Seewölfe Paket 6. Roy Palmer
dessen Tiefen es heiß brodelte und gurgelte. Der Gluthauch wurde vom Wind herübergetragen. Dan und Gary lief es aber nicht warm, sondern eiskalt über den Rücken, als sie ihn spürten.
Dan schnaufte empört. „Mann, sind wir denn neuerdings unter die Angsthasen gegangen, oder was ist los?“
„Das hat doch damit nichts zu tun.“
„Falls der verdammte Vulkan überkocht, haben wir immer noch genug Zeit, um abzuhauen.“
Gary sah den Freund an. „Das ist eben die Frage, die ich mir stelle. Schaffen wir das wirklich?“
„Wir müssen es darauf ankommen lassen, es bleibt uns ja nichts anderes übrig“, erwiderte Dan nüchtern. Allmählich gewöhnte er sich an das Grollen des Vulkans, und die gewohnte Abgeklärtheit kehrte in ihn zurück. „Außerdem – die feuerspeiende Göttin ist uns wohlgesonnen. Die haut uns schon nicht in die Pfanne.“
„Sprechen wir lieber über die Manila-Galeone“, meinte Gary.
„Ja, das finde ich auch. Hasard hat gesagt, daß Manila 1565 gegründet wurde und daß im selben Jahr die Route der Galeone zur kalifornischen Küste und von dort nach Acapulco eingeführt wurde.“
„Vor achtzehn Jahren also.“
„Ja, und jedes Jahr einmal findet die wertvolle Fahrt statt“, sagte Dan. „Die schwerbeladene ‚Nao de China‘ übernimmt in Manila Fracht, die größtenteils aus dem Land der Zopfmänner stammt und von portugiesischen Schiffen auf die Philippinen gebracht wird. Kunstwerke, Juwelen, Seide, Satin, Brokat, Elfenbein, Parfüm und Gewürze – dieses Zeug wird dann in Neuspanien gelöscht.“
„Und die Dons in Acapulco und Panama entrichten den Gegenwert in Gold und Silber. Danach geht die Galeone wieder ankerauf und kehrt zurück nach Manila.“
Dan grinste und rieb sich die Hände. „Mir wird ganz anders, wenn ich daran bloß denke. Hasard hat gehört, daß es manchmal bis zu zwei Millionen ‚Pieces of eight‘ sind, die das Schiff über den Pazifik schaukelt.“
„Spanische Piaster, jeder acht Reals wert“, sagte Gary. „Wenn das wahr ist. Alle Freibeuter wünschen sich, die legendäre Galeone aufzubringen.“
„Aber keinem ist es bisher gelungen“, erwiderte der junge O’Flynn. Er hob wieder das Spektiv und blickte hindurch. Sorgfältig suchte er die ganze Kimm von Osten bis Westen ab, aber es war wieder nichts zu sehen – wie vor Tagen, ehe sie Hawaii angelaufen hatten.
Wie oft Gary und er diese schon fast stereotype Bewegung an diesem Tag durchführten, wußte keiner von beiden. Erst am Nachmittag hatte das nervtötende Forschen ein Ende und wurde unverhofft belohnt – denn Dan entdeckte Mastspitzen an der östlichen Kimm.
„Ich krieg zuviel“, stieß er aus. „Gary, jetzt wird’s ernst.“
„Wir wissen doch noch gar nicht, mit wem wir es zu tun haben“, gab Andrews zu bedenken.
„Warte, es sind drei Segler. Nein, vier. Dicke Brocken, glaube ich.“ Dan saß stocksteif da und schien mit seinem Kieker zu verwachsen. „Alles Dreimaster.“
Gary spähte ebenfalls mit dem Spektiv auf die See hinaus, aber er schüttelte nur den Kopf. „Ich kapier nicht, wie du die Masten auf diese Entfernung zählen kannst.“
„Laß das meine Sorge sein. Lauf bitte zur Bucht und sag Hasard und Siri-Tong Bescheid.“
„In Ordnung“, sagte Gary. Er erhob sich von ihrem Aussichtspunkt, einem kleinen Plateau, und lief den Pfad hinunter, den die Polynesier ihnen gewiesen hatten. Als er etwa die Hälfte des Weges zur Bucht zurückgelegt hatte, vibrierte der Untergrund, und Puu O Keokeo entließ ein. drohendes Grollen.
Pele schien die vier gesichteten Schiffe nicht leiden zu können.
„Vier Schiffe“, wiederholte der Seewolf. Gary, noch etwas außer Atem, stand neben ihm auf dem Achterdeck der „Isabella“. „Ein harter Brocken also. Falls es sich tatsächlich um die Manila-Galeone und ihren Geleitschutz handelt, haben wir es nicht leicht. Geben wir uns keinen falschen Hoffnungen hin. Die Armierungen dieser Schiffe sind bestimmt hervorragend.“
„Wir helfen euch“, sagte Federmann, der bei Siri-Tong, Ben Brighton, Thorfin Njal und den anderen stand. „Die Polynesier und ich. Wir können mit unseren Auslegerbooten auch einiges ausrichten. Ich wette, wir paddeln den Spaniern glatt unter den Kanonenmündungen hindurch.“
Hasard winkte ab. „Danke, aber davon will ich nichts hören. Vergiß nicht deine Grundsätze, Thomas.“
„Wir helfen Freunden. Das ist etwas anderes.“
„Trotzdem. Ihr müßt neutral bleiben, um jeden Preis. Falls einer der Spanier entwischt und in der Neuen Welt berichtet, daß ihr uns beigestanden habt, werden die Dons eine Strafexpedition ausrüsten und losschicken. Du weißt, was das heißt.“
„Ja, aber …“
„Kein Aber.“ Hasard trat vor und ließ den Blick über die Kuhl schweifen. Das Schiff war nach der Schlacht gegen de Galantes und seine Piraten wieder hergerichtet worden. Carberry hatte die Männer auf Gary Andrews’ Meldung hin zusammengetrommelt. Sie standen bereit und schauten erwartungsvoll zu ihrem Kapitän auf.
„Dan gibt Blinkzeichen“, sagte Ben Brighton.
Hasard fuhr herum, blickte zum Kraterberg hoch und deckte die Augen dabei mit einer Hand schützend ab. Er entzifferte, was Dan mit einer Glasscherbe signalisierte:
„S-A-N-T-A-A-N-A. Das muß der Name einer der Galeonen sein.“
„Santa Ana“, sagte nun Thomas aufgeregt. „Ja, ich erinner mich, genauso hieß das Schiff, das vor zwei Jahren vorbeisegelte, ohne Begleitung allerdings.“
„Fein“, sagte Hasard. „Wir dürfen also annehmen, daß wir es mit der edlen Senora der Philippinen zu tun haben. Also los. Wenn die Schiffe so nahe heran sind, daß Dan ihre Namen lesen kann, müssen wir uns höllisch beeilen.“
Siri-Tong, Thorfin Njal und die anderen vom schwarzen Schiff begaben sich sofort in ihr Beiboot hinab und pullten zu „Eiliger Drache“ hinüber. Es brauchte nichts mehr abgesprochen zu werden, der Plan stand fest.
Die Posten, die auf Hawaii und den nördlichen Nachbarinseln saßen, sollten von ihrem jeweiligen Schiff „en passant“ an Bord genommen werden.
Das ganze Vorhaben stützte sich auf die Gewandtheit und Schnelligkeit, mit der die beiden Crews die Manöver abzuwickeln verstanden. Die Zeit lief plötzlich rasend schnell ab. Die „Santa Ana“ und ihre drei Beschützer, Kriegsgaleonen, schoben sich hart am Nordost mit beachtlicher Geschwindigkeit auf die Inseln zu.
Der schwarze Segler blieb etwas zurück, als die „Isabella“ die Bucht verließ. Während Hasard im Abstand von einer halben Meile an der Inselküste nach Süden segelte, hielt sich Siri-Tong mit ihrem Schiff dicht unter Land. Sie pirschte sich geradezu gefährlich nah am weißen Sandstrand entlang.
Dennoch riskierte sie nicht aufzulaufen. In den vergangenen Tagen hatten der Seewolf und die Korsarin die ganze Umgebung erkunden lassen. Sandbänke gab es in diesem Bereich nicht.
„Wir haben gründliche Vorarbeit geleistet“, sagte Hasard zu seinen Männern. „Jetzt wird sich zeigen, ob das ausreicht, um einen Verband wie diesen zu überfallen. Wenn wir irgendwelche Fehler begehen, werden wir sie mit dem Leben bezahlen.“
Lautlos glitten die beiden Schiffe dahin. Sie hatten nur wenig Zeug gesetzt und liefen, in Lee der Insel liegend, wenig Fahrt. Hasard wartete darauf, daß der spanische Verband sich hinter der südlichen Landzunge hervorschob.
Der Wolf lag auf der Lauer.
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