Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden - Max R. Liebhart


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Kirche besitzt drei Fassaden. Die zweigeschossige Hauptfassade zeigt nach Westen und zur Piazza. In der unteren Ebene nehmen die fünf Portalnischen ein Grundmotiv venezianischer Architektur, das der Säulenarkade, auf. Die mittlere Nische ist breiter und höher als die anderen und durchbricht die große Horizontale der Terrassenbalustrade. In zwei Etagen gestellte Säulen aus polychromem Marmor fassen die Nischen ein. Herrliche Steine sind hier zusammengetragen und verarbeitet, und die Kapitelle, von denen keines dem anderen gleicht, bilden eine kleine Welt für sich. Wohl die Hälfte der etwa sechshundert Säulen, die hier verbaut wurden, sind Spolien von griechischen Inseln und „so gut in das Gesamtbild integriert, dass sie nicht immer von den mittelalterlichen Kopien unterschieden werden können.“ (Fortini Brown) In den Nischen öffnen sich rechteckige Türen zur Vorhalle. Die Portalnischen tragen Mosaiken, ebenso wie die Bogenfelder des Hochgadens in der zweiten Etage der Fassade, in der dem mittleren Hauptportal ein großes bogenförmiges Fenster entspricht. Vor diesem stehen heute Kopien der vier antiken Bronzerosse, die nach 1204 von Konstantinopel nach Venedig gebracht wurden. Das Fenster war früher in Felder aufgeteilt, von denen fünf Figuren trugen, nämlich die Darstellung Christi und die vier Evangelisten, die heute in Kopien an der Nordfassade zu sehen sind.

      Einzelne herausragende Werke der reich ausgestatteten Fassade seien erwähnt. Bis auf eine Ausnahme sind die Lünetten-Mosaiken der Westfassade erst im 17. und 18. Jahrhundert entstanden, wobei man damals in Thematik und Darstellung auf die heute verlorenen Vorbilder zurückgegriffen hatte. Das Mosaik der linken Portalnische (porta di S. Alippio), das zeigt, wie der Leichnam des hl. Markus in die Basilika getragen wird, stammt dagegen aus dem Jahr 1265. Der Zustand der Kirchenfassade zu jener Zeit ist darauf detailreich wiedergegeben. Besonders schön sind die Bronze­flügel des Mittelportals mit übereinandergestellten Halbbögen (ein Motiv, das in Venedig häufiger zu finden ist) und einer Reihe wunderschöner Löwenköpfe, deren jeder eine eigene Persönlichkeit darstellt. Die Türen stammen aus Konstantinopel und entstanden vermutlich in der Zeit des Kaisers Justinian. Die mittlere Portalnische ist von drei Archivolten übergriffen, die jeweils an Innen- und Stirnseite Reliefstreifen tragen. Viele der hier dargestellten Szenen, die astrologische und theologische Themen behandeln, sind schwer zu deuten. Gut verständlich sind dagegen die Allegorien der zwölf Monate (Innenseite der zweiten Archivolte), sowie die Darstellung der Stände (Innenseite der dritten Archivolte). Diese Kunstwerke gehen zum Teil auf byzantinische Vorlagen zurück, „sind jedoch ohne direkten Kontakt mit der französischen Kathedralgotik des frühen 13. Jahrhunderts nicht denkbar“ (Hubala). Möglicherweise war es Benedetto Antelami, der hier vermittelte. Die Figurengruppe über dem Türsturz des Mittelportals wird Il sogno di S. Marco genannt: Über einem schlafenden Mann steht ein Engel, der gemäß der Legende dem Schläfer weissagt, er werde an der Stelle, an der er schläft, eine Stadt gründen. Die Worte, mit denen der Engel seine Weissagung eingeleitet haben soll, waren „Pax tibi Marce, Evangelista meus“ und stehen seitdem in dem Buch, das der Markuslöwe mit seiner Pranke hochstemmt. Daneben finden sich zahlreiche weitere schöne Details, wie z. B. die Reliefplatten in den Bogenzwickeln. Auf den beiden äußeren sind Taten des Herakles dargestellt (links mit dem kalydonischen Eber, rechts mit der Hirschkuh, die die Hydra zertritt). Das linke Relief stammt aus der Spätantike, und zwar von der Hand des sogenannten Heraklesmeisters, dem auch die beiden weiter innen gelegenen Reliefs zugeschrieben werden, die links die Madonna, rechts den Erzengel Gabriel darstellen. Die ganz innen gelegenen Platten sind byzantinische Werke des 12. Jahrhunderts und zeigen die Heiligen Demetrius und Georg. Weiterhin gibt es feine Steinarbeiten an den Portalnischen.

      Höhepunkt der Westfassade sind die vier Bronzerosse auf der Terrasse vor dem Mittelfenster, die auf kurzen Säulenschäften postiert sind. Zu sehen sind heute Kopien, während die Originale im Museo Marciano (in der Kirche auf der hinteren Empore) stehen. Es ist die einzige Quadriga des Altertums, die auf uns gekommen ist. „... ein herrlicher Zug Pferde! Ich möchte einen rechten Pferdekenner darüber reden hören“, schreibt Goethe 1786. Er meint jedoch auch, sie seien nur schwer zu beurteilen und sähen von der Piazza aus gesehen „leicht wie Hirsche“ aus. Die Entstehungszeit dieser Pferde ist nach wie vor unklar. In der Literatur schwanken die Angaben vom späten 1. Jahrhundert bis 200 n. Chr. Früher wurden diese Arbeiten dem 4. Jahrhundert vor Christus zugerechnet, sie sind in jedem Fall in hohem Maße der hellenistischen Kunst verpflichtet. Diskutiert wurde auch schon, ob sie nicht kaiserzeitliche Repliken von verlorenen Werken aus der Zeit des Hellenismus seien. Heute tendiert man dazu, sie in die späte Kaiserzeit zu datieren. 1204 wurden sie vom Hippodrom zu Konstantinopel nach Venedig verbracht, lagen mehrere Jahrzehnte im Arsenal und sollten wohl eingeschmolzen werden. Um 1250 erfolgte die Aufstellung an der heutigen Stelle. 1797 hat Napoleon sie nach Paris schaffen lassen, von wo sie 1815 zurückkamen, um für die Zeit der beiden Weltkriege nochmals ausgelagert zu werden. Die Pferde waren zu Zeiten der Republik vergoldet, wie das Gemälde Gentile Bellinis in der Accademia zeigt. Im Jahre 2006 hat man den Repliken wieder eine dezent golden schimmernde Auflage gegeben.

      Die volkstümliche Überlieferung erzählt, dass seit jeher in die Augen der Pferde große Rubine eingesetzt gewesen waren und dass diese Rubine auf der Reise der Pferde über die Alpen geraubt wurden. Nach ihrer Rückkehr aus Frankreich hätte man die uralten Pferde jahrzehntelang in den dunkelsten Nächten des Jahres gehört, wie sie die Piazza der Länge und Quere nach wiehernd und stampfend durchquert hätten, und zwar auf der Suche nach ihren kostbaren Augen. Nach der Installation der elektrischen Beleuchtung auf der Piazza ließen die Pferde von diesem Treiben ab und verweilen seither unbeweglich auf ihrem Platz.

      Auf der Spitze über dem Mittelportal steht eine Statue des hl. Markus, die von goldgeflügelten Engeln flankiert wird. In den mittleren Tabernakeln auf der Fassade stehen die vier Evangelisten, in den beiden äußeren eine Verkündigungsgruppe mit Maria rechts und dem Erzengel Gabriel links.

      Die Nordfassade (zur Piazzetta dei Leoncini) ist seit Anfang 2006 wieder fast vollständig zu sehen, nachdem sie vorher 25 Jahre lang restauriert wurde. Für den, der noch den alten Zustand der Fassade kannte, ist das Ergebnis in hohem Maße erstaunlich. War die Fassade vorher grau, ja teilweise fast schwärzlich verfärbt durch die Ablagerungen der Zeit, so leuchtet sie jetzt wieder in den verschiedenfarbigen Marmorarten der verkleidenden Platten und der Säulen, erhält klare Akzente durch die scharf geschnittenen Kapitelle sowie die Patere (runde Reliefs) und die genannten Reliefplatten.

      Die Fassade ist in gleicher Weise strukturiert wie die Westfassade und besitzt zwei Etagen. In der unteren Zone wiederholt sie das Arkadenmotiv der Westfront, deren Balustrade hier weitergeführt wird. Über der Terrasse ist die Wand in Strebepfeiler und Hochgadenmauern mit Lünetten eingeteilt. In der unteren Etage finden sich vier ungleich weite Bögen. Im Gegensatz zu den anderen Fassaden der Kirche fehlen hier (bis auf eine kleine Ausnahme) die Mosaiken. Die Rückwände der Arkaden werden von verschiedenen Reliefplatten gefüllt, ebenso die Zwickel zwischen den Bögen und die Westwand des deutlich vorspringenden Querschiffs. Hingewiesen sei auf eine Greifenfahrt Alexanders im Zwickel zwischen der ersten und zweiten Arkade (von rechts), ein Motiv, das aus der orientalischen Legende stammt. In der rechten Arkade ist die Darstellung einer sogenannten Hetoimasia zu sehen. Darunter ist der leere Thron Gottes in der Welt zu verstehen, der von zwölf Lämmern, Symbolen für die Apostel, flankiert wird. Vermutlich handelt es sich hier um eine mittelalterliche Nachbildung eines frühchristlichen Werkes.

      Eine besonders kostbare Arbeit mit wertvollen Details ist die Porta dei Fiori in der vierten Arkade, die in das dritte Viertel des 13. Jahrhunderts zu datieren sein dürfte. Es sei zunächst hingewiesen auf die beiden byzantinischen Reliefikonen im Türsturz, über denen sich eine doppelte maureske Archivolte spannt. Deren Inneres ist „gefüllt“ mit einem schönen grünen Stein, von dem sich die beiden konzentrisch angeordneten Arabesken farblich und plastisch eindrucksvoll abheben. Im Tympanon befindet sich eine Geburt Christi, die mit etwas naiv-derben Figuren dargestellt ist. Die Stirnseite der inneren Archivolte trägt Pflanzen- und Tiermotive sowie Engel. Die äußere Archivolte zeigt Engel zwischen rahmenden Blattspitzen. All das wird von einem weiten Rundbogen überfangen, der an der Innen- und der Stirnseite skulptiert ist. Zu sehen sind innen Prophetenbüsten in Akanthusrahmen mit Maria im Scheitel, während außen Apostel in einer ähnlichen, noch üppigeren Rahmung und Christus im Scheitel zu sehen sind. Des Weiteren sind über der Porta dei Fiori sowie an der Westwand des Querschiffs der Kirche auf großen Reliefplatten von hoher Qualität die


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