Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden - Max R. Liebhart


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Brenta war, teilt mit seinem großen, umgekehrt S-förmigen Verlauf den Stadtkörper in zwei Hälften und ist die eigentliche Lebensader der Stadt. Er verzweigt sich in den – teilweise sehr engen – rii, so dass der Stadtkörper an einen von Adern durchzogenen Organismus erinnert. Das Kanalsystem ist für die Stadt lebenswichtig, sowohl für die Versorgung als auch für die Hygiene. Durch die Gezeiten, die in der Lagune recht hohe Ausschläge zeigen, werden die rii und damit auch die Stadt zweimal am Tag durchspült und gereinigt. Venedig hat bis heute kein Kanalsystem zur Beseitigung der Abwässer, was angesichts des geschilderten Mechanismus auch gar nicht nötig war. Dabei gab es seit jeher Probleme mit der Pflege der Kanäle, auf die die Republik großen Wert legte. Ziel der Reinigungsmaßnahmen war eine Mindesttiefe von 1,70 m, die jedoch fast nie erreicht wurde. Damals wie heute bestand ein Problem darin, dass jedermann seinen Abfall in die Kanäle entsorgte, obwohl das unter empfindliche Strafen wie fünf Dukaten Bußgeld oder Auspeitschen gestellt wurde. Die Pflege der Kanäle geschah jahrhundertelang mit großer Sorgfalt und großem Personalaufwand. Man bediente sich dabei beweglicher Spundwände, um mit ihnen einzelne Abschnitte trockenzulegen – deren Halterungen sind heute noch an manchen Stellen sichtbar – und verwendete katamaranähnliche Boote, die mit Vorrichtungen für Bagger ausgestattet waren. Noch im 19. Jahrhundert war die Wasserqualität ziemlich gut, wofür spricht, dass Lord Byron mehrfach vom Lido zu seinem Palazzo in der Nähe der Ca’ Foscari schwamm und am Canal Grande öffentliche Badeanstalten existierten. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat man diese Aktivität einschlafen lassen, vermutlich auch in der irrigen Meinung, ganz einfach darauf verzichten zu können. Erschwerend kamen der undurchdringliche Wirrwarr behördlicher Kompetenzen und die Frage der Finanzierung hinzu. So geschah jahrzehntelang nichts mehr. Dadurch verschlammten die Kanäle langsam, und bei Ebbe sah man den Boden und roch den Inhalt. Das wiederum hatte einen geringeren Wasseraustausch im Rahmen der Gezeiten und somit einen geringeren Verdünnungseffekt der eingeleiteten Abwässer zur Folge. In den 1990er Jahren waren die Zustände so unhaltbar geworden, dass man wieder begonnen hatte, das Kanalsystem Zug um Zug zu sanieren, wobei gleichzeitig auch die Fundamente der anliegenden Gebäude renoviert wurden. Der Erfolg war überzeugend. Im Jahre 2004 war etwa ein Drittel der Kanäle gereinigt. Leider wurden die Aktivitäten danach wieder eingestellt. Doch immerhin: Die große Masse an Touristen findet ihre Abwässer nicht in den Kanälen wieder. Alle öffentlichen Toilettenanlagen sowie die Hotels neueren Datums müssen heute Fäkalientanks haben. Diese werden regelmäßig von blau-weißen Tankbooten abgepumpt und der Inhalt in den Kläranlagen von Porta Marghera entsorgt.

      Rii terrà: Diese zugeschütteten Kanäle, die heute nur noch an den Straßennamen zu erkennen sind, stellen einen Sonderfall der Verkehrswege dar. In der Mehrzahl entstanden sie erst nach 1797, da im republikanischen Venedig kaum jemand auf die Idee gekommen wäre, Kanäle zu beseitigen. Darauf verfiel man erst, nachdem Venedig 1866 Teil des Königreiches Italien geworden war. In dieser Zeit dominierte das Bedürfnis, die Stadt zu „modernisieren“, wodurch die Kanäle nur noch als Ärgernis empfunden wurden, das es zu beseitigen galt. So „wurden von 1797 bis 1966 fünfzig Kanäle mit einer Länge von 7860 m zugeschüttet“ (Huse), was etwa 13 % des Wassernetzes entsprach. Für die Zirkulation des Wassers im Rahmen der Gezeiten war das von erheblichem Nachteil.

      Fußwege: Sie bilden ein engmaschiges Netz und sind die eigentlichen Verbindungen zwischen den Inseln, auf denen Venedig steht. Je nach ihrer Art und Struktur tragen die Wege verschiedene Bezeichnungen. Die etwa 3.000 calli (Gassen) sind oft atemberaubend eng und schluchtenartig (die engste hat eine Breite von 53 cm) und verbinden die campi, etwa 100 Plätze verschiedener, teilweise erheblicher Größe, und die campielli (kleine Plätze) zu einem dynamischen, atmenden Ganzen. Dieses unergründbare Netz von Fußwegen, in dem man sich leicht verirren kann, gehört zu den wesentlichen Besonderheiten, die die Einzigartigkeit Venedigs ausmachen. Auch wenn man immer wieder scheinbar Gleiches zu sehen bekommt, so ist in Wirklichkeit jede calle, jeder corte (Innenhof) anders und eine kleine Welt für sich.

      „Zweideutig ist der Charakter dieser Plätze, die mit ihrer Wagenlosigkeit, ihrer engen, symmetrischen Umschlossenheit den Anschein von Zimmern annehmen, zweideutig in den engen Gassen das unausweichliche Sich-Zusammendrängen und Sich-Berühren der Menschen, das den Schein einer Vertrautheit und ‚Gemütlichkeit‘ diesem Leben gibt, dem jede Spur von Gemüt fehlt; zweideutig das Doppelleben der Stadt, einmal als der Zusammenhang der Gassen, das andere Mal als der Zusammenhang der Kanäle, so dass sie weder dem Lande noch dem Wasser angehört – sondern jedes erscheint als das proteische Gewand, hinter dem jedesmal das andere als der eigentliche Körper lockt; zweideutig sind die kleinen dunklen Kanäle, deren Wasser sich so unruhig regt und strömt – aber ohne dass eine Richtung erkennbar wäre, in der es fließt, das sich immerzu bewegt, aber sich nirgends hinbewegt. Dass unser Leben eigentlich nur ein Vordergrund ist, hinter dem als das einzig Sichere der Tod steht.“ (Georg Simmel)

      Eine piazza gibt es im Unterschied zu anderen italienischen Städten nur einmal, nämlich die weite Fläche westlich von San Marco. Eine piazzetta gibt es zweimal, und zwar jeweils zu Seiten der Basilika. Daneben stößt man noch auf die Bezeichnungen salizada (eine Gasse, die schon früh gepflastert wurde), ruga (eine Gasse, die schon früh an beiden Seiten bebaut war), ramo (eine Seitengasse), riva oder häufiger fondamenta (befestigter Uferstreifen entlang eines Kanals oder der Lagune), rio terrà (zugeschütteter Kanal), lista (Gasse, an der eine ausländische Botschaft lag).

      Die beiden Verkehrswege ergänzen sich ausgezeichnet. Heute erfolgt der Lastenverkehr soweit als möglich auf dem Wasser, während sich der Individualverkehr zu Lande abspielt. Trotz des recht gut ausgebauten Netzes von Bootslinien ist Venedig heute eine Stadt der Fußgänger. Zu Zeiten der Republik war das anders, da damals auch der Individualverkehr auf dem Wasser erfolgte, und zwar mit Hilfe zahlreicher Gondeln, von denen es zeitweise mehr als 15.000 gab. Kaum einer der nobili oder andere reiche Leute wären auf den Gedanken gekommen, zu Fuß zu gehen.

      Sottoporteghi: Überall in der Stadt stößt man auf Durchgänge unter den Häusern, deren Existenz heute als selbstverständlich empfunden wird, die jedoch eine komplizierte Entstehungsgeschichte besitzen. Wie bereits erwähnt, entstand Venedig auf zahlreichen Inseln, die zunächst nur durch Wasserwege miteinander verbunden waren. Diese sowie die Sümpfe auf den Inseln galten als öffentlicher Besitz. Dagegen befand sich das feste Land überwiegend in privater Hand. Als die einzelnen Inseln mehr und mehr zu einem Stadtorganismus zusammenwuchsen, wurden zunehmend Verbindungswege auch zu Lande erforderlich, die aber angesichts der Besitzverhältnisse nicht ohne weiteres angelegt werden konnten. Denn „da die Rechtssicherheit in Venedig groß war, konnte der Staat nichts einfach erzwingen, so dass die Behörden immer neu überzeugen, aber auch nötigen und drohen mussten, um einen Ausgleich der Interessen zu sichern“ (Huse). Auch „so zentrale und für die heutige Stadt ganz selbstverständliche Landverbindungen wie die von S. Marco nach S. Stefano und von dort zum Rialto mussten erst gegen Partikularinteressen durchgesetzt werden ... Bauliches Dokument dieses Ringens sind die vielen Durchgänge unter Häusern, ohne die ein gesamtstädtischer Landverkehr an vielen Stellen überhaupt nicht möglich gewesen wäre.“

      Brücken: Durch sie werden die beiden Verkehrsnetze gewissermaßen verklammert, was nicht immer so war. In der Frühzeit der Republik waren die einzelnen bewohnten Inseln zunächst noch voneinander getrennt und führten jeweils ein Eigenleben. Erst das Wachstum der Bevölkerung und die sich daraus ergebenden Veränderungen der Abläufe im Organismus der Stadt machten feste Verbindungen zwischen den Inseln notwendig. Diese bestanden zunächst aus Booten, die man nebeneinander in die rii legte, oder aus hölzernen Stegen. Später, wohl erst seit dem 9. Jahrhundert, begann man, diese Verbindungen auf Pfählen zu errichten, die in den Boden der Kanäle gerammt wurden. Die ersten Steinbrücken entstanden im Jahre 1170. Es handelte sich um den Ponte della Canonica und den Ponte di San Provolo (Brücken sind im Italienischen männlich). Beide liegen auf dem Verbindungsweg zwischen dem Dogenpalast und der Kirche San Zaccaria, der für die jährliche andata, die feierliche Prozession des Dogen und der Signoria zum gleichnamigen Kloster, von großer Bedeutung war. Derzeit gibt es in Venedig über 400 Brücken, viele davon sind Privatbrücken. 300 von ihnen sind aus Stein erbaut, der Rest aus Holz. Zu den seit langer Zeit bestehenden Brücken kam im Jahr 2008 nach langer Planung und kontroverser Diskussion eine vom spanischen Architekten Calatrava entworfene Brücke über den Canal Grande zwischen Piazzale Roma und Bahnhof.


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