Die Botschaft der Bhagavadgita. Sri Aurobindo
stille und weise mentale Geist, der dhīra, der Denker, der mit gelassenem Blick das Leben betrachtet und sich nicht durch seine Empfindungen und Gefühle verstören oder blind machen lässt, wird durch materielle Erscheinungen nicht getäuscht. Er erlaubt nicht, dass die Aufruhr seines Blutes, seiner Nerven, seines Herzens sein Urteil trübt oder seiner Erkenntnis widerspricht. Er schaut über die äußerlich erkennbaren Fakten des Lebens, des Körpers und der Sinne hinaus zur wirklichen Tatsache seines Wesens und erhebt sich über die emotionalen und physischen Begehren seiner unwissenden Natur empor zum wahren und einzigen Ziel menschlichen Seins.
Was ist diese wirkliche Tatsache, dies höchste Ziel? Dies, dass Leben und Tod des Menschen, wiederholt durch die Äonen in den großen Zyklen der Welt, nur ein langes Vorwärtsschreiten sind, durch das sich der Mensch vorbereitet und für die Unsterblichkeit fähig macht. (61)
2.14
Vergänglich sind, O Sohn der Kunti, die materiellen Berührungen von Kälte und Hitze, von Freude und Leid. Sie kommen und gehen. Lerne dies zu ertragen, O Bharata.
2.15
Der Mensch, den sie nicht mehr bekümmern noch schmerzen, O Löwenherz unter den Menschen, der Starke und Weise, der ausgeglichenen Sinnes ist in Freude und Leid, er bereitet sich zu für die Unsterblichkeit.
Mit Unsterblichkeit ist nicht das Überleben des Todes gemeint – das wird bereits jedem geborenen Geschöpf gegeben, das mit einem Mental ausgestattet wird –, sondern die Erhabenheit über Leben und Tod. Das bedeutet jener Aufstieg, durch den der Mensch aufhört, nur als mental geprägter Körper zu leben, und durch den er zuletzt lebt als ein Geist und im Geist. Wer Kummer und Trauer unterworfen, ein Sklave der Empfindungen und Gefühle ist, ganz benommen durch die Berührungen der vergänglichen Dinge, kann nicht zur Unsterblichkeit fähig werden. Diese Dinge muss man ertragen, bis sie überwunden sind; bis sie dem befreiten Menschen keinen Schmerz mehr bereiten können; bis er fähig ist, alle materiellen Geschehnisse der Welt, ob sie froh machen oder Schmerz bereiten, in weiser und stiller Gelassenheit ebenso zu empfangen wie der stille ewige Geist, der insgeheim in uns ist, sie annimmt. (62)
2.16
Das, was wirklich ist, kann nicht das Dasein verlassen, genauso wenig wie das, was nicht ist, in das Dasein eintreten kann. Den Zweck dieses Gegensatzes von „es ist“ und „es ist nicht“ haben die Seher der essentiellen Wahrheiten erkannt.
Die Seele ist und kann nicht aufhören zu sein. Diese Gegensätzlichkeit von „ist“ und „ist nicht“, dies Gleichgewicht von Sein und Werden, die die Auffassung des Mentals vom Dasein ist, findet ihr Ende in der Verwirklichung der Seele als das eine unzerstörbare Selbst, durch das dieses gesamte Universum nach außen hin ausgebreitet worden ist. (62)
2.17
Erkenne jenes als das Unzerstörbare, durch das dies alles hier ausgebreitet wird. Wer kann schon den unsterblichen Geist erschlagen?
2.18
Begrenzte Körper haben ein Ende, aber jenes, das den Körper besitzt und verwendet, ist unendlich, unbegrenzbar, ewig, unzerstörbar. Darum kämpfe, O Bharata!
2.19
Wenn einer diese (Seele) als einen Tötenden ansieht oder wenn einer denkt, dass diese getötet wird, versagen beide im Erkennen der Wahrheit. Die Seele erschlägt nicht, noch wird sie erschlagen.
2.20
Die Seele wird weder geboren noch stirbt sie. Sie ist nicht etwas, das nur ein einziges Mal in das Dasein eintritt und, wenn sie gegangen ist, nie mehr in das Dasein kommen wird. Die Seele ist ungeboren, uralt, immer dauernd; sie wird nicht erschlagen, wenn der Körper erschlagen wird.
2.21
Wer sie erkennt als eine unsterbliche, ewige, unzerstörbare spirituelle Existenz, wie kann dieser Mensch töten, O Partha, oder Ursache des Tötens sein?
2.22
Die verkörperte Seele wirft ihre alt gewordenen Körper ab und geht in neue Körper ein, so wie ein Mensch zerschlissene Kleider gegen neue wechselt.
2.23
Waffen können die Seele nicht zerschmettern, Feuer kann sie nicht verbrennen, noch Wasser sie durchnässen oder der Wind sie ausdörren.
2.24
Sie ist unzerreißbar und unbrennbar, sie kann weder durchnässt noch ausgedörrt werden. Ewig beständig, unbeweglich, alles durchdringend, ist sie für immer und ewig.
2.25
Sie ist nicht geoffenbart, sie ist unbegreiflich, sie ist unveränderlich. So wird sie (in den Srutis = Heiligen Schriften) beschrieben. Darum solltest du, sofern du die Seele als von solcher Art erkennst, unbekümmert sein.
Nicht erschaffen wie der Körper, sondern größer als die ganze Manifestation; nicht analysierbar durch das Denken, aber größer als das ganze Mental; nicht fähig, sich zu verändern, sich umzuwandeln, wie das Leben mit seinen Organen und ihren Gegenständen, sondern jenseits von allen Wandlungen des Mentals, Lebens und Körpers ist es doch die Wirklichkeit, die sie alle darzustellen sich bemühen. (63)
2.26
Auch wenn du von ihm (dem Selbst) annehmen solltest, es sei ständig Geburt und Tod unterworfen, so solltest du, O Starkarmiger, dich doch nicht grämen.
2.27
Denn einem, der geboren wurde, ist der Tod sicher, und einem, der gestorben ist, ist die Geburt gewiss. Darum sollte, was unvermeidlich ist, kein Anlass für deinen Kummer sein.
Selbst wenn unser wahres Wesen etwas weniger Feines, Gewaltiges, von Tod und Leben Unberührbares und das Selbst ständig der Geburt und dem Tod unterworfen wäre, dürfte der Tod der Wesen doch kein Anlass zum Trauern sein. Denn er ist ein unvermeidlicher Umstand in der Selbst-Manifestation der Seele. Bei ihrer Geburt tritt sie in die Sichtbarkeit hervor aus einem bestimmten Zustand, in dem sie nicht nicht-seiend, wohl aber für unsere sterblichen Sinne ungeoffenbart ist. Ihr Tod ist eine Rückkehr in jene nicht-manifeste Welt oder Urbedingung, aus der sie wieder in der physischen Manifestation erscheint. All der Lärm, der vom physischen Mental und den Sinnen wegen des Todes gemacht wird, die Angst vor dem Tod auf dem Krankenbett oder auf dem Schlachtfeld ist die unwissendste der nervlich bedingten Klagen. Unsere Trauer über den Tod von Menschen ist ein unwissendes Trauern um die, für die es keinen Grund zum Trauern gibt, da sie weder das Sein verlassen noch einen schmerzvollen oder schrecklichen Wandel ihrer Bedingungen erfahren haben. Vielmehr sind sie jenseits des Todes nicht weniger im Sein, auch nicht unglücklicher in ihren Umständen als im Leben. (63)
2.28
Alle Wesen sind am Anfang ungeoffenbart, in ihrem Zwischenzustand geoffenbart, O Bharata, und wieder ungeoffenbart bei ihrer Auflösung. Worüber soll man also klagen?
2.29
Der eine betrachtet es (das Selbst) als ein Mysterium. Ein anderer spricht oder hört von ihm als einem Mysterium. Aber keiner kennt es. Auf jenes (das Selbst, das Eine, das Göttliche) blicken wir, von ihm sprechen oder hören wir als dem Wunderbaren jenseits unseres Verstehens, denn trotz allem, was wir von denen gelernt haben, die Erkenntnis besitzen, hat kein menschliches Mental jemals dieses Absolute gekannt.
Es ist dieses Selbst, das hier durch die Welt verhüllt ist; es ist der Herr des Körpers. Alles Leben ist nur sein Schatten. Das Eintreten der Seele in die körperliche Manifestation und unser Weitergehen aus ihr durch den Tod ist nur eine ihrer kleineren Bewegungen. Wenn wir erkannt haben, dass wir selbst jenes Selbst sind, ist es absurd, von uns als den Tötenden oder Getöteten zu sprechen. Nur jenes Eine ist die Wahrheit, in der wir zu leben haben: das Ewige, das sich als die Seele des Menschen in dem großen Zyklus seiner Pilgerschaft manifestiert, deren Meilensteine Geburt und Tod sind, mit Welten im Jenseits als Ruhestätten, mit allen frohen und unfrohen Lebensumständen als den Mitteln unseres Fortschritts, mit Kampf und Sieg und mit der Unsterblichkeit als der Heimat, zu der die Seele reist. (63-64)
2.30
Dieser Einwohner im Körper eines