Seewölfe Paket 6. Roy Palmer
Hasard stutzte, er hatte etwas entdeckt. Er öffnete vorsichtig die Rohlederjacke des Bewußtlosen und zog aus einer Innentasche ein viereckiges Etwas hervor.
„Was ist denn das?“ fragte Carberry, der jetzt an Backbord mit seinem Boot heranlief. „Eine Mappe?“
„Ja, aus Schweinsleder“, erwiderte Hasard. „Sie hat einen doppelten Verschluß, scheint völlig wasserdicht zu sein. Das läßt sich auch aus dem Fett schließen, mit dem das Leder eingerieben ist.“ Er steckte die Mappe ein. „Ich werde sie später untersuchen.“
„Vielleicht ist der Plan für einen verborgenen Schatz darin“, sagte Matt Davies.
Carberry hatte es gehört, er grinste breit und spöttisch. „Glaubst du noch an Märchen?“
„Könnte doch sein“, erwiderte Matt aufgebracht.
„Finde ich auch“, fügte Jeff Bowie hinzu. Er saß neben Matt auf der Ducht.
Der Profos fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. „Ihr habt sie ja nicht alle. Na, lassen wir das.“ Er sah zu Hasard. „Sir – wir haben insgesamt acht Halunken aus der See gefischt – nein, mit dem dort sind es neun.“ Er wies auf den Schwarzbart. „Einige scheinen Spanier zu sein, der Rest sind Eingeborene.“
„Zurück zu den Schiffen jetzt“, befahl Hasard. „Wir fesseln alle Gefangenen, sperren sie ein und kehren zur Ankerbucht zurück.“
6.
In dieser Nacht tat keiner ein Auge zu. Es wurden Stunden der Verbundenheit und besiegelten Freundschaft mit den Polynesiern von Hawaii, Stunden des Berichtens, Erklärens, Verstehens.
Hasard lernte nun endlich Thomas Federmann kennen und war überwältigt von der Menschlichkeit und Klugheit dieses Mannes. Zuerst begaben sich die Seewölfe und Siri-Tong mit ihren Männern gemeinsam mit den neuen Bundesgenossen in das Dorf auf der großen Insel. Und hier wurden auch die neun gefangenen Piraten in eine solide Hütte gesperrt. Hasard erfuhr den Namen des Schwarzbärtigen – Ciro de Galantes.
Die Eingeborenen versammelten sich auf dem Platz zwischen den Hütten. Der zuckende Schein von, Lagerfeuern verlieh ihren Gestalten einen bronzenen Glanz.
„Ich stelle dir den Häuptling der vereinten Stämme von Hawaii vor“, sagte Federmann zu Hasard. „Es hat mehrere Dörfer auf der Insel gegeben, aber seit der Bedrohung durch die Piraten haben sich alle Bewohner hier zusammengedrängt.“
„Wäret ihr denn für den Fall eines Kampfes ausreichend bewaffnet gewesen?“ erkundigte sich Hasard.
„Wir haben Speere und Messer.“
„De Galantes und seine Kerle hätten euch im Handumdrehen überwältigen können. Ich begreife nicht, warum sie gewartet haben.“
„Es gibt hier wenig zu holen“, erwiderte Federmann ernst. „Keine materiellen Reichtümer, meine ich.“
„Und die Frauen?“
„Ja, natürlich wollten diese Halunken über sie herfallen und schlichen mit der Galeone um die Insel herum. Sie warteten auf einen günstigen Augenblick und weideten sich im übrigen an der Angst unserer Mädchen und Frauen.“
Federmann führte ihn zu einem großen, muskulösen Mann, der nach Hasards Schätzung um die Mitte Fünfzig sein mußte. Er stand im Zentrum des Platzes. Die Inselmenschen umringten ihn, Hasard und Thomas Federmann, und nun traten auch die Crews der beiden Schiffe hinzu. Die Szene geriet zu einem Zeremoniell von schlichter, jedoch ergreifender Feierlichkeit.
„Zegú, der König von Hawaii“, sagte Federmann. „Er spricht recht gut englisch und beherrscht auch ein bißchen Spanisch. Ich habe es ihm beigebracht.“
Zegú nickte, lächelte, hob die Hand und beschrieb eine Geste zu Siri-Tong hin. „Warum näherst du dich nicht? Zegú und seine Brüder haben großen Respekt vor Frauen. Du bist die Führerin des Schiffes mit den schwarzen Segeln, Perle der See, und wir wollen auch dir danken für alles, was du getan hast.“
Siri-Tong schob sich zwischen Hasard und den Deutschen. „Das ist sehr nett und höflich“, erwiderte sie sanft.
Federmann blickte sie überrascht an. Diese Frau war also nicht nur resolut und kaltschnäuzig.
„Aber ich habe in den Kampf gar nicht mehr eingegriffen“, fuhr die Korsarin fort. „Das Ganze ist Hasards Verdienst.“ Sie wies auf den großen, schwarzhaarigen Mann mit den eisblauen Augen. „Philip Hasard Killigrew – der Seewolf.“
Zegú blieb unbeirrt. „Ihr beide habt verhindert, daß die Piraten die Menschen von Hawaii auslöschten. Die Götter haben euch gesandt.“ Er verneigte sich tief. „Wir sind euch – ewig ergeben.“
Hasard wollte etwas entgegnen, aber in diesem Augenblick ertönte ein unterschwelliges Grollen. Es näherte sich, unterlief den Dorfplatz und brachte ihm zum Vibrieren. Zegú und seine Untergebenen fielen auf die Knie und hoben die Hände zum Himmel.
„Pele, allmächtige Göttin!“ rief der Häuptling aus. „Die Gefahr ist gebannt, und ich werde dein Orakel befragen – über das Schicksal, das diesen Übeltätern gebührt.“ Anklagend wies er mit der Hand auf die Hütte, in der sich die neun Gefangenen befanden. „Wenn du bereit bist, mich zu empfangen, so gib mir ein Zeichen, große Pele – nur ein einziges Zeichen noch!“
Thomas Federmann hatte die Worte, die der Häuptling in seiner Muttersprache ausgerufen hatte, gedämpft ins Englische übersetzt. Jetzt fügte er hinzu: „Pele – das ist die feuerspeiende Götting der Vulkane. Die Polynesier sind davon überzeugt, daß sie in den Bergkratern haust und brennenden Schleim ausspuckt, wenn sie wütend ist. Man kann ihnen diesen Glauben nicht nehmen.“
„Vulkane?“ wiederholte Bob Gray, der nicht weit vom Seewolf entfernt stand. „Das hat uns noch gefehlt.“
„Wie könnt ihr hier wohnen?“ fragte Siri-Tong.
„Die Vulkane sind schon lange nicht mehr aktiv gewesen“, entgegnete der Deutsche. „Und nach meinen Berechnungen wird Pele auch noch längere Zeit friedlich bleiben, höchstens mal ein bißchen grollen – so wie eben.“
„Berechnungen?“ Thorfin Njal trat näher. „Wie berechnest du denn so was? Und wie kannst du so sicher sein?“
Federmann lächelte. „Das setze ich dir bei Gelegenheit noch genauer auseinander, Wikinger.“
„Wir haben mit Vulkanen jedenfalls üble Erfahrungen gesammelt“, sagte Carberry. „Es hätte nicht viel gefehlt, und wir wären mitsamt dem Piraten O’Lear und seiner verdammten Galeone verschlungen worden.“
„Augenblick“, sagte Federmann. „Selbst wenn ein Ausbruch erfolgen sollte, wären wir an dieser Seite der Insel nicht gefährdet. Bei Eruptionen läuft die Lava immer zur anderen Seite der Insel ab – nach Nordosten.“
„Dorthin, wo der Strand schwarz ist“, vervollständigte Hasard. „Ja, das hört sich logisch und plausibel an. Im. übrigen solltet ihr euch wirklich nicht beunruhigen, Männer. Wie es scheint, ist Pele uns wirklich wohlgesonnen. Sie hat uns eben wohl nur eine gute Nacht wünschen wollen. Jetzt schweigt sie wieder.“
Thomas und die Rote Korsarin lachten leise, aber Carberry und ein paar andere schauten immer noch ziemlich verdrossen drein. Seegefechte und Entermanöver, Stürme und jede Art von Entbehrungen an Bord ihrer „Isabella“ waren etwas, das sie nicht mehr aus der Fassung brachte. Nur die verborgene, lauernde Gefahr, die sie nicht bewältigen konnten und die Anlaß zu Aberglauben und Spökenkiekerei gab – die konnten sie nicht leiden.
Pele gab kein Zeichen mehr, das Grollen war verebbt. Zegú und die anderen Eingeborenen erhoben sich wieder. Der König von Hawaii – wie er sich offenbar ohne jegliche Selbstüberschätzung nannte – trat wieder zu Hasard und Siri-Tong und sagte in seinem holperigen Englisch: „Wie können wir euch huldigen? Wie können wir unseren Dank am besten ausdrücken?“
„Ich