Mordsmäßig heilig. Barbara Merten

Mordsmäßig heilig - Barbara Merten


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erzählen Sie Ihrem Mann, was Sie erlebt haben. Ich bin sicher, dass da was nicht stimmt. Viel Erfolg und einen lieben Gruß an Ihre bessere Hälfte. Ich bin gespannt. Auf Wiedersehen, Frau Schneider!«, verabschiedete die Verkäuferin ihre Kundin.

      »Auf Wiedersehen!«

      Als Elsa eine halbe Stunde später ihrem liebsten Onkel Chris, dem Kriminalhauptkommissar, wild gestikulierend erzählte, dass ein Auto sie beinahe umgefahren hatte, meinte der amüsiert: »Oh je, Elschen, da bin ich aber froh, dass du noch lebst. Hmpf.«

      »Ja, das war wirklich eigenartig, Christian«, bestätigte Mathilde, die neben dem Kind stand. »Wie Diebe haben sich die Männer benommen. Die sind regelrecht in Panik geraten, als Elsa sie ansprach. Es kam mir vor wie ... eine Flucht! Ehrlich, Christian. Ich denke, da musst du was unternehmen. Ich hab das Gefühl, da stimmt was nicht.«

      Mathildes Stimme wurde schneller und schriller. Der Kommissar hörte nur noch mit halbem Ohr zu, fand die Aussagen seiner Frau nicht wirklich besorgniserregend. Er wollte Zeitung lesen, danach Rasen mähen, denn am Wochenende würde er – wegen der Hochzeit seines jüngeren Bruders – keine Zeit dafür haben.

      Darum sagte er: »Ja ja, Mathilde. Ist gut. Ich denke, du steigerst dich da rein. Wenn wirklich was geklaut wurde, ist die Dienststelle der richtige Ansprechpartner. Ich hab Feierabend.«

      Warum musst du immer so übertreiben, Mathilde? Zusammen mit Elsas Vorführung bekommt die Geschichte ja regelrecht theatralische Ausmaße, dachte er belustigt. Um das Kind zu beschäftigen schlug er vor: »Weißt du was, Elschen? Du malst mir ein Bild von den Männern und dem Auto und der Kirche. Dann kann ich mir das anschauen. Tante Mathi? Hast du ein Malblatt und Buntstifte für unser Elschen?«

      Mathilde knirschte mit den Zähnen.

      Er nimmt mich wieder einmal nicht ernst. Aber wenn Elsa abgeholt ist, werde ich es dir noch einmal erklären, mein Lieber. Da kannst du Gift drauf nehmen. Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Bin doch nicht blöd. Und ich ruf auch nicht auf der Wache an, wenn mein Mann selbst Polizist ist. Ich mach mich doch nicht zum Affen! Sie ärgerte sich über seine Ignoranz. Freundlich an Elsa gewandt sagte sie jedoch: »Oh ja, natürlich hab ich Malpapier. Das ist eine gute Idee, Onkel Chris.«

      Schnüffelnd setzte sich Christian in den Sessel und nahm die Tageszeitung. Für ihn war das Thema damit erledigt. Elsa beobachtete den Onkel, der beim Lesen immer wieder seine Nase krauste, Luft einsog und schnüffelte. »Hmpf hmpf.« Eine dumme Angewohnheit, die ihm unter den Kollegen den Namen ›Schnüffel‹ eingebracht hatte. Dem Kind gefiel es. Es versuchte, den Onkel nachzuahmen.

      »Onkel Chri-is, bist du ein Hase?«

      Der Kommissar schaute irritiert auf. »Ich? – Was? – Ein Hase? Hmpf.«

      »Ja!«, rief Elsa, setzte sich auf sein Bein, das er über das andere geschlagen hatte, und hopste auffordernd. »Wollen wir Hasi spielen?« Sie hielt Ihre Finger wie Hasenohren an den Kopf. Stöhnend legte der Kommissar die Zeitung beiseite und hob seine Nichte vom Fuß. »Nein Elschen. Onkel Chris hat keine Zeit zum Hasen spielen. Der geht jetzt den Rasen mähen.«

       Ein Mensch bemerkt mit bitterem Zorn,

       dass keine Rose ohne Dorn.

       Doch muss ihn noch viel mehr erbosen,

       dass sehr viel Dornen ohne Rosen.

      – Eugen Roth –

      »Mensch Jan, das war echt eng«, meinte Fredde, nahm seinen Mundschutz ab und blickte rüber zu seinem Zwillingsbruder, der den Rover forsch aus Duderstadt Richtung Herzberg lenkte.

      »Heute Morgen ist es besser gelaufen als eben.«

      »Das kann man wohl sagen. Nervige Göre. Musste die Frau mit dem Kind gerade jetzt da vorbeigehen? Ich dachte, um diese Zeit ist niemand bei der Kirche.«

      Jan schaute in den Rückspiegel. »Bis jetzt ist die Luft rein.«

      »Meinst du, die hat was gemerkt und die Polizei gerufen?«, hakte Fredde nach.

      »Keine Ahnung. Hättest die Kleine nicht so anschnauzen sollen. Das hat die stutzig gemacht.«

      »Ja, ja. Ich, natürlich bin ich wieder schuld. Du hättest vorsichtiger wegfahren können. Hast das Kind ja beinahe platt gedrückt. Deshalb ist die Frau ausgetickt. Hast du gehört, wie hysterisch die gekreischt hat? Oh, Mann. Mit der wollte ich nicht verheiratet sein.«

      »Klar. Weißt du, was mir in dem Moment alles durch den Kopf gegangen ist? Ich hab echt die Panik gekriegt. Noch einmal gehe ich nicht in den Knast. Das sage ich dir«, schnauzte Jan und schob dann beschwichtigend hinterher: »Drei Brüche an einem Tag ist einfach zu viel für meine Nerven. Wir haben wohl beide überreagiert. Also lass gut sein. Hauptsache, sie erwischen uns nicht.«

      Für Jan kam eine Auseinandersetzung mit seinem Bruder, dem Einzigen, dem er vertraute, nicht in Frage. Er war heilfroh, dass sie nach langen Jahren, die sie in verschiedenen Heimen und Pflegefamilien verbracht hatten, endlich wieder beieinander waren. Sie brauchten sich, waren abhängig voneinander. Ohne den anderen fühlte sich jeder, als wäre er nur halb existent. Zusammen aber waren sie ein Ganzes, einer in zwei Personen: Jan-Fredde. Sie dachten an früher.

      * * *

      Jahre zuvor

      Die Eltern von Jan und Fredde, Ilse und Adelbert Rittmann, hatten in Nesselröden mehr schlecht als recht den kleinen Hof des Vaters Alfred bewirtschaftet, der das Leben der Familie autoritär bestimmte. Ilse litt sehr unter dem strengen und zu Gewalt neigenden Schwiegervater. Sie kam aus dem damaligen Mädchenheim in Wollershausen. Das Jugendamt hatte sie aus ihrem Elternhaus genommen, weil Vater und Mutter an der Nadel hingen und nicht fähig waren, ihre Tochter groß zu ziehen. Ilse aber träumte von einem ganz normalen, glücklichen Leben in einer Familie, ohne Drogen und Alkohol. Als sie mit Adelbert anbändelte, glaubte sie, ihr Glück gefunden zu haben. Es dauerte nicht lange, da wurde sie schwanger und konnte aus dem Käfig des Heimes entfliehen, denn Adelberts Eltern bestanden auf eine schnelle kirchliche Hochzeit. Ihr Sohn sollte zu seiner Verantwortung stehen. Sie selbst übernahmen die Fürsorge für die siebzehnjährige Ilse. Doch schon bald nach der Geburt der Zwillinge Jan und Frederik spürte die junge Frau, dass sie zwar in Adelbert einen guten Mann gefunden hatte, aber fortan eine Gefangene auf dem Rittmannschen Hof sein würde. Nach dem viel zu frühen Tod der Schwiegermutter, mit der sie sich recht gut verstanden und die ihr beigebracht hatte, wie man einen Haushalt führt, wurde es zusehends schlimmer. Ilse nahm sich vor, dass es wenigstens Jan und Fredde einmal besser haben sollten. Sie liebte die Kinder über alles und versuchte, ihnen eine gute Mutter zu sein. Doch Alfred überwachte mit barschem Ton und Schlägen die Erziehung der Jungen, forderte auch von Ilse unbedingten Gehorsam ein. Die Jungen sollten ganze Kerle werden, keine Weicheier, wie er stets betonte. Mit der Zeit gab Ilse ihre eigenen Wünsche und Träume auf. Sie verstummte einfach, nahm jeden Befehl, jede Rüge ihres Schwiegervaters ohne Widerworte hin, wehrte sich nicht. So fand sie einen Weg, das Leben an der Seite des tyrannischen Schwiegervaters zu ertragen. Von ihrem Mann konnte sie nicht viel erwarten. Er war unter der harten Hand des Vaters aufgewachsen, hatte stets nach Anweisung auf dem Hof gearbeitet und nie versucht, sich dagegen aufzulehnen.

      Nur des Nachts, wenn Ilse und Adelbert beieinanderlagen, fanden sie stummen Frieden. Immer und immer wieder malten sie sich aus, wegzuziehen, auf eigenen Beinen zu stehen. Doch kam der Morgen, blieben sie. Wo sollten sie hin mit den Zwillingen, ohne Beruf, ohne eigenes Einkommen?

      Die Kinder wussten zwischen der unterschiedlichen Behandlung der Eltern und des Großvaters zu unterscheiden. Vater und Mutter liebten sie und waren gut zu ihnen, der Großvater hatte als Oberhaupt der Familie das alleinige Sagen. Sie kannten es nicht anders.

      Weil die Jungen kaum voneinander zu unterscheiden waren, bis auf das kleine Muttermal an Jans linkem Auge, nutzten sie die Ähnlichkeit für allerlei Streiche, brachten den cholerischen


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