Seewölfe Paket 18. Roy Palmer
Wir werden hier auf dich warten …“ Sie packte Tatona wieder energisch am Arm, als diese aufbegehren wollte, und wieder fügte sich die Unterführerin der Roten Korsarin.
Barba verschwand. Er nahm die präparierte Schiffslaterne mit sich. Auf einer Felsenkuppe, von der aus er die See übersehen konnte, entzündete er die Laterne, dann gab er das vereinbarte Signal. Er wiederholte es zur Vorsicht dreimal.
Er konnte nicht ahnen, daß Caligula und seine Männer ihn von ihrer Felsenkuppe dabei beobachten konnten.
„Wie ich es mir gedacht habe. Es wird nicht lange dauern, dann wird dieser dreimal verdammte Viermaster der Roten Korsarin in die Bucht einlaufen. Dann ist unsere Stunde gekommen. Wir warten, bis dieser Kerl dort verschwunden ist, dann rasch zur Bucht hinunter!“
Caligula flüsterte nur, und seine Männer verhielten sich so still, als gäbe es sie gar nicht.
Barba kehrte zu Siri-Tong zurück und nickte ihr zu.
„Zum Strand hinab!“ befahl die Rote Korsarin gleich darauf, und der kleine Trupp von Männern und Frauen setzte sich in Bewegung.
Auf „Roter Drache“ hatte man das Signal gesehen. Araua war in den Großtopp geentert. Sie erblickte die hin und her schwingende Lampe, die außerdem noch in kurzen Intervallen mit der Hand immer wieder abgedeckt wurde, zuerst.
Wie der Blitz sauste sie wieder aufs Hauptdeck hinab, und gleich darauf waren die Männer dabei, die Segel zu setzen.
„Roter Drache“ nahm Kurs auf die Insel. Der immer noch kräftig wehende Wind trieb ihn rasch auf die Insel zu.
Unterdessen ereigneten sich mehrere Dinge zugleich.
Siri-Tong erreichte den Strand mit ihrem Trupp. Aus der Nähe sahen die an den Stämmen hängenden Schlangenkriegerinnen noch fürchterlicher aus als von den Felsen. Die fünf Schlangenkriegerinnen ließen alle Vorsicht außer acht – sie rannten auf ihre Gefährtinnen zu, so schnell sie ihre Füße trugen.
Siri-Tong und die anderen folgten ihnen.
„Barba, mehr Holz in das Feuer, wir brauchen mehr Licht!“ rief sie dem Hünen zu, der nicht von ihrer Seite gewichen war. Barba nickte nur, dann bog er zum Strand hinunter ab. Er fand genügend Holz, und er warf soviel davon hinein, daß die Flammen hoch aufloderten. Dabei sah er aus den Augenwinkeln, wie Tatona plötzlich mitten in ihrer Bewegung erstarrte – und den anderen Schlangenkriegerinnen erging es ebenso.
Irgend etwas stimmte dort nicht – das spürte er sofort.
Unterdessen hatte Caligula den Strand ebenfalls erreicht.
„Los, Chico“, sagte er. „Zum Wrack. Nimm dir zwei Männer mit, zieht sie hoch. Und dann runter vom Wrack, oder euch holt der Teufel. Alle anderen zum Boot, aber laßt euch nicht sehen. Wer mir jetzt den Spaß noch vermasselt, den bringe ich um!“
Der mit Chico Angeredete, ein braunhäutiger, kleiner und wieselflinker Bursche, schnappte sich zwei seiner Spießgesellen, dann flitzte er los. Caligula hockte sich unterdessen hinter einen der Felsen, von dem aus er das Wrack der „Mocha II.“ gut im Auge hatte, und legte einen großen Bogen mit einem Köcher voller Pfeile neben sich. Ein Bogen, wie ihn Batuti oder Big Old Shane von der „Isabella IX.“ benutzten. Dann wartete er.
Als die Flammen des Feuers hoch aufloderten, grinste er nur. Alles lief genau nach Plan. Jetzt fehlte nur noch dieser verdammte Viermaster der Roten Korsarin.
Er hatte das kaum zu Ende gedacht, da schob sich auch schon die Silhouette der großen Galeone durch die Einfahrt der Bucht.
Caligula hielt den Atem an. Er warf einen Blick zum Wrack der Araukaner-Galeone hinüber, und wieder grinste er. Denn dort hingen jetzt fein säuberlich nebeneinander an der Gaffelrute des Besans die leicht im nächtlichen Wind hin und her pendelnden Körper von vier Schlangenkriegerinnen. Im Schein des riesigen Feuers, das Barba am Strand entfacht hatte und dessen Flammen er durch immer neues Holz noch höher schürte, erkannte man sie auf Anhieb. Es war ein makabrer, ein geradezu unheimlicher Anblick, der seine Wirkung ganz gewiß nicht verfehlen würde. Daß es sich bei den Gehenkten um Puppen handelte, die Caligula täuschend echt angefertigt hatte, das konnte man bei dem herrschenden Licht nicht erkennen. Weder das Feuer noch der Mond reichten dazu aus.
Caligula mußte ein dröhnendes Gelächter gewaltsam unterdrücken, als er jetzt die Reaktion Siri-Tongs und ihrer Gefährten weiter unten am Strand bemerkte. Die Verwirrung, die dort herrschte, war offenbar gar nicht mehr zu überbieten.
Der Viermaster glitt heran. Caligula hörte das schwache Rauschen seiner Bugwelle – und dann änderte das große Schiff plötzlich seinen Kurs und lief auf das Wrack der „Mocha“ zu.
Noch immer wartete Caligula. Er war jetzt eiskalt. Dann, als er den schweren Anker ins Wasser klatschen hörte, war es soweit. Caligula griff in den Köcher und entnahm ihm einige der Pfeile. Rasch und geübt schlug er mit seinem Flintstein Funken und setzte den schon bereitliegenden Zunder in Brand. Dann hielt er einen der Pfeile über die Flammen, und die mit Pech präparierte Spitze, die zudem noch in Schießpulver gewälzt worden war, entzündete sich mit leisem Puffen. Gleich darauf beschrieb der Pfeil seine feurige Bahn durch die Nacht. Ihm folgte ein zweiter und ein dritter – und dann tauchte Caligula schleunigst in die Deckung der dicken Felsen, zwischen denen er hockte …
Mr. Boyd und Araua befanden sich auf dem Achterdeck von „Roter Drache“, als der Viermaster in die Bucht einlief. Araua war unruhig. Sie spürte, daß von irgendwoher Gefahr drohte. Doch so sehr sie ihre Sinne auch anspannte, sie vermochte nicht zu erfassen, wo die Gefahr auf sie lauerte. Sie dachte an die Warnung des Schlangengottes – aber Siri-Tong hatte signalisieren lassen, also mußten sie in die Bucht einlaufen.
„Roter Drache“ umrundete die Felsnase, die in die Einfahrt der Bucht hineinragte, und dann erblickten sie das Feuer am Strand. Sie sahen auch Siri-Tong und Barba, der Holz in das Feuer warf, so daß die Flammen hoch in die Nacht aufstiegen und ein dichter Regen von Funken emporstieg, wenn eines der dicken Holzstücke krachend in der Hitze der Flammen platzte.
„Mister Boyd – da sehen Sie …“, Araua deutete außer sich auf die Schlangenkriegerinnen, die an den Stämmen der Palmen hingen. Sie beobachtete, wie Tatona, Siri-Tong und auch die anderen vier Schlangenkriegerinnen von einer zur anderen rannten, ratlos, betroffen, wie sie ihre Ohren an die Körper der Kriegerinnen legten und dann hastig begannen, sie loszuschneiden.
Araua spürte die Schauer, die ihr über den jungen Körper rannen – denn ob sich auch ihre Mutter unter jenen dort an den Palmenstränden befand, das vermochte sie von Bord des Viermasters aus nicht zu erkennen.
Das Wrack der „Mocha“ kam in Sicht. Es schien in den Reflexen, die die Flammen des riesigen Feuers auf dem Wasser der Bucht hervorriefen, auf den Klippen einen gespenstischen Tanz aufzuführen.
Arauas Blicke irrten umher – dann erfaßten sie die vermeintlichen gehenkten Schlangenkriegerinnen, deren entseelte Körper im Wind an der Besanrute hoch über dem Achterdeck schaukelten.
In diesem Moment hielt Araua nichts mehr. Keine Befehle Siri-Tongs, kein Zureden Tatonas – sie stieß einen schrillen Schrei aus und hechtete über Bord.
Der Ruf Mister Boyds verhallte ungehört hinter ihr, denn Araua verschwand im Wasser der Bucht und begann sofort aus Leibeskräften zu schwimmen. Sie war eine ausgezeichnete Schwimmerin – und das war ihr Glück. Sie hielt auch nicht auf das zwischen den dunklen Felsen auf den Klippen liegende Wrack der „Mocha“ zu – sondern sie kraulte dem Strand entgegen, so rasch sie konnte. Dorthin, wo sich Siri-Tong, Tatona und die anderen befanden.
Als sie sich einmal umwandte, hörte sie das Klatschen, mit dem der große Anker von „Roter Drache“ ins Wasser der Bucht tauchte. Sie sah, daß Mr. Boyd den Anker in der Nähe des Wracks der „Mocha“ geworfen hatte, und sie ahnte, daß er sofort ein Kommando hinüberschicken würde.
Doch dann gewahrte sie noch etwas anderes – und für einen Augenblick hielt sie mit ihren Schwimmbewegungen inne. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, denn Araua begriff innerhalb eines Sekundenbruchteils, was jetzt geschehen