Seewölfe Paket 7. Roy Palmer

Seewölfe Paket 7 - Roy Palmer


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donnerte das Schott der Piek zu und leuchtete mit der Lampe in jede Ritze und Ecke.

      „Schau mal her, Erster!“ sagte er rauh. „Sieh dir das an!“

      „Die fressen das ganze Schiff auf“, sagte der Erste erschreckt. „Himmel, die haben ja ganze Gänge gefressen!“

      Blake nickte grimmig und leuchtete mit der Lampe weiter.

      Ja, es gab Gänge im Schiff, kleine Tunnel, die vom Querschott der Piek bis in die Laderäume führten. Überall war Holz angefressen, benagt, abgespänt worden, und überall gab es diese Gänge. Da konnte einem angst und bange werden.

      „Gesoffen haben sie das Bilgewasser“, stellte Blake fest. „Und sie sind nicht daran krepiert.“

      „Willst du damit sagen, wir sollten es versuchen?“

      „Warum nicht? Besser als gar nichts. Ratten fressen, Bilgewasser saufen, Hauptsache, wir überleben.“

      „Aber – genausogut können wir Salzwasser saufen. Weißt du, was in der Brühe alles schwimmt?“

      „Bilgewasser“, zählte Blake auf, „besteht aus Schmutz- und Schwitzwasser, und natürlich ist auch ein bißchen Seewasser dabei, das durch die Nähte leckt.“

      „Tote Ratten schwimmen in der Brühe“, sagte der Erste angeekelt, „ab und zu schifft mal einer ’rein, wenn er hier eingesperrt ist, wie unser netter Priester etwa, oder – äh …“

      Er sprach nicht weiter, als Blake die Ratte am Schwanz aufhob und sie in den Gang vor das Schott warf, nachdem sie es wieder geöffnet hatten.

      „Du wirst der erste sein, der sie mir aus den Fingern reißt“, verkündete Blake und deutete auf die Ratte. „Und spätestens morgen schleicht ihr euch alle in die Bilge und sauft das Wasser. Mal sehen, was stärker ist: euer Ekel oder euer Selbsterhaltungstrieb.“

      Stunden später schwamm das Fell der Ratte längst irgendwo hinter ihnen im Meer, hatte jeder einen winzigen Fetzen Fleisch im Magen und schlichen die ersten tatsächlich unter den fadenscheinigsten Ausreden nach vorn.

      Blake stand jetzt am Steuer und lachte, bis ihm Tränen über das Gesicht liefen und sein Gelächter in ein haltloses Schluchzen überging.

      „Sauft nicht die Bilge leer“, sagte er keuchend, „laßt mir auch noch einen Schluck übrig.“

      Sogar Stan Ellen scheute sich nicht, Bilgewasser zu trinken. Besser, als vor Durst krepieren, war seine Devise. Die Brühe schmeckte zwar zum Kotzen, und es würgte sie bei jedem Schluck, doch später störte sich niemand mehr daran.

      „Der Mensch wird zum Tier“, sagte Ellen, „sobald es ums nackte Überleben geht. Er scheut dann auch vor dem Letzten nicht zurück.“

      „Und was ist das Letzte?“ fragte Blake.

      „Man frißt seine eigenen Artgenossen“, erwiderte der Kapitän ausdruckslos.

      Die Männer sahen sich beklommen an, schüttelten stumm die Köpfe und waren insgeheim doch davon überzeugt, daß Ellen recht hatte. Sie waren ja schon auf dem besten Weg dazu.

      Sie beteten gemeinsam und flehten ihren Gott an, daß er ein Einsehen haben möge und sie endlich zum Land führen solle, aber es änderte sich nichts.

      Sie waren von Wasser umgeben, von einem Himmel, der mit dem Meer manchmal zusammenschmolz, und in dem es nur noch sengende Hitze gab, nichts anderes.

      Das Glück hatte sie verlassen, und Gott und die Welt verflucht segelten sie dahin, in einer lauen Brise, die kaum die Segel blähte, von einer Kalme zur anderen, endlos, wie Verdammte der Meere, für die es keinen Hafen mehr gab.

      Selbst Ratten fingen sie nicht mehr, obwohl die in Scharen herumliefen. Aber diese listigen Nager waren gewitzt und hatten sich ihren Feinden längst angepaßt. Sie verkrochen sich in ihre Gänge und ließen sich nicht blicken, solange jemand draußen auf der Lauer lag.

      Aber man hörte, wie sie nagten, zerrten, knabberten, wie sie das Schiff langsam, aber sicher fraßen. Nicht mehr lange, dann würde der erste Wassereinbruch erfolgen.

      „Ob Thornton verhungert oder verdurstet ist?“ fragte der Rudergänger, als er über die See blickte.

      Blake zuckte mit den Schultern.

      „Der Halunke hat doch immer Glück. Ich wette, der liegt längst dick und vollgefressen an irgendeinem Strand herum und lacht sich eins ins Fäustchen.“

      „Soviel Glück kann man gar nicht haben“, widersprach Hentrop.

      5.

      Thornton hatte jedoch dieses Glück.

      Er glaubte es erst selbst nicht, aber eines Morgens, als er fieberte und der Durst ihn fast ausgehöhlt hatte, sah er Land.

      Aus rotgeränderten Augen blickte er zum Horizont.

      Land, ein schmaler Strich nur, aber offenbar dicht bewachsen, das glaubte er ganz deutlich zu sehen.

      Aber zu oft schon hatten ihn Luftströmungen getäuscht, heiße Winde ihn genarrt und Trugbilder vorgegaukelt, und immer wenn er sich einem Schiff oder einer Insel genähert hatte, löste sich alles in flirrende Luft auf.

      Er wußte nicht mehr, wann er das letzte Mal etwas gegessen oder getrunken hatte. Es mußte Ewigkeiten her sein.

      Schwankend richtete er den Oberkörper auf und blickte aus fiebrigen Augen zu dem schmalen Strich.

      Eine frische Brise, die stetig von Nord wehte, trieb ihn voran. Er hatte sich der See überlassen und dem gleichmäßig wehenden, fast handigen Nordwind. Weshalb sollte er einen anderen Kurs steuern, wenn er doch nicht wußte, wo Land zu finden war?

      Der Landstrich begann vor seinen Augen zu flirren und zu flimmern. Er versuchte krampfhaft, nicht wieder ohnmächtig zu werden, sonst trieb er womöglich an dem Land vorbei.

      Doch kurze Zeit später stand das Land kopf, und vor seinen entzündeten Augen kreisten blutige Nebel.

      Bittend streckte er die Arme aus, doch der rötliche Abgrund zog ihn unbarmherzig wieder zu sich heran. Knieend fiel er um und blieb liegen.

      Er erwachte erst wieder, als er einen leichten Ruck verspürte. Eine kleine Welle warf das Floß auf einen weißen Strand.

      Auf Händen und Knien kroch Thornton an Land und weiter über den feinkörnigen Sand auf den Grünstreifen zu, der sich dicht vor ihm sattgrün und saftig ausbreitete wie ein Teppich.

      Der Länge nach ausgestreckt rupfte er Blätter und Pflanzen, fraß sie wie eine Kuh schließlich direkt vom Boden, kaute und mampfte und spuckte den grünlichen Brei wieder aus. Von neuem begann er zu grasen, zu kauen und zu schmatzen, bis sein Magen alles wieder von sich gab.

      Danach fühlte er sich besser, stand schwankend auf, fiel wieder um, weil er das Stehen nicht mehr gewöhnt war, und spürte, wie verkrampft und abgestorben seine Knochen waren.

      Unendlich langsam kehrten seine Kräfte zurück, nachdem er ein paar Stunden in dem satten Grün geschlafen hatte.

      Als er zum zweiten Male erwachte, störte es ihn längst nicht mehr, daß sein Körper von eitrigen Pusteln übersät war und sich so heiß anfühlte wie die Sonne hoch über ihm.

      Er drang in dichten Dschungel ein und ignorierte jede Gefahr, die es dort geben konnte. Ihm war alles egal, er wollte nichts weiter als Trinkwasser oder ein paar Früchte, sonst hieb der lausige Schnitter mit der Sense nach ihm, der ihn auf seiner ganzen Reise begleitet hatte.

      Er wußte auch nicht, ob er auf einer Insel oder auf dem Festland gelandet war. Daß es hier Wilde geben könnte, fiel ihm nicht im Traum ein.

      Irrend und suchend marschierte er an unbekannten Pflanzen vorbei, hörte das Kreischen irgendwelcher Tiere und wäre fast in einen Tümpel gefallen. Dunkle Schwärme erhoben sich fluchtartig aus dem braunen Wasser und flogen davon.


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