Seewölfe Paket 27. Roy Palmer
sein bester Mann. Aber der würde sich eher die Zunge abbeißen, als den Hunden zu verraten, wo sie ihr Kastell errichtet hatten.
Und dann fiel Beeveren der Wachposten ein, der das Lager nach Süden hatte absichern sollen – Brouwer, dieses Tränentier. Wo steckte der Kerl? Hatten sie ihn auch gefangen? In diesem Moment wurde Beeveren klar, daß Brouwer versagt haben mußte. Er hätte die Schaluppe sehen müssen, die von Süden heraufgesegelt war und vor ein paar Stunden das Lager beschossen hatte – mit Erfolg. Denn dabei war jene Schaluppe zum Teufel gegangen, der sie gerade den neuen Mast verpaßten.
Beeveren stoppte und drehte sich zu den Kerlen um.
„Was ist mit Brouwer?“ knurrte er. „Hat den jemand zufällig gesehen, vielleicht nach dem letzten Überfall der Olivenfresser?“
Sie schüttelten die Köpfe.
„Der sollte doch südlich unseres Lagers Ausguck gehen“, sagte einer.
„Das weiß ich selbst!“ blaffte Beeveren, wölbte die Hände vor den Mund und brüllte: „Brouuuwer!“ Und noch einmal.
Sie lauschten.
Und da hörten sie von irgendwoher undeutliche Laute, eine Art Grunzen, aber ein tierischer Laut war das nicht. Das klang eher nach einem Menschen, dem der Mund verschlossen war.
Geknebelt, dachte Beeveren grimmig und wandte sich in die Richtung, aus der die Laute zu ihnen drangen. Die Kerle trotteten hinter ihm her. Und so fanden sie Brouwer, geknebelt unter einer umgestürzten Kokospalme, an die er kunstvoll gefesselt war. Am Hinterkopf hatte er eine wüste Beule.
Natürlich wußte er von nichts.
„Sie haben mich von hinten überfallen“, sagte er und vermied es, Beeveren in die Augen zu sehen.
„Ob von hinten oder vorn, spielt keine Rolle, sie hätten dich sowieso erwischt“, sagte Beeveren kalt. „Du hast nämlich auf dem Stamm gesessen und gepennt, du Hurensohn. Da sind deine Stiefelabdrücke, und daneben ist der Abdruck von der Kolbenplatte deiner Muskete, die du an den Stamm gelehnt hast. Und hinter dem Stamm, genau hinter deinem Sitzplatz, sind die Fußspuren von den Kerlen, die dir was über den Schädel gehauen haben. Belügen des Kapitäns und Schlafen auf Wache – nach den Artikeln unserer Bordgesetze verurteile ich dich hiermit zum Tode, Brouwer. Hast du noch etwas zu sagen, du Hurensohn?“
Die Kerle traten aus der Schußrichtung, als Beeveren die Pistole zog und den Hahn spannte.
„Gnade“, flüsterte Brouwer mit Schweißtropfen auf der Stirn. „Ich bitte um Gnade, Kapitän.“
„Du bist ein Arsch, Brouwer“, sagte Beeveren. „Wiederhole, daß du ein Arsch bist!“
„Ich bin ein Arsch“, winselte Brouwer.
Beeveren nickte, entspannte die Pistole und sagte: „In meiner unendlichen Gnade schenke ich dir das Leben, Brouwer. Deine Heuer wird bis zur Rückkehr nach Holland gestrichen und der Kapitänskasse zugeführt.“ Die Stimme Beeverens wurde gesalbt. „Ich werde deine Heuer nach unserer Rückkehr an die Witwen und Waisen unserer tapferen Männer verteilen, die auf dieser Reise ihr Leben lassen mußten. Bist du damit einverstanden, Brouwer?“
„Ich danke dir für deine Güte und Großmut, Kapitän“, erwiderte Brouwer, „und ich bin einverstanden, daß du meine Heuer für einen guten Zweck verwendest.“
Das war die reinste Heuchelei – Brouwer wußte es, und Beeveren wußte es. Die Witwen und Waisen waren Fiktion. Beeveren würde die Heuer mit Saufen und bei den Huren von Amsterdam durchbringen – genauso wie die Heuer der Toten, die wiederauferstanden, wenn Kapitän Beeveren die Mannschaftsliste den ehrenwerten Kaufherren in Amsterdam zwecks Auszahlung der Heuer präsentierte. Je mehr Tote – desto fetter die Geldkatze, mit der Kapitän Beeveren das Kontor in Amsterdam verlassen würde.
Am Strand entlang marschierten sie weiter südwärts.
Sie erreichten noch vor dem Morgengrauen die Pfahlbauten weiter unten im Süden an der Westküste des Golfes von Davao. Beeveren hatte seine Kerle mächtig angetrieben. Sie mußten an Ort und Stelle sein, bevor die Eingeborenen wach waren und mit ihren Auslegerbooten zum Fischfang auf den Golf hinaussegelten. Ohne die Boote war kein Rückzug möglich, es sei denn, sie bauten Flöße, aber Beeveren hatte nicht die Absicht, Zeit zu vertrödeln. Er wollte so schnell wie möglich zum Stützpunkt zurück – zum Inselkastell.
Als die Pfahlbauten vor ihnen auftauchten – und mit ihnen die an den Pfählen vertäuten Auslegerboote –, atmete Beeveren auf. Diese Affen schliefen also noch.
Für Beeveren waren die Badjao Affen, obwohl sie mit denen nichts gemein hatten – es gab keine Affen, die in der Lage waren, schnelle Boote zu bauen und sie auch meisterhaft zu handhaben. Diese Bezeichnung war also unsinnig, aber typisch für Beeveren, der andersfarbige Menschen lediglich als Tiere einstufte, allenfalls brauchbar, um sie zu benutzen.
Die Hütten waren aus Bambus errichtet und mit Schilfdächern versehen. Die Bauten standen jeweils auf sechs Pfosten, auf denen die Plattform ruhte, welche die feste Basis für die Hütte darstellte. Alle Teile hielten mittels verzahnter Kerben und einer Verschnürung mit Rotanseilen zusammen. Nägel kannte man nicht.
Tagsüber verliefen Bambusstege zum Land und von Hütte zu Hütte. In der Nacht holte man die Stege ein. Aber das war kein Hindernis für Beeveren und seine Kerle, die jetzt verschnauften, aber bereits glitzernde Augen hatten. Was in deren wüsten Köpfen zur Zeit vor sich ging, konnte sich Beeveren ausmalen – er dachte in ähnlichen Bahnen, aber Schnaps war Schnaps, Weiberchen waren Weiberchen – jetzt gab es Wichtigeres zu tun. Den Spaß konnte man im Inselkastell nachholen.
Leise sagte Beeveren – sie waren noch an die fünfhundert Yards von den Pfahlbauten entfernt: „Hört zu, ihr kleinen Teufelchen! Die Weiber sparen wir uns auf, bis wir im Kastell sind. Wichtig sind für uns zuallererst die drei größeren Ausleger – jene mit dem vorderen Dreibeinmast, die Langboote, die von diesen Affen ‚Balanghais‘ genannt werden. Die werden zuerst beschlagnahmt und besetzt. Das besorgen jeweils drei Mann, die sich die Dinger schnappen und sofort zum Land bugsieren.“ Er teilte neun Kerle für diese Aufgabe ein.
„Die anderen“, fuhr er fort, „werden mit je vier Mann die sechs Hütten entern und die Weiberchen aussortieren, die wir mitnehmen. Ich bitte mir knackige Weiberchen aus, keine alten Tanten mit flachen Brüsten, Runzeln und zahnlosen Schnuten. Damit das klar ist.“
Das war die richtige Ansprache für diese Kerle, ihr Grinsen zeigte das. Einem neutralen Beobachter hätte es bei diesem Grinsen gegraust.
„Was die anderen Affen betrifft“, sagte Beeveren und spuckte nach links, „da tut euch keinen Zwang an. Wer das Maul aufreißt, der kriegt was drauf, wie sich das gehört. Na, ihr wißt schon – mit einem Messerchen kann man vieles regeln. Geschossen wird nicht, ich will keinen Krach. Wir waten bei den Hütten ins Wasser und schwimmen hinüber, lautlos, versteht sich. Erst wenn wir alle an den Plattformen sind, wird geentert. Ich gebe dafür das Zeichen. Noch Fragen?“
Sie schüttelten die Köpfe. Unternehmen wie dieses hatten sie oft genug durchgeführt, und sie wußten, was zu tun war. Im Handwerk der Gewalt hatten sie alle mehrfach ihren Meisterbrief erworben und ihre Prüfungen bestanden.
Ihr Innungsmeister nickte ihnen zu, und sie schlichen binnenwärts des Strandgebüschs weiter, bis sie die Pfahlbauten querab hatten. Dort legten sie Musketen und Pistolen sowie ihre Segeltuchbeutel mit dem Proviant ab und behielten nur die Blankwaffen bei sich.
Nachdem sie sich auch ihrer Stiefel entledigt hatten, verteilten sie sich, überquerten den Strand und wateten ins Wasser. Noch lag die Morgenstille über dem Golf. In einer knappen Stunde würden die Vögel zu lärmen beginnen und den neuen Tag verkünden, einen Tag wie jeden anderen, nur für die Badjao nicht, die ein holländischer Kapitän und Schlagetot „Affen“ nannte.
Sie wateten, bis ihnen das Wasser über die Brust stieg. Dann schwammen sie – sechs Gruppen, die sich den Pfahlbauten unaufhaltsam näherten.
In den Hütten regte sich nichts. Sie waren zu sorglos, diese Badjao,