Seewölfe Paket 1. Roy Palmer

Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer


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zu tief in den Knochen. Sie hatten ihren Mut verloren. Sie waren bereit, ihr Schiff dorthin laufen zu lassen, wohin der Wind es trieb. Vielleicht besänftigte das die bösen Geister, denen sie noch einmal entkommen waren.

      Bogo erkannte die Insel an ihrer höchsten Erhebung wieder. Von dort aus waren sie losgesegelt. Fast drei Tage waren inzwischen vergangen, und er hoffte, daß die Engländer noch nicht wieder fortgesegelt waren.

      Bogo wußte nicht, was er von den Engländern erwartete. Was konnten die weißen Männer, die sie von den Spaniern befreit hatten, schon anderes tun, als ihnen Mut zuzusprechen?

      Daß sie die Karacke nicht bis an die Küste Afrikas begleiten würden, war Bogo klar. Er wußte, daß der Führer der Engländer so schnell wie möglich nach Norden in seine Heimat zurücksegeln wollte.

      Der Wind, der jetzt stetig von Süden blies, trieb die Karakke auf die dunkle Küste zu. Zerrissene Felsen vulkanischen Ursprungs reichten weit hinaus ins Meer. Eine halbe Meile vor den Felsen trugen die Wellen kleine Schaumkronen.

      Bogo erschrak, als er sah, wie dicht sie bereits an der Küste waren. Er schrie ein paar Befehle über das Deck, doch die Männer, die zur Insel hinübergestarrt hatten, reagierten nur langsam.

      Bogo zitterte, als er sah, wie sich die Karacke nur langsam drehte und immer mehr auf die Stelle zutrieb, wo sich die Wellen an einem unterirdischen Hindernis brachen.

      Über Bogo knatterte das Großsegel und schlug gegen den Mast. Er sah, wie zwei Männer an einem Tau zerrten, um das Segel zu trimmen. Es war das verkehrte. Die Großsegelschot wurde vom flatternden Segel übers Deck geschleift, und ehe die Schwarzen es packen und belegen konnten, sauste es mit einem peitschenartigen Knall über Bord und klatschte ins Wasser.

      Einer der Männer, die sich auf der Back aufhielten, nahm sich ein Herz und warf sich dem flatternden Großsegel entgegen. Er packte zu und hangelte sich an die Schot heran, bis er sie in den Händen hielt. Die anderen Männer faßten mit zu und halfen ihm, das Segel zu bändigen. Zu viert zogen sie an der Schot, liefen zurück bis zum Achterkastell und belegten sie an der Nagelbank.

      Bogo atmete auf. Das war noch einmal gutgegangen. Er beugte sich über die Reling des Achterdecks und blickte hinab ins Wasser, das eine hellgrüne Färbung angenommen hatte. Er erschrak, als er dicht unter der Wasseroberfläche das schwarze Lavagestein sah. Er brüllte dem Mann am Kolderstock einen Befehl zu, doch es war zu spät.

      Zuerst war nur ein leises Knirschen zu hören. Die Karacke begann zu zittern. Dann war es Bogo, als würde ein riesiges Ungeheuer das Schiff unter Wasser packen und zu sich hinabzerren.

      Die Karacke schüttelte sich. Das Knirschen ging in ein lautes Krachen und Bersten über. Das Schiff legte sich nach Steuerbord, so daß ein Schwung Wasser über das Schanzkleid rauschte und die kreischenden Frauen unter der Back durcheinanderwirbelte.

      Bogo konnte sich im letzten Moment an der Achterdeckreling festkrallen. Sein Kopf knallte gegen Holz, und er sah Sterne. Er öffnete den Mund, um seinen Männern zu befehlen, das Schiff zu verlassen, doch in diesem Augenblick richtete sich die Karacke wieder auf. Das Knirschen war verstummt.

      Bogo schüttelte sich und sprang auf die Beine. Das Schiff war wieder frei!

      Er lief zum Niedergang, der aufs Mitteldeck hinabführte. Er wußte, daß er jetzt bei seinen Gefährten sein mußte, damit sie nicht den Kopf verloren.

      Die Frauen und Mädchen hatten sich wieder unter der Back zusammengekauert und starrten Bogo mit vor Angst weit aufgerissenen Augen an.

      Die meisten Männer lagen noch platt auf dem gewölbten Mitteldeck und krallten sich an allem fest, was ihnen einigermaßen Halt bot.

      „Steht auf, Männer!“ rief Bogo. „Wir sind wieder frei! Es kann nicht mehr lange dauern, dann haben wir die Bucht erreicht. Die Engländer sind bestimmt noch da. Sie werden uns helfen!“

      Onoba und Tarim stellten sich an Bogos Seite. Sie ahnten wohl, daß sie alle verloren waren, wenn sie jetzt nicht die Nerven behielten. Bogo jagte die Männer an ihre Plätze. Die Segel mußten besser getrimmt werden, sonst trieb der Wind sie abermals auf die unter Wasser liegenden Felsen.

      Bogo zuckte regelrecht zusammen, als er den Schrei hörte, der von der Back über das Schiff wehte. Es war ein Schrei voller Angst und Entsetzen.

      „Wir sinken!“

      Bogo befahl Onoba und Tarim, sich um die Männer zu kümmern.

      „Wir müssen es bis zur Bucht schaffen!“ Er wies auf einen zerklüfteten Lavafinger, der weit ins Meer hinausragte und nur noch eine knappe Seemeile von der Karacke entfernt war. „Dort hinten ist die Bucht. Dort sind wir in Sicherheit!“

      Er rief einen weiteren Mann herbei und verschwand mit ihm unter Deck. Die Gedanken in seinem Kopf jagten sich. Was war, wenn die Engländer die kleine Bucht von Punta Lagens schon wieder verlassen hatten? Was war mit den Soldaten, die diese Karacke von Spanien zur Azoreninsel Flores gebracht hatten und auf dem Morro Grande eine Ausguckstation hatten bauen sollen? Würden die Spanier sie mit geladenen Kanonen erwarten?

      Bogo biß sich die Unterlippe blutig. Nein, niemals wieder würde ihn ein weißer Mann in Ketten legen. Lieber wollte er sterben.

      „Hörst du es gurgeln?“ fragte Sedom, der Mann, der ihm aufs Unterdeck gefolgt war.

      Bogo zuckte zusammen. Er lief zum Bug, aber nirgends konnte er ein Leck entdecken. An der Ladeluke zum Laderaum warf sich sich auf den Bauch und starrte in die Dunkelheit hinunter.

      Das Rauschen und Gurgeln, das er hörte, ließ seine Kopfhaut kribbeln. Er konnte nicht sehen, wie groß das Loch war, durch das Wasser ins Schiff strömte, aber er wußte, daß die Karacke nicht mehr lange schwimmen würde. Sie mußten sie unverzüglich an Land bringen oder aber im Boot verlassen.

      Bogo schüttelte verzweifelt den Kopf. Sie durften das Schiff nicht verlieren. Es war die einzige Möglichkeit, zurück in ihre Heimat zu gelangen. Sie mußten die Bucht erreichen, und wenn die Engländer noch in Punta Lagens waren, würden sie ihnen helfen, die Karacke abzudichten.

      Bogo richtete sich auf. Durch das Plätschern des eindringenden Wassers hörte er die Schreie, die vom Deck zu ihm herunterdrangen.

      Was war da schon wieder los?

      Bogo lief zum Niedergang und war mit wenigen Schritten wieder auf dem Hauptdeck. Er spürte, daß das Schiff sich schon zur Seite legte und am Bug wegsackte.

      Tarim und Onoba liefen auf Bogo zu. Ein dumpfes Krachen, das von weither ertönte, erfüllte die Luft. Entsetzt blickte Bogo hinaus aufs Wasser.

      Tarim wies mit einer Hand hinüber zu dem zerklüfteten Lavafinger, hinter dem kleine Wölkchen in den wolkenlosen Himmel stiegen.

      „Da, sie schießen!“ rief er. „Bestimmt haben die Spanier die Engländer angegriffen! Wir müssen umkehren und von hier verschwinden!“

      Bogo schüttelte den Kopf.

      „Wir können nicht umkehren, Tarim“, sagte er. „Unser Schiff läuft voll Wasser. Wenn wir es nicht bald an Land setzen können, wird es untergehen.“

      Tarim und Onoba schauten Bogo entsetzt an.

      „Dann werden wir also doch als Sklaven verkauft“, murmelte Onoba tief enttäuscht, „oder die Spanier werden uns töten.“

      Bogo straffte die Schultern. Er wußte, wie schnell seine Gefährten den Mut verlieren konnten. Sie brauchten jemanden, der ihnen mit gutem Beispiel voranging.

      „Männer!“ rief er. „Hört mich an! Wir alle wollen keine Sklaven werden. Wir wollen unsere Freiheit verteidigen! Wir müssen jetzt an Land gehen, um das Loch in unserem Schiff zuzustopfen. Vielleicht können wir den Engländern, die dort in der Bucht mit den Spaniern kämpfen, zu Hilfe eilen und gemeinsam die Spanier töten. Es ist unsere einzige Chance, denn nur die Engländer können unser Schiff reparieren.“

      Die Schwarzen schrien durcheinander. Ein paar von ihnen hatten Musketen in den Händen, die Philip Hasard Killigrew ihnen mitgegeben


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