Seewölfe Paket 27. Roy Palmer
beiden Fremden – dunkelhaarige Männer mit struppigen Bärten – hatten gerade noch Zeit, sich an Deck der Dschunke umzuschauen. Sie sahen das Porträt des Affen an der Wand der Hütte – und spürten die Atmosphäre des Hasses und der Feindseligkeit, die sie umgab. Sie waren vom Regen in die Traufe geraten. Aber es war zu spät, zu fliehen.
Schon stürzten sich die Chinesen auf sie.
„Nein!“ stieß der eine Mann hervor. „Laßt mich los!“
„Was wollt ihr?“ keuchte sein Kamerad. „Wir haben euch nichts getan!“
Spanier, dachte Fong. Er trat mit verschränkten Armen auf sie zu. Seine Kerle prügelten mit ihren Peitschen auf die beiden neuen Gefangenen ein. Fong stoppte sie mit einer herrischen Gebärde.
Die Schiffbrüchigen versuchten verzweifelt, sich loszureißen, aber acht Chinesen hielten sie an den Armen fest. Sie hatten nicht die geringste Chance zur Flucht.
„Yang kuei tzû“, sagte Fong, dann übersetzte er es in die spanische Sprache: „Fremde Teufel!“ Er beherrschte sowohl Spanisch als auch Portugiesisch. Fong ging davon aus, daß der Feind am besten zu schlagen war, wenn man seine Sprache und seine Gewohnheiten kannte. „Ihr habt nicht das Recht, in unser Reich einzudringen. Ihr verseucht uns mit eurem stinkenden Atem und euren Krankheiten. Wir werden nicht dulden, daß ihr uns überrennt.“
„Wer bist du?“ schrie der eine Gefangene. „Wir kennen dich nicht! Wir befinden uns in einer Notlage! Das Gesetz der See schreibt vor, daß …“
„Euer Gesetz“, schnitt Fong ihm schroff das Wort ab, „ist das Gesetz der Teufel! Wir verachten und bespucken es. Nach unserem Gesetz seid ihr Dreck, den man vernichten muß.“
„Pedro“, sagte der zweite Gefangene. „Der ist verrückt.“
„Mann, wo sind wir hier nur gelandet?“ flüsterte sein Kamerad.
„Auf der Dschunke der himmlischen Gerechtigkeit“, erklärte Fong grinsend. „Willkommen an Bord. Ich werde euch bevorzugt behandeln lassen, weil ihr so freundlich seid.“
Der zweite Gefangene versuchte es mit einem Appell an Fong Chen Wuans Vernunft.
„Señor“, sagte er. „Mein Name ist Carlos Gerado, und das ist mein Freund Pedro Molina. Wir sind ehrliche Seeleute, keine Schnapphähne oder Plünderer, wie du vielleicht denkst. Wir führen nichts Arges im Schilde. Unser Schiff, die ‚Santa Teresa‘, ging in einem Sturm unter, und zwar südlich von Formosa.“
Fong grinste diabolisch und wies nach Osten, wo sich der Himmel schwärzlich verfärbt hatte. Der Wind hatte an Stärke zugenommen. Er jaulte durch das Riff der Dschunke und pfiff über die Köpfe der Männer.
„Und es gibt wieder Sturm“, sagte Fong. „Es braut sich was zusammen.“
„Wir sind die einzigen Überlebenden“, fuhr Carlos fort. „Unsere Kameraden, alles anständige Männer, ertranken – und mit ihnen der Kapitän.“
„Mir kommen die Tränen“, sagte Fong mit ätzender Stimme.
Pedro Molina wollte sich auf Fong stürzen, aber die Chinesen hielten ihn wie mit Eisenklammern fest. Carlos Gerado gab es immer noch nicht auf, auf Fong einzureden.
„Wir treiben seit vier Tagen in dem Boot“, sagte der Spanier. „Haben die Riemen verloren, haben kein Segel. Nichts zu essen. Unser Trinkwasser ist vorgestern zur Neige gegangen. Wir sind völlig fertig. Ich flehe dich an, Señor, setze uns an der Küste ab. Wir werden nach Macao laufen. Irgendwie schlagen wir uns schon durch.“
„Niemals“, entgegnete Fong. „Ihr würdet unsere Kinder erschlagen und unsere Frauen vergewaltigen. Ihr seid Bestien!“
„Was?“ schrie Pedro Molina außer sich vor Wut. „Du bist hier die Bestie! Du Hund!“ Er trat mit dem rechten Fuß nach Fong, aber Fong brauchte nicht einmal auszuweichen. Die Kerle rissen den Seemann zurück. Fong gab ihnen wieder ein Zeichen, und sie prügelten fluchend und zeternd auf den Spanier ein.
Carlos Gerado trachtete, seinem Freund beizustehen, aber auch er hatte nicht die geringste Chance gegen die Übermacht. Unter Peitschen- und Stockhieben landete er auf den Planken.
Molina blieb keuchend auf dem Rücken liegen. Fong gab seinen Kerlen den Befehl, wieder von ihm abzulassen. Sie hielten den Spanier nur noch an den Armen und Beinen fest, damit er sich nicht rühren konnte. Fong beugte sich über ihn.
Pedro Molina sah Fong haßerfüllt an. Ihre Blicke begegneten sich und verfingen sich ineinander. Plötzlich weiteten sich die Augen des Spaniers. Er fühlte sich davongetragen – weit weg, und er glaubte, zu fliegen. Wie aus großer Ferne vernahm er die hämische Stimme des Chinesen.
„Wer bin ich, du Narr?“
„Mein Herr“, murmelte Molina.
„Und du?“
„Ein fremder weißer Teufel.“
„Wirst du unser Gesetz achten?“ fragte Fong.
„Ich höre auf dein Wort, o Herr“, antwortete der Spanier.
„Endlich bist du vernünftig“, sagte Fong. Er lachte, und auch seine Kerle lachten. „Schafft ihn weg“, ordnete Fong an. „Und versorgt auch den anderen. Ich will sie nicht mehr sehen. Gebt ihnen zu essen und zu trinken.“
Pedro Molina war hilflos wie ein Kind und ließ alles willenlos mit sich geschehen. Carlos Gerado unterdrückte nur mit Mühe ein Stöhnen, als die Chinesen ihn hochhoben und wegtrugen. Er krümmte sich vor Schmerzen. Es flirrte vor seinen Augen. O mein Gott, dachte er, steh mir bei.
Aber Gerado fragte sich auch, was mit seinem Freund geschehen war. Was hatte der Chinese mit ihm angestellt? Hatte er ihn verzaubert? War denn hier alles verhext?
Fongs Spießgesellen warfen die beiden Spanier in einen düsteren Schiffsraum – gleich neben dem, in dem die sieben Portugiesen zusammengepfercht waren. Ein dürrer Chinese eilte kichernd heran und schob den Gefangenen Schalen mit undefinierbarem Inhalt zu. Dann krachte das Schott zu, und Molina und Gerado waren ihrem Schicksal überlassen.
Carlos Gerado beugte sich über die Schalen. Der Gestank, der ihm entgegenschlug, ließ ihn wieder hochfahren. Elendsfraß, dachte er. Wenigstens das Wasser wollte er trinken. Aber es stank wie faule Eier. Trotz seines Durstes rührte er es nicht an.
„Dreck“, sagte Gerado. „Wir sind am Ende.“
Dann hörte er nebenan Stimmen.
2.
Eine spanische Galeone segelte zur selben Stunde im Seegebiet zwischen den Philippinen und Formosa. Drei Masten hatte das Schiff, und sein Name lautete „Santa Barbara“. Die Armierung bestand aus zwölf Culverinen und vier Drehbassen.
Die Besatzung war zweiunddreißig Mann stark, außerdem befanden sich eine ausgewachsene Wolfshündin, ein intelligenter Schimpanse und ein sehr lebhafter Papagei an Bord. Die Männer – allen voran ihr Kapitän – sprachen vorzüglich Spanisch, doch das war auch das einzig Spanische an ihnen.
Philip Hasard Killigrew und seinen „Arwenacks“ war es jedoch bislang glänzend gelungen, ihre Rolle als „Spanier“ zu spielen. Sogar auf den Philippinen war man auf sie hereingefallen. Sie hatten sogar für den Kommandanten des kleinen spanischen Hafenstützpunktes von Davao auf Mindanao gekämpft und den Holländern eingeheizt, von denen die Muskatnußbäume der Insel brutal abgeholzt worden waren.
Das Fazit: die „Santa Barbara“ hatte jetzt eine feine Ladung Gewürze an Bord, die für Manila bestimmt war. Allerdings würden Pfeffer, Zimt, Nelken, Muskat, Thymian und all die anderen Spezereien niemals wirklich die Hauptstadt der Philippinen erreichen.
Der Seewolf und seine Mannen dachten nicht daran, die Ware an ihren Bestimmungsort zu transportieren. Sie „requirierten“ sie, denn sie verstanden sie sozusagen als „Bezahlung für geleistete Dienste“.