

      Der Sestiere di San Marco (das Stadtviertel San Marco) erschließt sich vordergründig ohne weiteres in seinen Kirchen und Museen und in seinen vielen, teils sehr exklusiven Geschäften sowie seinen teuren Hotels und Restaurants. Es macht Spaß, hier spazieren zu gehen, zu schauen und einzukaufen. In der Umgebung des Markusplatzes ist Venedig am ehesten das geblieben, was es über Jahrhunderte war, nämlich ein Zentrum von Luxus und feinster Qualität. Doch stellt sich bei näherer Betrachtung leicht das Gefühl ein, an einer Fassade entlang zu gehen, einer Fassade, die nur scheinbar einladend und offen ist. Zwar öffnen sich dem Besucher die Gebäude des Platzes mit ihren endlosen Arkadenstellungen weit und lockend, doch ist diese Offenheit nur Schein. In Wirklichkeit ist alles in sich selbst geschlossen. Man steht vor einer gewaltigen Selbstdarstellung der Republik, die über Jahrhunderte die führende Weltmacht war. Die Wenigen, die das Recht hatten, zu regieren und mitzubestimmen, haben sich und ihrem Staat hier den ihnen gemäßen Rahmen gegeben. Dieser Sachverhalt wird angesichts des touristischen Treibens auf dem zentralen Platz der Stadt mit dem früher obligatorischen Füttern der Tauben heute nicht mehr ohne weiteres deutlich. Der Markusplatz ist nicht mehr ein Forum für eine Elite, sondern ein Tummelplatz für Massen von Besuchern, deren Verhalten oft genug den gebotenen Respekt vermissen lässt. Doch derjenige, der sich auch nur ganz wenig weiter abseits wagt, findet unvermutet völlige Ruhe und Stille, eine Stille, wie sie als Stadt nur Venedig schenken kann.

      Der Markusplatz

      „Venedig bietet am Markusplatz ein meisterliches Vorbild harmonischer Ausgewogenheit. Unbestreitbar hat hier die Poesie ihre bezauberndste Manifestation erfahren. Heiterer Ernst, fruchtbarer Wechsel, Reiz des Unerwarteten, Anmut und Majestät vereinigen sich auf der Lagune zu einer einzigartigen Symphonie. Die aufeinanderfolgenden Jahrhunderte haben die gegensätzlichsten Auffassungen mit sich gebracht, die Bildung von Oppositionen und regelrechte Umstürze.“

      Mit diesen Worten besingt der Architekturtheoretiker und Stadtplaner Le Corbusier die Platzanlage, die den Markusdom umgibt. Sie besteht aus der eigentlichen Piazza, die sich vor der Hauptfassade der Kirche nach Westen hin erstreckt, und der Piazzetta, die von S. Marco nach Süden zwischen Palazzo Ducale und Libreria zum Wasser hin verläuft. Von geringerer Bedeutung ist die nördlich von S. Marco gelegene Piazzetta dei Leoncini, so genannt nach den beiden von Kindern viel berittenen Löwen aus rotem Veroneser Marmor, deren Rücken mittlerweile völlig blank poliert sind.

      Die Venezianer selbst suchen bis heute die Piazza eher selten auf. Früher gehörte sie im Wesentlichen den ricchi, den Reichen also, und den nobili (was nicht gleichbedeutend war). Die anderen Bewohner der Stadt lebten und arbeiteten jeweils in eng umgrenzten Gebieten und verließen diese praktisch nie. Napoleon hat von der Piazza gesagt, sie sei „der schönste Salon Europas, dem als Decke zu dienen nur der Himmel würdig ist.“ Das scheint ein Wort des höchsten Lobes zu sein, doch offensichtlich war er der Meinung, diesen Platz dennoch verändern zu müssen mit dem Abriss einer kleinen Kirche und dem Bau der jetzigen Ala Napoleonica (siehe am Ende des Kapitels). – Napoleon war alles andere als ein Freund Venedigs, weder der Republik, die zu zerstören er sich zum Ziel gesetzt hatte („io sarò un Attila per lo Stato veneto“), noch der Stadt mit ihrer Architektur und ihren politischen, sozialen und kulturellen Strukturen. Für ihn war Venedig nicht mehr als eine politische Manövriermasse, mit der er nach Gutdünken schalten und schachern konnte. Er veranlasste mit grober Hand bauliche Maßnahmen und Veränderungen, er brauchte Wohnräume und einen eigenen Ballsaal, auch wenn er nur selten in der Stadt war. Wenn er die Piazza als „Salon“ bezeichnete, so beweist das recht deutlich, wie wenig er sich der herausragenden geschichtlichen und künstlerischen Bedeutung dieses singulären Ensembles bewusst war. – Nietzsches Verse in einem seiner Gedichte klingen da weit sensibler:

      Mein Glück

      Du stilles Himmels-Dach, blau-licht, von Seide,

      Wie schwebst du schirmend ob des bunten Bau’s,

      Den ich – was sag ich?


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