Seewölfe Paket 7. Roy Palmer
Blake ihn etwas später noch einmal musterte, starrte Fisher aus weitoffenen Augen in den blauen Himmel. Sein Blick war starr und gläsern, auf seinem verschmutzten Gesicht stand die ganze Entbehrung dieser verdammten Reise geschrieben.
Blake verzog das Gesicht und starrte in die toten Augen.
„Du bist aus allem ’raus“, sagte er heiser. „Du hast es hinter dir, Junge, aber wir …“
Verbissen wandte er sich ab.
Etwas später übergaben sie auch Fisher der See. Nur das Schiff blieb in demselben Zustand, in dem es sich befand. Wer sollte auch die Schäden reparieren, sie waren nur noch eine Handvoll Männer, die jetzt bereits erledigt waren.
Stan Ellen beschäftigte sich stumm und in sich gekehrt mit der Roteiro, die sie dem Spanier abgepreßt hatten.
Er brauchte lange, bis er sich zurechtfand. Das kleine Buch enthielt bis ins Detail gehende genaue Eintragungen eines Navigators, der sein Handwerk verstanden hatte. Der Mann schien nichts anderes an Bord getan zu haben, als magnetische Kompaßkurse zwischen einzelnen Häfen aufzuzeichnen. Dazu kamen anscheinend exakte Lotmessungen, Wassertiefen, Angaben über Farbe des Wassers und ab und zu auch über die Beschaffenheit des Meeresbodens, der Kaps und Landzungen. Zeiten waren notiert, wie lange sie von da nach dort gebraucht hatten, wie stark und woher der Wind wehte und mit welchen Strömungen man rechnen mußte.
Auch war verzeichnet, wo es Wasser gab, wo sich kleine Eilande befanden, wo Sandbänke, Riffe und Häfen lagen.
Die Kurskarten waren mit unglaublicher Sorgfalt angelegt worden. Ellen spürte, daß dieses kleine Buch mehr wert war als eine ganze Ladung Gold. Daher wunderte es ihn nicht. daß die Spanier ihre Roteiros wie ihren Augapfel hüteten.
Da hatte er riesiges Glück gehabt.
Er zeigte Wintham, Blake und dem Rudergänger die Kurskarten.
„Ich werde versuchen, unseren Standort zu bestimmen“, sagte er. „Wenn uns das genau gelingt, können wir den Kurs des Spaniers zurücksegeln, und ich verspreche euch, daß wir bald Land finden werden, wo Früchte wachsen, wo es frisches Wasser gibt, und wo wir Proviant fassen können.“
Das hob die Stimmung und gute Laune an Bord.
Blake ging nach vorn, wo noch immer ein Teil seiner Kameraden vor sich hindöste und dem Sterben näher war als dem Leben. Er wollte die frohe Botschaft verkünden, doch er traf nur auf Leute, die ihn überhaupt nicht begriffen und ihn nicht einmal ansahen.
Sie hatten von dem Gefecht nichts mitgekriegt.
Er zählte ganz automatisch die Männer, die sich jetzt noch an Bord befanden, und das Ergebnis durchzuckte ihn wie ein harter Peitschenhieb.
Sie waren noch genau neun Mann, alles in allem, Kranke und Gesunde.
Ein Scheißleben ist das, dachte er und beneidete die Leute, die irgendwo an Land hockten und sich die Bäuche vollfraßen.
Zwei Tage später ging auch das Trinkwasser zur Neige, und damit nistete sich der Tod endgültig auf der „Black Pearl“ ein. Er hockte grinsend in den Wanten, im Vorschiff und lief mit seiner Sense ungeniert an Deck herum.
Land war immer noch nicht in Sicht.
4.
Verdreckt, ungewaschen und voller Haß starrten sie sich zwei weitere Tage später gegenseitig an. Ihre Körper waren aufgedunsen, verquollen, und ihre Stimmung hatte den übelsten Punkt erreicht, den es gab.
Der Haß konzentrierte sich auf Stan Ellen.
Niemand respektierte ihn, sie respektierten sich gegenseitig längst nicht mehr, und Blake oder Hentrop war es völlig egal, ob der Alte brüllte, tobte, fluchte oder befahl.
Auch der Erste mischte kräftig mit.
„Frisches Wasser“, höhnte er, „Früchte, Inseln, was? Wo sind denn deine Inseln, Kapitän? Deine Scheiß-Roteiros haben uns keinen Schritt weitergeholfen, wir segeln immer noch fast auf Ostkurs, wir sollten auf Südost gehen, da ist Land, das fühle ich ganz deutlich.“
Ellen gab keine Antwort. Aus rotgeränderten Augen sah er den Ersten an. Er ließ sich beleidigen und beschimpfen, ihm war es einerlei, er hatte genauso genug wie die anderen auch.
„Drehen Sie das Stundenglas um, Wintham“, sagte er mit schwerfälliger Stimme.
„Was geht mich das Stundenglas an, was schert mich die Zeit! Wir haben genug davon, Zeit wie Sand an den Stränden. Dreh es selbst um, wenn du willst!“
„Wo wollen Sie hin, Blake?“ fragte Ellen.
„Mir was zu fressen holen“, sagte Blake.
Ellen lachte sarkastisch. „Möchte wissen woher.“
„Aus der Vorpiek, da sind Ratten.“
Blake riß einen Belegnagel aus der Nagelbank und marschierte schwerfällig nach vorn. Wintham folgte ihm.
„Mensch, daran hab ich gar nicht gedacht“, sagte er. „Klar, da vorn tummeln sich Ratten, Fleisch, das man rösten kann. Aber ob da überhaupt noch eine Ratte lebt?“
„Die überleben uns alle. Anfangs fressen sie uns die Vorräte weg, und wenn nichts mehr da ist, fressen sie Holz oder ernähren sich sogar von Tauwerk, Stiefeln und anderen Ratten. Die können überall leben, die stellen sich um, wenn sie nichts Richtiges mehr haben.“
Ellen, der selbst am Ruder stand, rief ihnen etwas nach, aber die beiden Männer drehten sich nicht einmal um.
Sie waren ganz von dem Gedanken besessen, Ratten zu fangen, sie wollten überleben, auch wenn es ein Scheißleben war.
Blake ging jedoch vorher noch einmal in den Mannschaftsraum. In der engen Koje lag einer, der sich halb aufgerichtet hatte und ihn anstarrte.
„Wasser!“ rief er.
„Geh an Deck!“ schrie Blake ihn an. „Du bist nicht kränker als wir anderen auch.“
„An Deck werde ich sterben“, klagte der Mann.
„Besser an Deck krepieren als hier unten. Los, ’raus mit dir! Du willst dich nur drücken, ich beobachte dich schon eine ganze Weile.“
„Jesus Christus“, jammerte der Mann, „hilf mir doch, nur einen Schluck Wasser. Ich habe kaum noch Zähne im Maul, und wenn das so weitergeht …“
Blake riß den Mann mit einem Ruck aus der Koje und ignorierte Winthams grimmigen Blick, der ihm gefolgt war.
„Pack dich jetzt an Deck!“ schrie Blake. „Dort oben wirst du solange bleiben, bis du Land siehst oder verreckst.“
Der Mann taumelte in panischer Angst an ihm vorbei und konnte zu Blakes Verwunderung sogar laufen.
„Faulenzer, Drückeberger!“ schrie der Bootsmann und sah sich wild um. Aber von den anderen rührte sich keiner, sie waren wirklich am Sterben – und niemand konnte ihnen helfen.
Er ging wieder zurück, nahm aus der verwaisten Kombüse eine Lampe mit und zündete sie an. Damit marschierte er, dicht gefolgt von Wintham, zur Vorpiek und riß das Schott auf.
Der blakende Schein erhellte die Vorpiek nur dürftig. Es stank entsetzlich hier drin. Träge Brühe schwappte über die Grätings, er hörte ein warnendes Pfeifen.
Ratten! Ein flüchtiger Blick genügte ihm, um zu erkennen, daß es mindestens zwanzig waren, die sich hier vor langer Zeit eingenistet und vermehrt hatten. Seit sie kaum noch etwas zu fressen hatten, war ihr Paarungsdrang zurückgegangen.
Er hängte die Lampe an einen Balken, sprang auf die Gräting und schlug mit dem Belegnagel zu.
Die erste Ratte fiel tot auf die Gräting, die anderen flohen. Einige flitzten zwischen seinen Beinen hindurch, eine andere sprang den Ersten an, der aufschreiend zurückwich, und der Rest verschwand irgendwo.
„Verdammt,