Seewölfe Paket 17. Roy Palmer
am Kragen, damit sie nicht aus den Stiefeln kippten.
„Du meine Fresse“, sagte Smoky andächtig. „Eike und der Boston-Mann – ich glaube, mich küßt ein Nilpferd!“
Old O’Flynn kicherte wie ein, Kobold. „Dann schau dir mal unseren Profos an, den hat auch ein Nilpferd geküßt, aufs linke Auge.“
Smoky riß das Maul noch weiter auf. In diese Luke hätten locker vier Spiegeleier gepaßt.
„Mach’s Maul zu“, sagte Ferris Tucker trocken, „sonst beißt dich wirklich noch ’ne Nilpferdstute.“ Aber anerkennend fügte er hinzu: „So ein Ding habe ich allerdings bei meinem alten Carberry auch noch nicht gesehen – und das will was heißen.“
Sie waren alle am Schanzkleid versammelt, einschließlich des Bordviehs. Und sie glucksten und kicherten, grinsten und feixten, nachdem sie sich von ihrer grenzenlosen Verblüffung erholt hatten.
Nur einer blieb verdrießlich wie eh und je – Mac Pellew.
„Der hat sich wieder geprügelt“, verkündete er dumpf und spuckte übers Schanzkleid. „Der kann’s nicht lassen. Das hört und hört nicht auf. Wo der hinlatscht, gibt’s Stunk, egalweg nur Stunk. Und dann fängt wieder das große Jammern an, und ich und der Kutscher können Knochen flicken, Nasen einrenken und Fleischfetzen mit Kabelgarn zusammennähen. Und dafür werden wir noch angepöbelt, weil Undank der Welt Lohn ist.“
„Na, na, na“, sagte Pete Ballie.
„Ist doch so“, brummte Mac Pellew. „Wenn ich dieses Oberrübenschwein Carberry jetzt frage, ob ich was für sein Auge tun könne, was meinst du wohl, was ich für ’ne Antwort kriege?“
„Weiß ich nicht“, sagte Pete Ballie und grinste.
„Dann paß mal auf“, sagte Mac Pellew wütend.
Und als Carberry mit Eike und dem Boston-Mann, die beide verzerrt und ziemlich dämlich grinsten, auf die Kuhl stampfte, trat Mac Pellew zu ihm und fragte: „Kann ich was für dein Auge tun, Mister Carberry? Vielleicht einen kühlen Umschlag oder eine Salbe, die den Bluterguß lindert und die Schwellung mindert?“
Es war so wie immer.
Dem Profos schwoll der Kamm, er pumpte sich voll Luft, und dann röhrte er los: „Verpiß dich, Mister Pellew, sonst ist bei dir gleich was gemindert und gesalbt! Mein Auge ist völlig gesund, dem fehlt nichts, verstanden?“
„Man sieht’s!“ brüllte Mac Pellew erbittert zurück. „In dem Sack, den du am Auge hängen hast, kann man ’ne Kokosnuß verstecken – was sag ich, da paßt ’n Riesenaffenarsch rein, so einer, wie du’s bist …“
„Mac“, sagte Hasard sanft, als er von der Stelling auf die Kuhl sprang. „Laß ihn doch. Wenn er meint, sein Auge sei völlig gesund und dem fehle nichts, dann ist das sein Bier. Vielleicht ist er scharf darauf, als Einäugiger sein weiteres Leben zu verbringen. Da müßten wir uns nach einem neuen Profos umsehen, denn ein einäugiger Profos bringt ja nichts mehr her.“ Er zwinkerte Mac Pellew zu, aber der hatte bereits kapiert, welchen Kurs der Kapitän steuerte.
„Richtig“, sagte er daher mit Grabesstimme, „völlig richtig, Sir. Das ist medizinisch auch erwiesen. Die Einäugigen hauen immer daneben, wenn sie einen Boxhieb anbringen wollen.“
Der Kutscher stieg auch mit ein. „Du sagst es, Mac“, erklärte er. „Viel schlimmer aber ist, daß sie über ihre eigenen Füße stolpern, weil ihr Blickwinkel getrübt ist – logisch, bei einem Auge schrumpft dieser Winkel auf ein Minimum zusammen – äh, er verengt sich gewissermaßen. Ein sehr bedauernswerter Vorgang, zumal die Stolperer somit einen Krückstock benutzen müssen, der sie vor den ärgsten Stürzen bewahren soll.“
Carberry stand stumm und still, und es sah aus, als spähe er in sich hinein. So bemerkte er auch nicht, daß die Arwenacks Mühe hatten, ihr Lachen zu verbeißen. Sie nahmen sich eisern zusammen und zeigten ernste Gesichter, als sich Carberry aufraffte und zum Kutscher umdrehte, nachdem er Eike und den Boston-Mann losgelassen hatte.
„Kutscher“, sagte er etwas heiser. „Hab ich was am linken Auge?“
„Das hast du, Ed“, sagte der Kutscher sachlich. „Und wie ich das beurteile, ist damit nicht zu spaßen.“
„Hm. Und was schlägst du vor?“
„Daß ich’s mir anschaue und dich verarzte.“
„Gut“, sagte Carberry. Er spähte einäugig zu Hasard. „Sir, brauchst du mich im Moment, oder kann ich …“
„Schon gut, Ed.“ Hasard winkte ab. „Laß dich vom Kutscher und Mac verarzten. Nehmt Eike und den Boston-Mann gleich mit.“ Er lächelte leicht. „Ich glaube, euch allen schadet es nicht, wenn ihr euch auch etwas stärkt. Das Bornholmer Wässerchen soll dafür gut sein. Wir warten in der Messe auf euch. Schließlich wollen wir ja alle hören, was Eike und der Boston-Mann zu berichten haben. Also, ab mit euch!“
Carberry strahlte. Na ja, was bei ihm jetzt als Strahlen zu bezeichnen war. Des Teufels Großmutter hätte vermutlich die Flucht ergriffen.
Die fünf Männer verschwanden im Krankenraum.
Hasard seufzte verhalten und strich sich nachdenklich über das Kinn. Merkwürdig war das alles schon, sehr merkwürdig. Und meist geriet Carberry in den Wirbel der Ereignisse – oder umgekehrt: er zog diese Ereignisse auf sich. Und dann flogen die Fetzen. Wenn man den Faden weiterspann, konnte man sich ausrechnen, daß so etwas irgendwann einmal nicht mehr mit einem blauen Auge enden würde.
Und was würde dann sein?
Carberry war etwas Elementares. Was dieser Mann in seinem Leben schon eingesteckt hatte, war unfaßbar. Bei dieser Fahrt in die Ostsee war das nicht anders gewesen. Jetzt neigte sie sich ihrem Ende zu. Dieses furchtbare Gebilde auf Carberrys linkem Auge war wie ein Schlußpunkt.
Arnes Frage riß Hasard aus seinen Gedanken.
Arne fragte: „Wer waren diese beiden Männer?“
Über Hasards angespanntes Gesicht huschte ein Lächeln. „Wir haben seit vielen Jahren einen guten Freund – einen etwas sonderbaren Kerl, der von irgendwoher aus dem hohen Norden stammt. Thorfin Njal heißt der Mann. Manche nennen ihn auch einfach nur den Wikinger, denn er gleicht diesen Nordmännern, zumal er auch ihre Kleidung trägt. Na, du wirst ihn kennenlernen. Er segelt ein recht merkwürdiges Schiff, einen schwarzen Viermaster, den man als Mischung zwischen einer Galeone und einer Dschunke bezeichnen kann. Wir trennten uns in der Nordsee, bevor wir unsere Fahrt in die Ostsee antraten. Thorfin Njal segelte nordwärts. Er hat sich in die Idee verrannt, Thule zu finden. Die beiden Männer, nach denen du eben fragtest, gehören zu seiner Crew. Mir ist völlig schleierhaft, was die beiden hierher verschlagen hat, denn die Crew des Wikingers hält genauso wie unsere wie Pech und Schwefel zusammen, vor allem der harte Kern, zu dem der Boston-Mann und Eike gehören. Eike ist der Kerl, der die Fellkleidung trägt, genau wie sein Kapitän. Der andere ist der Boston-Mann. Beide sind harte Kämpfer, unbedingt zuverlässig und absolut loyal ihrem Kapitän gegenüber. Daß sie ihren Kapitän und ihr Schiff verlassen haben, muß einen besonderen Grund haben. Vom Hafenkapitän wissen wir nur, daß sie hier vor zehn Tagen mit einer Schaluppe aufkreuzten und sich weigerten, den Sundzoll zu zahlen. Sie legten sich mit den Wachbooten an und landeten darauf im Kittchen, nachdem sie wohl einen ziemlichen Wirbel veranstaltet hatten.“
„Und was passierte in der Hafenkommandantur?“ fragte Arne.
Wie immer übersetzte Nils Larsen den Dialog zwischen den beiden Vettern.
„Das ist es ja gerade“, brummte Hasard. „Nenn es Zufall oder sonstwas. Wir betreten – das heißt, Carberry als erster mit Woyda am Wickel – den Zellentrakt, in dem sich der Boston-Mann und Eike genau zu diesem Zeitpunkt aus der Zelle befreit hatten und darauf lauerten, auszubrechen, sobald die Tür zu dem Trakt geöffnet wird. Eike fällt über Carberry her, und der empfängt dessen Faust aufs Auge. Er schlägt zurück, wie das seine Art ist, und Eike geht zu Boden. Dafür knallt ihm der Boston-Mann die Faust noch einmal aufs selbe