Seewölfe Paket 27. Roy Palmer
hinter ihnen her. Immer wieder blickten sie sich verstohlen um.
Als sie an der Flagge vorbeigingen, blieb Ricardo stehen.
„Das ist unsere Insel“, sagte er eigensinnig. „Spanischer Besitz. Die Flagge und unsere Anwesenheit beweisen es.“
„Ja, schon gut. Wir wollen die Insel gar nicht.“
„Ihr dürft sie behalten“, sagte der Profos großzügig. „Und das Meer um die Insel schenken wir euch auch noch.“
Er grinste immer noch über die beiden wunderlichen Vögel, die jetzt in die Jolle stiegen und auf der Ducht Platz nahmen. Mit gemischten Gefühlen sahen sie zu der „Santa Barbara“.
Dort standen staunend die anderen Seewölfe am Schanzkleid und blickten ihnen neugierig entgegen.
Verlegen und schüchtern standen die Dons etwas später auf der Kuhl.
„Da sind unsere Überlebenden“, sagte Hasard. „Bring ihnen einen Schluck Rotwein, Mac.“
Die Dons nahmen auf der Kuhlgräting Platz und wurden von den anderen umringt. Als Mac den Rotwein brachte, wurden sie ganz kribbelig und griffen gierig zu. Sie hatten seit Jahren keinen Schluck Rotwein mehr getrunken.
„Nun mal schön der Reihe nach“, sagte der Seewolf. „Ihr habt nichts zu befürchten. Was hat es mit dieser Insel und dem Wrack auf sich? Was ist hier geschehen?“
Während er das fragte, wurde auf dem Achterdeck geglast. Die Reaktion Aldegondes war erstaunlich. Kaum hörte er den Glockenton, schon sprang er auf, als hätte ihn eine Hornisse gestochen. Dann salutierte er zackig, blickte heroisch zum Achterdeck und setzte sich wieder auf die Gräting.
Das große Grinsen ging unmerklich um. Der Bärtige hatte zweifellos einen noch größeren Tick als der andere. Sein merkwürdiges Gebaren wiederholte sich zum großen und heimlichen Vergnügen der anderen alle halbe Stunde. Bei jedem Glasen sprang er wie ein Kastenteufel auf und salutierte. Der Teufel mochte wissen, was das zu bedeuten hatte.
„Diese Inseln sind spanischer Besitz“, sagte Ricardo. „Das ist eine amtliche Tatsache, Señor Capitán.“
Hasard wollte gerade abwinken, doch Ricardo sprach schon weiter, und diesmal wurde es interessanter.
„Sie befinden sich auf den Islas Marquesas des Mendoza“, sagte Ricardo stolz.
„Ein schöner Name“, lobte Hasard. „Haben Sie ihn sich selbst ausgedacht?“
„Nein. Die Inseln wurden im Jahre fünfzehnhundertsiebenundsechzig von unserem Landsmann Alvaro Mendana de Neyra entdeckt. Er benannte sie nach der Frau seines vizeköniglichen Auftraggebers, der Marquesa de Mendoza. Wir waren bei der damaligen Expedition als Schiffsjungen dabei, durften aber nicht an Land.“
Hasard war verblüfft. Den vizeköniglichen Auftraggeber de Mendoza gab es tatsächlich. Er hatte von ihm gehört, und auch Don Juan kannte die Marquesa vom Namen her.
„Das kann tatsächlich stimmen“, sagte er verwundert. „Wie viele Inseln gibt es denn?“
„Elf größere und noch ein paar kleine. Damals wurden nicht alle erforscht. De Neyra wollte zurückkehren, aber wir haben ihn nie mehr gesehen. Vermutlich ist er inzwischen gestorben.“
„Wie lange sind Sie auf dieser Insel?“ erkundigte sich Hasard.
„Vielleicht seit sieben oder acht Jahren. So genau weiß ich das nicht mehr.“
Die Verblüffung bei den Arwenacks wurde noch größer.
„Erstaunlich“, murmelte Hasard beeindruckt. „Das hätte ich nie geglaubt.“
„Aber es ist eine Tatsache, Señor Capitán.“
Der Seewolf nickte zustimmend. Die Geschichte klang echt und konnte durchaus stimmen.
„Und Sie sind ganz allein auf der Insel – oder gibt es noch Eingeborene?“
„Auf dieser Insel nicht. Wir sind die einzigen Bewohner.“
„Und das Wrack?“ fragte Hasard kopfschüttelnd.
„Es war unser Schiff, die Galeone ‚Exploración‘, ein Forschungsschiff im vizeköniglichen Auftrag. Wir waren wieder dabei. Die Insel sollte nach und nach ausgebaut werden, aber dazu kam es nicht mehr. Wir liefen nachts auf einer der Marquesas-Inseln im Sturm auf ein Riff. Die Galeone kenterte, nur sechs Mann überlebten.“
„Aber das Wrack liegt doch hier“, wandte Hasard ein, „und nicht auf einer der anderen Inseln.“
„Das stimmt. Der Sturm hob es später vom Riff und jagte es über das Meer. Später ist es hier gestrandet.“
„Dann befanden Sie sich also auf der anderen Insel?“
„Auf der, die man von hier als schmalen Strich erkennen kann.“
Alle zuckten zusammen, als wieder geglast wurde und Aldegonde wie ein Wilder aufsprang und salutierte. Als sei nichts geschehen, nahm er anschließend wieder Platz.
Mac Pellew, der mit offenem Mund zuhörte, schenkte den beiden wundersamen Dons Rotwein nach. Er hatte ihn ein bißchen mit Wasser gestreckt, denn die Kerle lebten jahrelang in Abstinenz und vertrugen nicht viel.
„Wie gelangten Sie denn auf diese Insel?“
„Mit Hilfe von ein paar Trümmerstücken, aus denen wir ein Floß bauten“, erklärte Ricardo. „Wir sind geflohen, weil es auf der anderen Insel Menschenfresser gibt. Sie haben einen von uns gefangen, getötet und dann …“
Der Spanier schüttelte sich, als er daran dachte. Aldegonde preßte beide Hände auf den Magen und wurde käsig. Das Erlebnis hatte einen tiefen Eindruck bei ihnen hinterlassen.
„Wir hatten noch zwei Pistolen, und es gelang uns, ein paar von den Menschenfressern zu erschießen. Sie hatten noch nie Weiße gesehen und – auch noch nie einen Knall aus einer Waffe gehört. Das hielt sie uns ein paar Tage vom Leib, bis wir fliehen konnten.“
„Kannibalen“, sagte Ferris Tucker schaudernd. „Nicht zu fassen, daß es die auf den friedlich scheinenden Inseln gibt.“
„Wie ging es weiter?“ wollte Don Juan wissen.
„Wie gesagt, wir konnten fliehen. Aber einen von uns haben die Haie geholt, als das Floß kenterte. Da waren wir nur noch vier Mann. Als wir diese Insel erreichten, starb nach ein paar Tagen unser Rudergänger Miguel am Fieber, und später erwischte es den Koch. Nur wir beide haben überlebt.“
Hasard sah wieder das Wrack vor sich und die vielen Skelette darin.
„Da gibt es noch ein paar Ungereimtheiten“, sagte er. „Wenn ihr auf ein Riff gelaufen seid, wobei die meisten ertranken, weshalb liegen dann die Skelette der Seeleute in dem Laderaum? Das paßt doch überhaupt nicht zusammen.“
Ricardo nickte betrübt. Der andere blickte ergeben auf die Planken.
„Das sieht nur so aus“, erwiderte er. „Als wir auf das Riff liefen, lebten die meisten anderen noch. Wir sind über Bord gegangen bei dem Sturm. Dann war die Galeone plötzlich verschwunden – und mit ihr ein Teil der Besatzung. Sie ertranken unterwegs. Der Sturm muß das Schiff ein paarmal unter Wasser gedrückt und wieder aufgerichtet haben. Etliche haben versucht, schwimmend den Strand zu erreichen. Wir fanden fast jeden Tag angeschwemmte Leichen, aber wir hatten nicht den Mut und die Kraft, sie zu beerdigen. Wir haben die Toten an Bord gehievt und sie in den Laderaum geworfen, wo sie noch heute ruhen.“
„Eine seltsame Art der Bestattung“, meinte Hasard, „und nicht gerade eine christliche. Aber das geht uns nichts an.“
„Wir hätten sie auf dieser Insel nicht beerdigen können“, sagte Aldegonde. „Dann wären ihre Seelen umgegangen und hätten uns in Angst und Schrecken versetzt.“
Old O’Flynn wurde hellhörig. Das war genau sein Thema. Sein Granitgesicht verhärtete sich, er nickte zustimmend.
„Ganz