Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden - Max R. Liebhart


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aufzeigen, auf das Bedeutende und Außergewöhnliche hinweisen, Anregungen geben, neugierig machen. Es ist ohne weiteres verständlich, dass es in einem kurzen Zeitraum unmöglich ist, die Stadt auch nur in groben Zügen kennen zu lernen. Wer die Stadt kennenlernen will, der muss sie erleben, und das ist nur dem möglich, der in ihr wohnt, sei es im Hotel, sei es in den mittlerweile reichlich angebotenen Mietwohnungen.

      Das unumstrittene Zentrum der Stadt ist die Piazza San Marco und ihre Umgebung. Es kann nichts Schöneres geben, als einen Lebenstag mit einem Besuch dieses unglaublichen Ensembles zu beginnen, indem man es langsam durchschreitet und es sich erschließt, und eben diesen Lebenstag auf dieselbe Art zu beenden. Auf Grund dieser Überlegung und Erfahrung wurde als Ausgangspunkt für die Rundgänge wenn möglich die Piazza gewählt.

      Eine Besichtigung der Stadt ist sehr wesentlich eine Besichtigung von Sakralbauten. Leider sind immer mehr Kirchen praktisch nicht mehr geöffnet. Die Institution Kirche (nicht die Religion) wurde zwar stets aus dem politischen Leben und aus den entsprechenden Gremien sorgfältig herausgehalten. Es galt während der gesamten Zeit der Republik der Satz „prima Veneziani, poi Cristiani – zuerst ist man Venezianer, dann erst Christ“, die kirchliche Präsenz in der Stadt war jedoch groß. Es gilt zu bedenken, dass es in Venedig im Jahr 1581 (laut Francesco Sansovino in seinem Buch „Venezia città nobilissima e singolare“) 70 Pfarrkirchen sowie 59 Klöster gab, wobei die Hospitale, die Oratorien, die Scuole und andere Bruderschaften sowie weitere zahlreiche soziale Einrichtungen noch gar nicht mitgerechnet sind. In diesen Sakralbauten hat vieles die Jahrhunderte und auch das Ende der Republik überdauert, nach dem allerdings etwa 40 Kirchen demoliert wurden. Dagegen dient fast keiner der Paläste mehr seinem ursprünglichen Zweck, es sind also nicht mehr Wohngebäude – und sollten sie es noch sein, so sind sie zumeist in viele kleinere Wohneinheiten aufgeteilt. Kaum eines dieser Bauwerke ist zugänglich, sieht man von den wenigen Palästen, in denen Museen untergebracht sind, einmal ab (Ca’ Rezzonico, Ca’ Pesaro, Ca’ d’Oro und natürlich der Dogenpalast). Außer dem Besuch der Kirchen und dem Studium ihrer Kunstschätze geht es bei dem Besuch der Stadt also im Wesentlichen darum, sich an der Vielfalt der Ensembles zu erfreuen.

      „Alle Menschen in Venedig gehen wie über die Bühne: in ihrer Geschäftigkeit, mit der nichts geschaffen wird, oder mit ihrer leeren Träumerei tauchen sie fortwährend um eine Ecke herum auf und verschwinden sogleich hinter einer andern und haben dabei immer etwas wie Schauspieler, die rechts und links von der Szene nichts sind, das Spiel geht nur dort vor sich und ist ohne Ursache in der Realität des Vorher, ohne Wirkung in der Realität des Nachher ... Selbst die Brücke verliert hier ihre verlebendigende Kraft. Sie leistet sonst das Unvergleichliche, die Spannung und die Versöhnung zwischen den Raumpunkten wie mit einem Schlage zu bewirken, zwischen ihnen sich bewegend, ihre Getrenntheit und ihre Verbundenheit als eines und dasselbe fühlbar zu machen. Diese Doppelfunktion ... ist hier verblasst, die Gassen gleiten absatzlos über die unzähligen Brücken hinweg, so hoch sich der Brückenbogen spannt, er ist nur wie ein Aufatmen der Gasse, das ihren kontinuierlichen Gang nicht unterbricht ... Und ganz ebenso gleiten die Jahreszeiten durch diese Stadt, ohne dass der Wandel vom Winter zum Frühling, vom Sommer zum Herbst ihr Bild merklich änderte. Sonst spüren wir doch an der blühenden und welkenden Vegetation eine Wurzel, die an den wechselnden Reaktionen auf den Wechsel der Zeiten ihre Lebendigkeit beweist. Venedig aber ist dem von innen her fremd, das Grün seiner spärlichen Gärten ... ist dem Wechsel wie entzogen. Als hätten alle Dinge alle Schönheit, die sie hergeben können, an ihre Oberfläche gesammelt und sich dann von ihr zurückgezogen, so dass sie nun wie erstarrt diese Schönheit hütet, die die Lebendigkeit und Entwicklung des wirklichen Seins nicht mehr mitmacht ... Es gibt wahrscheinlich keine Stadt, deren Leben sich so ganz und gar in einem Tempo vollzieht ... Und dies ist die eigentliche Ursache des ‚traumhaften‘ Charakters von Venedig, den man von je empfunden hat.“ (Georg Simmel, „Venedigs Doppelleben“)

      Venezianische Besonderheiten

      Die Lagune – Verkehrswege – Bautechnik – Architektur – Gondeln

      In diesem Kapitel soll versucht werden, einige venezianische Besonderheiten aufzuzeigen, die praktisch nur hier vorkommen, die das Stadtbild prägen und deshalb für das Verständnis wichtig sind. Es ist nicht einfach, sich Aufbau und Struktur dieses ungewöhnlichen Stadtgebildes verständlich zu machen. Huse stellt dazu fest: „Die wichtigste Regelmäßigkeit altvenezianischer Stadträume besteht in ihrer Unvorhersehbarkeit“. Die folgenden Ausführungen sollen helfen, sich in der Stadt zurechtzufinden und ihr Gefüge zu begreifen. Ihnen liegt die Beobachtung zugrunde, dass bestimmte „Motive“ immer wieder in der Stadt auftauchen, die den Gegebenheiten entsprechend variiert und angepasst werden. Es sollen hier quasi „Bausteine“ erarbeitet werden, aus denen sich der Stadtkörper zusammensetzt.

      Die Haupteigenschaften der Venezianer, denen man auf Schritt und Tritt begegnet, sind ihre Ausgeglichenheit, ihre Beharrlichkeit und ihr Konservativismus. Solche Eigenschaften waren – und sind – unabdingbare Voraussetzungen für Menschen, die sich gezwungen sahen, sich vom festen Land zurückzuziehen und ihre Siedlungen auf schlammige Inseln zu verlegen, auf Inseln, die sich nur wenig über den Wasserspiegel erheben. Heute erscheint die Stadt dem Besucher als ein gewachsenes Ganzes, aber der Eindruck trügt. Vielmehr entstand das heutige Venedig aus zahlreichen kleinen Siedlungen, die sich ursprünglich auf die jeweiligen kleinen Inseln (es sind etwa 120) beschränkten und in der Anfangszeit auch durch keine festen Verkehrswege verbunden waren. Sesshaftigkeit auf kleinstem Raum bestimmte das Leben der Venezianer, und die Lebensweise der Venezianer hat sich bis heute nicht wirklich grundlegend geändert. Ein Beispiel für diese Überlegung ist, dass bis in die jüngste Vergangenheit am einen Ende der Stadt Wörter gebräuchlich waren, die die Bewohner der entfernt gelegenen Stadtteile nicht kannten. Lokalpatriotismus auf kleinstem Raum ist somit auch heute noch zu beobachten. Francesco Sansovino schrieb Ende des 16. Jahrhunderts: „Möglicherweise kann man es bezweifeln, ob ‚die Venezianer‘ jemals gelernt haben, ihre Stadt als ein Ganzes zu sehen. Es mag ja durchaus sein, dass ‚der Venezianer‘ immer noch geprägt ist von den Gegebenheiten, die im Stadtgebiet herrschten, bevor es zum heutigen Bild zusammenwuchs: von der Tatsache, dass es da früher ‚zunächst getrennte, dann aber immer wieder verbundene Städte‘ gegeben habe“.

      Die Lagune

      Die Lagune ist nicht nur eine Venedig umgebende Wasserfläche, sondern ein ganz wesentlicher Bestandteil der Stadt selbst, beide sind untrennbar miteinander verbunden. Dabei war die Verflechtung von Stadt und Lagune zu Zeiten der Republik weit enger als heute. Damals besaßen die Venedig umgebenden Inseln eine weitaus größere Bedeutung, da sie alle besiedelt waren und viele von ihnen Klöster trugen. Sie gehörten gewissermaßen zum Weichbild der Stadt, die sie umgeben haben wie Sterne die Sonne.

      Die Lagune ist über drei Öffnungen in den lidi, den schmalen Landbarrieren, die Schutz vor dem Meer bieten, mit diesem verbunden und damit den Gezeiten unterworfen. Das hat zur Folge, dass die Lagune und die in ihr liegenden Siedlungen einerseits beständig mit sauberem Wasser durchspült werden, dass andererseits aber die oft starken Ausschläge der Gezeiten zu Hochwassern führen. Schon alleine daraus wird die entscheidende Bedeutung der Lagune für Venedig deutlich. Weitere Gedanken lassen sich anfügen. Peterich meint, es sei die Lagune, die Venedig die Stille erhalten habe, „in unserer Zeit vielleicht das Kostbarste, was es gibt ... Laguna ist es aber auch, die diese Stille mit dem lebendigsten Leben erfüllt ... Sie lockt mit den Geheimnissen des Meeres, nicht zuletzt mit denen der Göttin, die der Schaum gebar ... Die Lagune hat Venedigs Maler Farben mischen gelehrt ... Von der Lagune haben die Venezianer wohl auch ihre bezaubernd zarte und melodische Mundart gelernt. Nie habe ich mich von der Vorstellung befreien mögen, dass alle Nixen auf der Welt venezianisch sprechen.“

      Verkehrswege

      Damit die zahlreichen Siedlungskerne zu einem Ganzen zusammenwachsen konnten, waren entsprechende Verbindungen erforderlich. Die Stadt besitzt zwei Systeme, die die einzelnen Inseln miteinander verbinden, Wasserwege und Fußwege.

      Wasserwege: Die etwa 180 Kanäle, die die Stadt mit einer Gesamtlänge von etwa 37 Kilometern durchziehen, werden rio genannt. Sie entsprechen meistens


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