Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

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Krankenpflege) usw. Die Mitglieder wählten ihre eigenen Beamten, verpflichteten sich zu gegenseitigem Beistand, besonders in Fällen von Krankheit oder Not. Die Organisation finanzierte sich aus einem jährlichen Mitgliedsbeitrag, aber auch aus Spenden und Vermächtnissen. Einige der scuole gelangten zu immensem Reichtum und traten auch als Kunstmäzene auf, allen voran die Scuola di San Rocco.

      Organisationen wie die scuole gehen vermutlich auf das frühe 12. Jahrhundert zurück und konnten in dieser Form nur in Venedig entstehen und gedeihen. In Venedig mit seiner oligarchischen Regierungsform lag alle politische Macht in der Hand des Adels, also derjenigen Personen, die im Goldenen Buch der Stadt eingetragen waren. Bei dieser ausgesprochen elitären und exklusiven gesellschaftlichen Schicht kam es ausschließlich auf die Geburt, nicht aber auf die finanziellen Möglichkeiten einer Familie an, d. h. die Stimme eines armen Adeligen zählte im Großen Rat so viel wie die eines reichen. Andererseits gab es viele Nichtadelige, die bei weitem reicher als die überwiegende Zahl der nobili, jedoch trotzdem von Einflussnahme und Machtausübung ausgeschlossen waren. Wenn dieser Umstand nicht zu innenpolitischen Spannungen oder gar Revolutionen geführt hat, so ist dies sicher der Einrichtung der scuole zu danken, in denen entsprechende Energien gebündelt und in ungefährliche Bahnen gelenkt wurden.

      Die Bruderschaften tagten zunächst in den Sakristeien der Kirchen. Erst im 15. Jahrhundert ging man dazu über, eigene Versammlungsräume zu errichten. Die reicheren scuole ließen sich zum Teil recht aufwendige Bauten errichten, die einem bestimmten Architekturschema folgten. Insbesondere bei den scuole grandi unterschied man einen Saal, der als Herberge genutzt wurde, vom eigentlichen Festsaal. Die genaue Zahl der scuole ist nicht bekannt, manche Quellen sprechen von mehr als dreihundert. Alle diese Einrichtungen wurden von Napoleon aufgehoben, nur zwei davon – Scuola Grande di San Rocco und Scuola di San Giorgio degli Schiavoni – lebten später wieder auf und bestehen bis heute.

      Profanbauten

      Eine ganz wesentliche Leistung der venezianischen Architektur besteht in der Entwicklung und Ausformung des Venezianischen Palastes. Entscheidend hierfür war, dass die großen Familien Venedigs für ihre Paläste eine völlig andere Gestaltungsweise wählen konnten, als Familien, die auf dem Festland wohnten, wo Sicherheits- und Verteidigungsgesichtspunkte im Vordergrund standen. So baute man völlig offen gegen campi und Kanäle, wobei die Gebäude sehr wohl gegen Übergriffe von außen geschützt wurden, sei es durch starke Portale oder gut vergitterte Fenster.

      Ein Dichter namens Buoncampagno hat über das venezianische Haus gesagt: „Pavimentum est mare, celum est tectum et paries decursus aquarum – der Boden ist das Meer, das Dach der Himmel, die Wände entsprechen dem Lauf des Wassers“, ein Satz, der die Schwierigkeit des Bauens in der Lagune verdeutlichen mag. Der venezianische Palast war nicht nur Wohn- und Repräsentationsbau, sondern casa-fontego, also Wohn- und Handelshaus in einem. In der Mitte des Erdgeschosses liegt ein breiter Korridor, der als andron oder portego bezeichnet wird, den Bau in seiner ganzen Tiefe durchquert und als Magazin diente. Ihm entspricht im ersten Obergeschoss, dem piano nobile, die sala (auch salone genannt). Zu Seiten des portego gab es Läden, Vorratsräume und Kontore. Häufig lagen zwischen den Hauptgeschossen die sogenannten Mezzanin-Geschosse (Zwischengeschosse), die meist als Büroräume dienten. In den Gemächern neben der sala waren die Wohn- und Schlafräume für die Hausherren untergebracht. Im zweiten Obergeschoss lagen die Räume für Familienangehörige und das Personal. Manche Paläste wurden auch von zwei Familien bewohnt, was an den Doppelportalen in der Wasserfront zu erkennen ist. Alles war auf das reichste und mit erlesenem Geschmack, feinstem Kunsthandwerk und unerhörter Pracht bis ins kleinste Detail ausgestattet. Die Paläste waren Gesamtkunstwerke, für die es keine Parallelen gibt.

      Der heutige Besucher sieht, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur die Fassade, die die dahinterliegende Aufteilung des Gebäudes widerspiegelt. Sie ist, sofern unverkürzt ausgeführt, dreiteilig, und zwar in allen Geschossen. Häufig findet sich im breiteren Mittelteil das in Venedig weit verbreitete Motiv der Säulenarkade. Die Seitenteile heißen torresello, „Türmchen“. Möglicherweise handelt es sich dabei um Relikte von turmartigen Anbauten, wie sie an früheren Gebäuden tatsächlich vorhandenen gewesen sind und wie man sie beispielsweise noch am Fondaco dei Turchi, ursprünglich ein Palast, sehen kann. Alle venezianischen Palastfassaden haben einen geraden oberen Abschluss. An den Seitenwänden werden die Kaminschächte hochgeführt, die bei den Palästen meist im Mauerverbund verlaufen. Das Schema der Palastfassade ist häufig verkürzt, das heißt, es sind nur der Mittelabschnitt und ein Seitenteil ausgeführt. Die Grundform des venezianischen Palastes wurde beharrlich und konsequent während der gesamten Dauer der Republik beibehalten. Sie wurde in allen Stilen und in zahllosen Variationen ausgeführt, so dass jeder Palast ein Individuum darstellt. Die vollkommenste Ausprägung erhielt der venezianische Palast in der Gotik, dem Stil, an dem die Venezianer viel länger festhielten als andere Städte. Der glanzvollste Palast dieser Epoche ist die Ca’ d’Oro am Canal Grande. Spätere Epochen veränderten die klassische Aufteilung der Palastfassade, dies bis hin zur Ca’ Grande, bei der die Fenster mit gleichmäßigen Intervallen über die Fassade verteilt sind, so dass die torreselli kaum mehr zu erkennen sind.

      Die Bürgerhäuser wurden im Gegensatz zu den Palastfassaden in einer Mischbauweise aus Ziegel und Stein (pietra d’Istria) errichtet, bei der die Marmorteile nicht nur als Schmuck, sondern auch der Festigung des Ganzen dienen. Häufig wurden die Häuser um Höfe herum errichtet. Die Rauchabzüge wurden in der Regel vor der Hauswand hochgezogen, was ebenso dem Feuerschutz diente wie die charakteristisch geformten Schornsteine. Dachterrassen, die altane, ermöglichen den Gang aus der Dunkelheit der calli zum Licht, Erker, liagò genannt, den Blick aus den Wohnungen in die Gassen. Eine besondere Art des Bauens sieht man heute noch im Ghetto, wo Platzmangel und hohe Bevölkerungsdichte Häuser entstehen ließen, die immer wieder aufgestockt wurden bis hin zu zehn Stockwerken. Vereinzelt finden sich auch größere Anlagen von Sozialwohnungen, so beispielsweise südlich des Rio terrà Garibaldi die Marinarezza mit 55 Wohnungen für Matrosen.

      Einige architektonische Besonderheiten seinen hier noch hervorgehoben: Die Altane sind für das venezianische Stadtbild charakteristisch. Es handelt sich um aus Holz konstruierte Dachterrassen, die von einigen kurzen Pfeilern gestützt werden und über eine Luke im Dach und eine Holztreppe erreichbar sind. Die altana von Bürgerhäusern diente zum Trocknen der Wäsche, während sie den Bewohnern der besseren Gebäude die Möglichkeit gab, die frische Luft zu genießen oder sich die Haare zu bleichen (mit speziellen Kopfbedeckungen, die nur aus einer Hutkrempe bestanden). Diese Aufbauten sind uralt, werden schon in den Gemälden Gentile Bellinis dargestellt und haben sich in den letzten 500 Jahren kaum verändert.

      Neben den Treppen im Inneren der Gebäude trifft man in Venedig häufig auf Außentreppen, die entlang der Außenmauern oder in Höfen hochgeführt werden (sogenannte venezianische Freitreppen).

      Der Gestaltung der Kamine kam in einer feuergefährdeten Stadt wie Venedig eine ganz wesentliche Bedeutung zu. Überall in der Stadt trifft man auf eine ganz typische Bauweise, bei der über einem zylindrischen oder rechteckigen Schlot ein Aufbau angebracht ist, mit dem Funkenflug unterbunden werden soll.

      Auf ein spezielles Detail müssen viele Besucher Venedigs erst aufmerksam gemacht werden: die capitelli. Das Verhältnis der Venezianer, genauer gesagt des venezianischen Staates zur Kirche war, um es vorsichtig auszudrücken, recht distanziert, ja kühl. Andererseits muss man den Venezianern selbst tiefe Religiosität zubilligen, wofür schon die große Zahl von Sakralbauten aller Art in ihrer Stadt spricht. Außerdem war „für die Venezianer ihre Stadt von Heiligkeit erfüllt und sie nannten sie ‚Sancta città‘. Gott hatte seine besondere Gnade bewiesen, als er zuließ, dass eine solche Stadt gegründet werden und an einem so unwahrscheinlichen Ort gedeihen konnte. Wie das Krönungsritual und die Ausschmückung des Dogenpalastes zeigen, waren das Sakrale und das Profane in allen Aspekten des politischen Lebens untrennbar verwoben“ (Fortini Brown). – Die sogenannten capitelli sind nun ein ganz spezieller Ausdruck venezianischer Frömmigkeit. Es handelt sich um Andachtsbilder mit Darstellungen von Maria, Christus und Heiligen, die in Kleinarchitekturen wie Tabernakeln, Nischen oder Rahmen zu sehen sind und dort verehrt werden können. Die Qualität dieser Werke ist ganz unterschiedlich, ebenso wie die Darstellungsart. Man findet die capitelli häufig in Wohngegenden, am Fuß von Brücken oder auch an Anlegestellen von


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