Seewölfe Paket 27. Roy Palmer
Flammenblumen und Pfirsichblüten“ waren, wie die Chinesen sie nannten, hatten die Erfahrungen nach der ersten China-Fahrt gezeigt, die nun über zehn Jahre zurücklag.
Die Brandsätze waren eine vorzügliche „Geheimwaffe“. Der Seewolf wollte sie in der Karibik einsetzen. Die Spanier bauten dort ihre Stützpunkte verstärkt und mit Nachdruck aus, und es war offensichtlich, daß sie ihre Vormachtstellung festigen wollten.
Der Bund der Korsaren mußte dem etwas entgegensetzen können. Kanonen, Höllenflaschen und Pulverpfeile allein genügten nicht mehr, wenn sich der Bund in seinem Schlupfwinkel an der Cherokee-Bucht auf Great Abaco behaupten wollte.
So hatten sie die Expedition nach China geplant und in die Tat umgesetzt. Zu Fuß hatten sie den Isthmus von Panama überquert und sich auf der Pazifik-Seite ein „Leihschiff“ von den Spaniern besorgt – eben die „Santa Barbara“. Die Überquerung des Großen Ozeans hatte einige Verzögerungen und entsprechende Abenteuer mit sich gebracht.
Hasard war jetzt bestrebt, endlich das Ziel der Reise zu erreichen: Shanghai. Die Männer der Crew hatten es mit einemmal auch eilig. Sie wollten „Nägel mit Köpfen“ machen.
Zwei Kurse boten sich an, um nach Shanghai zu gelangen. Die Männer konnten von der Südchinesischen See her die Insel Formosa im Osten – also auf der Pazifik-Seite – passieren. Oder sie konnten die Formosa-Straße zwischen der Insel und dem Festland durchqueren. Hasard wägte noch die Möglichkeiten ab, aber dann war es das Wetter, das ihm die Entscheidung abnahm.
„Der Wind legt mächtig zu“, sagte Ben Brighton mit einem nachdenklichen Blick nach Osten. „Und die Farbe des Himmels im Osten gefällt mir nicht.“
„Da bist du nicht der einzige“, sagte Big Old Shane. „Das sieht verdammt nach Sturm aus.“
„Taifun“, sagte Old O’Flynn. „Ja, wir kriegen mächtig was auf die Mütze, Leute.“
Hasard rollte die Karte zusammen, mit der er sich befaßt hatte.
„Ich bin froh, daß du die Lage nicht so schwarz wie üblich siehst, Donegal“, sagte er ironisch. „Auf jeden Fall empfiehlt es sich, vorsichtig zu sein. Das Wetter kann hier praktisch von einem Moment auf den anderen umschlagen. Wir segeln also durch die Formosa-Straße.“
„Der Wind aus Südosten treibt uns die Wolken in den Nacken“, sagte Ferris Tucker. „In spätestens zwei, drei Stunden wird es mulmig.“
„Wenn es gefährlich für uns wird, ankern wir in einer Bucht“, sagte der Seewolf. „Entweder auf Formosa oder am chinesischen Festland. Solange der Sturm aber nicht richtig losbricht, segeln wir unseren Kurs weiter.“
Er hatte kaum ausgesprochen, da war ein donnernder Laut aus dem Inneren der Galeone zu vernehmen. Old O’Flynn, Shane und Ferris Tucker fluchten. Hasard mußte unwillkürlich grinsen. Nicht anders erging es seinen Söhnen, dem Kutscher, Blacky und ein paar anderen, während die übrigen Arwenacks sich untereinander verblüfft und fragend ansahen.
„Heda“, sagte Higgy. „Was ist denn das? Geht’s schon los?“
„Was soll denn losgehen?“ fragte Paddy Rogers, der ja ein bißchen schwer von Begriff war.
„Na, der Sturm natürlich.“
„Quatsch“, sagte Paddy. „Das dauert noch ’ne Weile.“
„Und was hat es mit dem Donnern auf sich?“ fragte Higgy.
Roger Brighton legte ihm die Hand auf die Schulter. „Denk doch mal nach, Higgy. Wenn das Donnern aus dem Schiff kommt, kann es kein Gewitterdonnern sein.“
„Pulverdonner“, sagte Higgy. „O Schreck, laß nach! Was ist da in die Luft geflogen?“
Wieder ertönte das Grollen – genau unter ihren Füßen.
Mac Pellew stieß ein meckerndes Gelächter aus.
„Das sieht ihm mal wieder ähnlich“, sagte er. „Er ist eben doch der größte Krachmacher an Bord.“
Higgy schaute sich um. Wer fehlte? Carberry!
„Der Profos“, sagte er. „Was, zur Hölle, ist denn in den gefahren?“
„Ich glaube, ich weiß es“, sagte der Kutscher mit gespieltem Ernst. „Ed hat mal kräftig geniest. Das ist alles.“
„Klingt wie Kanonenböller“, sagte Higgy. „Da laust mich doch der Affe.“
„In Ordnung“, sagte Philip junior japsend. Er konnte sich das Lachen kaum noch verkneifen. „Ich hole Arwenack.“
„Nicht doch“, sagte Higgy. „Seid doch mal vernünftig. Wenn der Profos niest, dann hat das auch seinen Grund.“ Er fuhr sich grüblerisch mit der Hand übers Kinn. „Kalt ist es nicht, also kann’s kein Schnupfen sein. Was dann? Etwa eine von diesen tropischen Krankheiten, gegen die es keine Mittel gibt?“
„Du kommst nicht auf das Nächstliegende“, erwiderte Blacky. „Hast du vergessen, daß wir Pfeffer geladen haben?“
„Er wird doch nicht so verrückt sein, seine Nase in einen Pfeffersack zu halten?“ fragte Higgy.
„Zuzutrauen wäre es ihm“, erklärte Smoky. „Aber ich schlage euch was vor, Freunde. Warum seht ihr nicht einfach nach, was mit Ed los ist?“
Gesagt, getan: eine „Delegation“ von vier Mann, bestehend aus Mac Pellew, Matt Davies, Higgy und Batuti, stieg in die Laderäume hinunter, um nach dem Rechten zu sehen. Sie befanden sich bereits ziemlich tief unten, da ertönte das donnernde Niesen von neuem.
Die „Santa Barbara“ erzitterte bis in ihre tiefsten Verbände. Die Balken stöhnten, und die Planken bogen sich. Das Echo des Grollens rollte tief und unheimlich durch das Schiff.
„Wenn das so weitergeht, putzt er sich mit dem Großsegel die Nase“, sagte Matt.
Die anderen lachten.
Sie lachten immer noch, als sie den Frachtraum betraten und ihren Profos im Halbdunkel in seltsam gebeugter, starrer Haltung dastehen sahen. Carberry gab einen dumpfen Laut des Unwillens von sich, als er sie erblickte.
„Was habt ihr denn hier verloren, ihr Armleuchter?“ fragte er ärgerlich.
„Wir dachten, du hättest Schwierigkeiten“, sagte Batuti. „Wir haben so merkwürdige Laute gehört.“
„Das Denken müßt ihr den Walen überlassen“, sagte der Profos. „Die haben mehr Tran im Kopf als ihr.“
Mac, Matt, Higgy und der Gambia-Mann waren nicht zu beirren. Mutig steuerten sie auf Carberry zu. Als sie ganz dicht bei ihm waren, sahen sie, daß er vor einem Faß stand und dessen Deckel in der Hand hielt. Das Verwunderliche an der Sache war – Carberrys Zustand.
„Hol’s der Henker“, sagte Mac. „Wie siehst du denn aus, Ed?“
„Wie, zum Teufel, soll ich aussehen, du quergestreifte Kanalratte?“
„Äh – ziemlich gelb“, erwiderte Mac.
„Rötlichgelb, finde ich“, sagte Higgy.
„Braungelb“, meinte Batuti.
„Hört mal zu, ihr triefäugigen Prielwürmer“, sagte Carberry nur mühsam beherrscht. „Was haltet ihr davon, wenn ihr jetzt wieder abhaut?“
„Geht nicht, wir haben einen Befehl vom Kapitän“, schwindelte Matt. „Wir müssen uns erkundigen, was los ist. Also: warum hast du so fürchterlich geniest, und warum bist du gelb, Ed?“
„Du kannst mich kreuzweise“, erwiderte der Profos so barsch, wie es sich für einen Profos gehörte.
„Ich hab’s“, sagte Matt. „Das ist Tarnung. Wir segeln ja jetzt ins Land der gelben Zopfmänner. Ed hat sich als Zopfmann verkleidet. Kein schlechter Gedanke. Wenn die Chinesen uns irgendwo stoppen, tut er so, als sei er einer von ihnen. Bloß mit der Sprache wird es nicht so recht klappen.“