Seewölfe Paket 18. Roy Palmer
er verbarg sich nach wie vor hinter dicken Wolken und hatte nur ein paarmal durch Wolkenlöcher auf den Viermaster herabgeblinzelt, da erreichte der Viermaster die von Siri-Tong festgelegte Position. Sofort enterten die Männer auf und bargen den größten Teil der Segel. Langsam würde der Viermaster sich der Insel nähern, denn die Meeresströmung lief im Bogen an ihrer südlichsten Spitze vorbei. Das war günstiger, als die Rote Korsarin erwarten konnte, und sie nahm das als gutes Omen.
„Boot abfieren!“ befahl sie verhalten. Dann trat sie auf Mister Boyd, ihren Ersten Offizier zu. „Sie warten auf jeden Fall unser Lichtzeichen ab. Lassen sie alle Marse doppelt besetzen, Mister Boyd. Sollte etwas Unvorgesehenes geschehen, oder wenn Sie von Land Schüsse hören sollten, dann handeln Sie wie besprochen. Ohne Rücksicht auf mich oder irgend jemand anderen. Ist das klar, Mister Boyd?“
„Aye, Madam“, erwiderte der drahtige Engländer. „Sie können sich auf uns alle verlassen.“
„Danke, Mister Boyd.“
Siri-Tong zog Araua nochmal an sich heran.
„Du weißt, welche Aufgabe ich dir zugeteilt habe, Araua. Ich hoffe, du wirst Glück genug haben, um sie zu lösen.“
Gleich darauf enterte die Rote Korsarin ab. Es gab nichts mehr zu sagen. Außer Barba begleiteten sie acht Mann ihrer Besatzung. Alle bestens für den bevorstehenden Einsatz ausgerüstet. Musketen und ähnliche Waffen verboten sich von selbst. Wurde gekämpft, dann mußte es lautlos geschehen. Außerdem enterten auch noch die fünf Schlangenkriegerinnen ins Boot ab. Sie würden die Führung des kleinen Trupps auf der Insel übernehmen, denn sie kannten sich dort aus.
Das Boot stieß ab. Die Männer legten sich in die umwickelten Riemen, die Ray Chiswell, der Schiffszimmermann außerdem noch sorgfältig gefettet hatte. Auf diese Weise verursachten sie nicht das geringste Geräusch.
7.
Barba hatte sich im Bug des Bootes postiert. Mit Argusaugen suchte er die See vor dem Boot ab. Dann, als sich die dunkle Silhouette der Insel aus der Dunkelheit hervorzuheben begann, aber so schwach, daß gerade er es sehen konnte, wandte er sich um.
„Wir sollten jetzt mehr Backbord halten, Madam. Und langsam, langsam Männer, damit unser Boot keine Spur in der See zieht. Wenn man auf einem Berg steht und die See beobachtet, sieht man sehr viel, Männer, denkt daran.“
Die im Takt hin und her schwingenden Oberkörper der Männer an den Riemen verlangsamten ihr Tempo. Daß sie dennoch den wachsamen Augen Caligulas nicht entgingen, ahnten sie nicht. Denn Caligula hatte genau das getan, wovor Barba die Männer eben gewarnt hatte. Er hockte auf einem der Felsen und beobachtete unablässig die See. Er erspähte das sich langsam nähernde Boot, als die Wolkendecke für einen einzigen Augenblick aufriß und das Mondlicht über die unablässig heranrollenden Wogen der See huschte.
„Achtung – sie sind da!“ flüsterte er, obwohl ihn niemand weit und breit hätte hören können außer den Männern, die hinter ihm auf dem Felsen kauerten. „Verhaltet euch ruhig, und bleibt wo ihr seid. Du, Juan, läufst jetzt runter zum Strand und entzündest das Feuer am Strand. Achte aber darauf, daß es die Schlangenkriegerinnen gut beleuchtet. Dann gehst du zu den Kriegerinnen hinauf. Falls eine bei Bewußtsein ist, gibst du ihr eins über den Schädel. Aber töte sie nicht, wir brauchen sie noch, alle. Und wenn du Hund auch nur eine von ihnen anfaßt, dann bringe ich dich um. Ich habe keine Lust, mir diese Arkana auf den Hals zu hetzen. Sie nicht, und ihren verdammten Schlangengott auch nicht. Kapiert? Oder, beim Satan in der Hölle, ich schlitze dich auf, merk dir das!“
Juan nickte, und die nackte Angst stand in seinen Augen. Er war von allen Männern der Queen derjenige, der am stärksten unter seiner Furcht vor Geistern und Meermännern und anderen Ungeheuern zu leiden hatte. Aber gerade deswegen hatte Caligula ihn dafür ausgesucht. Er wußte, daß Juan nichts riskieren würde.
Der Mulatte verschwand. Caligula verhielt sich wieder still. Er beobachtete, wie das Boot näher und näher an die Insel heranglitt. Als Schatten war es gerade noch zu erkennen. Aber noch einmal war der Mond sein Bundesgenosse, denn wieder schickte er seine bleichen Strahlen durch ein Loch in der Wolkendecke. Unglücklicherweise trafen sie die Rote Korsarin und ihre Mannen voll, so daß Caligula sie für einen Moment alle deutlich sehen und auch zählen konnte.
Er grinste befriedigt.
„Wir könnten sie doch gleich jetzt erledigen, Caligula“, hörte er einen seiner Männer sagen. Gedankenschnell fuhr Caligula herum und packte den Mann.
„Du hast genau das zu tun, was wir besprochen haben. Wir wollen sie alle samt diesem verdammten Viermaster. Oder glaubst du Rindvieh, ich habe den ganzen Nachmittag wie ein Wilder geschuftet, daß mir so ein Dummkopf wie du jetzt alles verdirbt?“
Caligula ließ den Mann los, der sofort in sich zusammenkroch. Er kannte Caligula genau, und er wußte auch, wie gewalttätig der werden konnte, wenn man nicht genau tat, was er befahl.
„Ja, ist in Ordnung, Caligula. Ich meinte ja nur …“
„Beim Satan, halt jetzt dein verdammtes Maul, oder ich stopfe es dir“, erwiderte Caligula. Danach rührte sich eine ganze Weile auf dem Felsen gar nichts mehr. Die Männer Caligulas verschmolzen mit ihrer Umgebung wie er selbst.
Unterdessen hatte die Rote Korsarin das Boot unter der dichten Ufervegetation verborgen. Zwei Mann ließ sie als Wache zurück, schärfte ihnen aber ein, keinen Laut von sich zu geben und sich nicht von der Stelle zu rühren.
Dann verschwand sie mit den restlichen sechs Rudergasten, mit Barba und den fünf Schlangenkriegerinnen. Aber so einfach, wie sie sich das erhofft hatte, wurde die Sache nicht. Sie hatten eine Reihe von Felsen zu überwinden, ehe sie einen Blick auf die Bucht werfen konnten. Und als ob der Satan seine Hand im Spiel hatte, riß in diesem Moment die Wolkendecke auf, und der Mond warf sein fahles Licht über die Bucht.
Siri-Tong und ihre Begleiterinnen blieben wie angewurzelt stehen – denn unten am Strand erblickten sie ein noch loderndes, aber doch schon weit heruntergebranntes Feuer, das sein Licht auf eine Reihe von Schlangenkriegerinnen warf, die allesamt in merkwürdig schlaffer oder auch verrenkter Haltung an den Stämmen von Palmen hingen. Der Sand zu ihren Füßen war dunkel von ihrem Blut, jedenfalls sah das für die Rote Korsarin so aus.
Tatona, die neben ihr stand, knirschte hörbar mit den Zähnen.
„Sie haben sie ermordet, bevor sie die Bucht verließen!“ stieß sie hervor. „Aber das sind nicht alle, Siri-Tong. Arkana fehlt. Auch andere fehlen! Rasch, wir müssen …“
„Warte, Tatona, warte!“ Siri Tong hielt die Unterführerin Arkanas mit hartem Griff zurück. „Wenn sie tot sind, hilft keine Eile mehr, Tatona. Wir müssen erst sicher wissen, ob die Piraten wirklich die Bucht verlassen haben, oder ob das eine Falle ist. Vielleicht versuchen sie uns zu täuschen!“
Tatona bezwang sich mühsam, aber die Rote Korsarin hatte recht. Sie hielt auch die anderen vier Schlangenkriegerinnen davon ab, loszustürmen.
„Barba – siehst du irgendwo ihre Galeone?“ fragte Siri-Tong ihren hünenhaften Ersten Steuermann.
Es dauerte eine Weile, ehe er antwortete.
„Nein, Madam, in der Bucht ist sie nicht. Das ist sicher. Aber das allein würde nichts bedeuten, denn man kann leicht vortäuschen, abgesegelt zu sein, und in Wirklichkeit lauert man irgendwo. Nein, das würde mich nicht so sicher machen. Diese Black Queen ist nach allem, was wir inzwischen von ihr wissen, eine gefährliche Gegnerin, der jeder Trick zuzutrauen ist. Aber da ist doch dieses Feuer, Madam. Die Äste – sie liegen schon lange im Feuer, und auch die Spuren um das Feuer zeigen deutlich, daß es schon vor Stunden verlassen worden sein muß. Kurz nachdem man die Kriegerinnen Arkanas getötet hat.“
Siri-Tong überlegte einen Moment. Was sie zu tun beabsichtigte, war gefährlich. Aber eine andere Möglichkeit und einen besseren Schutz für sie alle gab es nicht. Außerdem führte ihr Viermaster für den Notfall auch noch jene Brandsätze an Bord mit sich, gegen deren