Die Botschaft der Bhagavadgita. Sri Aurobindo
Wahrheit, die zuerst indirekt und dunkel in den Tatsachen des Lebens, dann aber direkt und klar in der Schau der Seele von dem gesehen wird, was sich im Leben offenbart. Der äußere Aspekt ist der von Welt-Sein und menschlichem Sein, das durch Kampf und Töten sich vollzieht. Der innere Aspekt ist der des universalen Wesens, das sich in einer ungeheuren Schöpfung und einer gewaltigen Zerstörung zur Erfüllung bringt. Leben ist eine Schlacht und ein Feld des Todes –, dies ist Kurukshetra. Gott, der Schreckliche, das ist die Schau, die Arjuna hat auf jenem Feld des Massakers. (39-40)
Wir müssen Kurukshetra anerkennen; wir müssen uns dem Gesetz von Leben durch Tod unterwerfen, bevor wir unseren Weg zum unsterblichen Leben finden können. Wir müssen unsere Augen mit einem weniger entsetzten Blick als dem Arjunas öffnen, um unseren Herrn von Zeit und Tod zu schauen. Wir müssen aufhören, den universalen Zerstörer abzulehnen, zu hassen oder vor ihm zurückzuschrecken. (46)
1 Vrikodara, Yudhishthira, Nakula und Sahadeva sind die vier Brüder Arjunas. (Anm. d. Ü.)
2. Kapitel
Sankhya, Yoga und Vedanta
Der Glaube des arischen Kriegers
2.1
Sanjaya sprach:
Zu ihm, der so von Mitleid ergriffen war, die Augen voll Tränen und Kummer, das Herz überwältigt von Schwermut und Entmutigung, sprach Madhusudana folgende Worte.
Dies Mitleid Arjunas ist gänzlich anders, als das göttliche Mitleiden, das von oben zu uns herabkommt... Dieses Mitleiden schaut mit den Augen der Liebe, Weisheit und stillen Kraft auf die Schlacht und das Ringen, auf Stärke und Schwäche des Menschen, auf seine Tugenden und Sünden, seine Freude und sein Leid, sein Wissen und seine Unwissenheit, seine Weisheit und seine Torheit, sein Streben und sein Versagen. In all das geht dieser Mensch ein, um zu helfen und zu heilen.
Arjunas Mitleid ist eine Form von Nachgiebigkeit gegen sich selbst. Es ist der körperliche Krampf der Nerven angesichts des Blutbads, das egoistisch emotionale Zurückschrecken seines Herzens vor der Vernichtung der Leute Dhritarashtras, weil diese „sein eigenes Volk“ sind; ohne sie wird das Leben leer sein. (59)
2.2
Der Erhabene sprach: Woher ist diese Niedergeschlagenheit, diese Verfärbung und Verfinsterung deiner Seele in der Stunde der schweren Entscheidung und Gefahr über dich gekommen, O Arjuna? Das ist nicht die Art, die vom arischen Mann hochgehalten wird. Diese Stimmung ist nicht vom Himmel zu dir herniedergekommen, und sie kann dich auch nicht empor zum Himmel tragen. Auf Erden bedeutet sie den Verlust deines Ruhmes.
Diese Frage weist hin auf die wirkliche Art von Arjunas Abkehr von seinen heldenhaften Eigenschaften. Es gibt ein göttliches Mitleiden, das von oben zu uns herabkommt. Und für den Menschen, der es nicht besitzt und nicht davon geprägt ist, ist es töricht und unverschämt zu behaupten, er sei der höhere Mensch, der Herrenmensch oder der Übermensch. Denn der allein ist der Übermensch, der am meisten die höchste Art der Gottheit in der Menschheit offenbart. Dieses Mitleiden schaut mit den Augen der Liebe, Weisheit und stillen Kraft auf die Schlacht und das Ringen, auf Stärke und Schwäche des Menschen, auf seine Tugenden und Sünden, seine Freude und sein Leid, sein Wissen und seine Unwissenheit, seine Weisheit und seine Torheit, sein Streben und sein Versagen. In all das geht dieser Mensch ein, um zu helfen und zu heilen. Im Heiligen und Menschenfreund mag er sich in das Gewand einer Fülle von Liebe und helfender Güte hüllen; im Denker und Helden nimmt er die Weite und Kraft seiner hilfreichen Weisheit und Stärke an. Dies Mitleiden des arischen Kriegers, die Seele seiner Ritterlichkeit, wird das geknickte Schilf nicht zerbrechen, sondern hilft dem Schwachen und Unterdrückten, dem Verwundeten und Niedergeworfenen und beschützt sie. Aber das göttliche Mitleiden zerschmettert auch den starken Tyrannen und den selbstgewissen Unterdrücker, nicht in Zorn und Hass –, denn das sind nicht die hohen göttlichen Eigenschaften; der Zorn Gottes gegen den Sünder, Gottes Hass gegen den Bösewicht sind die Fabeln halberleuchteter Religionen, ebenso wie die ewige Qual der Höllen eine Fabel ist, die sie erfunden haben –, sondern, wie es die alte indische Spiritualität klar sah, mit ebenso viel Liebe und Mitleiden für den starken Titanen, der durch seine Kraft irrt und wegen seiner Sünden erschlagen wird, wie für die Leidenden und Unterdrückten, die vor seiner Gewalt und Ungerechtigkeit gerettet werden müssen.
Solcher Art ist aber nicht das Mitleid, das Arjuna zur Zurückweisung seines Werkes und seiner Sendung bestimmt. Das ist kein Mitleid, sondern ein Versagen aller Kräfte voller schwächlichen Selbstmitleids. Er weicht aufgrund des mentalen Leidens zurück, das sein Handeln über ihn bringen muss: „Ich sehe nicht, was den tiefen Kummer von mir wegnehmen wird, der mir die Sinne austrocknet.“ Von allen Dingen ist es eine der schimpflichsten unarischen Stimmungen, dass man sich selbst bemitleidet. (58-59)
2.3
Lass nicht ab von der Männlichkeit des Kriegers und Helden, O Partha! Das passt nicht zu dir. Schüttele diese erbärmliche Schwachherzigkeit ab! Steh auf, Parantapa (du Geißel der Feinde)!
Arjunas Mitleid ist eine Schwäche seines Mentals und seiner Sinne –, eine Schwäche, die für Menschen von niedrigerem Entwicklungsgrad wohl vorteilhaft sein könnte. Sie müssen schwach sein, da sie sonst hart und grausam wären; denn sie müssen die raueren Formen der egoistischen Empfindungen durch die sanfteren mildern... Dieser Weg ist aber nichts für den entwickelten arischen Mann, der wachsen muss, nicht durch Schwäche, sondern durch ein Emporsteigen von einer Stärke zur anderen. Arjuna ist der göttliche Mensch, der Herrenmensch im Werden. Als solcher ist er von den Göttern erwählt worden. Er muss das ihm übertragene Werk durchführen. Dazu hat er Gott neben sich im Kampfwagen. Er hält den himmlischen Bogen Gandiva in seiner Hand. Er wird mit den Verfechtern der Rechtlosigkeit, den Gegnern der göttlichen Lenkung der Welt konfrontiert. Nicht er selbst hat das Recht zu entscheiden, was er tun oder nicht tun soll, je nach seinen Empfindungen und Leidenschaften. Er darf nicht vor der notwendigen Zerstörung durch den Einwand seines egoistischen Herzens und seiner Vernunft zurückschrecken oder sein Werk ablehnen, weil es Kummer und Leere in sein Leben bringt oder weil sein Ergebnis auf Erden für ihn keinen Wert hat, wenn die Tausende fehlen, die zugrunde gehen müssen. All das ist ein schwächliches Absinken aus seiner höheren Natur. Er darf nur auf sein Werk schauen, das getan werden muss, kartavyam karma, er soll nur den göttlichen Befehl vernehmen, der ihm durch seine Krieger-Natur eingehaucht wird. Sein Gefühl muss allein auf die Welt und das Schicksal der Menschheit gerichtet sein, die ihn als ihren gottgesandten Helfer ruft, ihren Fortschritt zu unterstützen und ihren Weg von den finsteren Armeen zu befreien, die ihn besetzt halten. (59-60)
2.4
Arjuna sprach:
Wie soll ich, O Madhusudana, im Kampfe Bhishma und Drona, die der Verehrung würdig sind, mit Waffen schlagen, O Töter der Feinde?
2.5
Es ist mir lieber, in dieser Welt nur von Almosen zu leben, als die Gurus, die hohen Seelen, zu töten. Würde ich diese Gurus erschlagen, schmeckten mir alle Genüsse in dieser Welt nur noch nach Blut.
2.6
Auch weiß ich nicht, was für uns besser ist, sie zu besiegen oder von ihnen besiegt zu werden –, denn vor uns stehen die Dhritarashtrier. Haben wir sie getötet, sollten wir nicht mehr weiterleben wollen.
2.7
Es ist die Dürftigkeit des Geistes, die mein (wahres heldenhaftes) Wesen so tödlich getroffen hat. Mein ganzes Bewusstsein ist völlig verwirrt in seinem Urteil über Recht und Unrecht. Dich frage ich, was wohl das Bessere ist – sage es mir eindeutig! Wie ein Jünger nehme ich meine Zuflucht zu dir. Erleuchte mich!
Arjuna ist der Mann der Aktion, nicht des Wissens; er ist Kämpfer, niemals Seher oder Denker. (22)
In der Gita ist er beispielhaft für die Seele des handelnden Menschen, der durch dieses Handeln in dessen höchster und gewaltsamster