Seewölfe Paket 6. Roy Palmer
rief ihm zu: „Nun reg dich nicht auf, Dan. Das kann schon mal passieren. Hauptsache, wir haben den Bruder rechtzeitig entdeckt.“
„So was darf einfach nicht passieren“, sagte Dan. Wütend und mit geballten Händen blickte er zu der herangleitenden Galeone.
Big Old Shane hatte den Großmars jetzt erreicht und kletterte über die Segeltuchverkleidung. Er verlor nicht einen Augenblick die Ruhe.
Er grinste. „Gut, dann beantrage ich eben bei Hasard, daß du die Nacht und den ganzen morgigen Tag über in die Vorpiek gesperrt wirst.“
Dan hörte gar nicht hin. Er beugte sich weit vornüber und beobachtete aus schmalen Augen. Das schwache Büchsenlicht verwandelte den Schiffskörper drüben in ein graues Gebilde, in dem Einzelheiten kaum noch zu erkennen waren.
Trotzdem sichtete Dan jetzt etwas, daß sein Blut in Wallung brachte. „Deck!“ schrie er. „Die Galeone hat noch zwei zusätzliche Stückpforten im Bug, zu beiden Seiten des Vorstevens!“
„Verstanden!“ rief der Seewolf zurück. „Achtung, Männer, gleich geht der Tanz los.“
Oben im Großmars stieß Shane den jungen O’Flynn an und lachte. „Na bitte, du hast eben immer noch die schärfsten Augen.“
Auf dem Achterdeck hatten sich Ben Brighton und Old O’Flynn zu Hasard gesellt.
„Deswegen also das ganze Theater vor der Ankerbucht“, sagte Ben. „Zwei Gegner waren diesem Bastard zuviel, und er hat uns hierhergelockt, um wie ein Wolf über uns herzufallen.“
„Dabei schneidet er sich ins eigene Fleisch“, prophezeite der alte O’Flynn.
„Das würde ich nicht zu früh sagen“, entgegnete der Seewolf. „Unsere „Isabella“ ist keine eiserne Festung, und wir sind auch nicht unverwundbar.“
Er verstummte und hockte sich hinters Schanzkleid, denn drüben wummerten jetzt die beiden Buggeschütze der Galeone los. Die Mündungsblitze stachen wie Lanzen in das Halbdunkel. Mit feinem Heulen flogen die Kugeln heran. Die Distanz zwischen den Schiffen betrug nicht mehr als eine Viertelmeile.
Eine gute Schiffskanone mit ausreichend langem Rohr feuerte eine Seemeile weit.
Längst hatte Hasard seinem Rudergänger Pete Ballie Anweisungen gegeben, höher zu laufen. Die „Isabella“ luvte jetzt an und lag auf Steuerbordbug, aber sie bot dem Gegner immer noch genügend Angriffsfläche.
Die zwei Kugeln waren heran und bohrten sich tief in die Bordwand der „Isabella“. Es krachte und knirschte, Trümmer wirbelten, und unten auf der Kuhl schrie jemand auf.
Old O’Flynn fluchte wie der Leibhaftige. Hasard wurde von einem durch die Luft segelnden Holzstück getroffen – er kriegte es genau in den Rücken. Er krümmte sich vor Schmerzen, lag für ein paar Sekunden benommen auf den Achterdecksplanken, richtete sich dann aber wieder auf.
„Ben, Ed!“ schrie er. „Wieder abfallen!“
„Abfallen!“ brüllte Ben Brighton zurück.
„Und Segelfläche wegnehmen!“
„Weg mit dem Zeug“, wiederholte Carberry auf der Kuhl, und seine Stimme hatte etwa die Lautstärke wie die Trompeten von Jericho.
Die „Isabella“ legte sich wieder platt vor den Südost. Hasard taumelte den Backbordniedergang hinunter und lief am Ruderhaus vorbei. Ben Brighton wollte ihm etwas zurufen und fragen, ob er wieder wohlauf sei, unterließ es dann aber doch.
Der Seewolf war wieder fit, das sahen sie jetzt alle. Er flankte auf die Kuhl hinunter, warf einen huschenden Blick zum Feind hinüber, prüfte die Schußstellung der „Isabella“ und gab dann selbst den Befehl.
„Feuer!“
Acht Culvertinen standen an der Backbordseite der Kuhl. Die Geschützführer, unter ihnen Al Conroy, Blacky und Matt Davies, senkten die Lunten auf die Bodenstücke. Gierig fraß sich die Glut durch die pulvergefüllten Zündkanäle und traf auf das Zündkraut. Die Kanonen schienen sich aufzubäumen. Brüllend spuckten sie ihre Ladungen aus, rumpelten zurück und wurden von den Brooktauen gebremst.
Das typische Heulen erfüllte wieder die Luft, und dann waren es die Seewölfe, die triumphieren durften. Berstende Geräusche von der Gegnerseite verkündeten, daß die meisten 17-Pfünder-Kugeln gesessen hatten.
„Hurra!“ schrie Dan O’Flynn. „Wir haben ihnen den Bugspriet weggeputzt und den Bug angeknackst!“
„Heizt ihnen ein!“ johlte Old O’Flynn vom Achterdeck. Er schwang eine seiner Krücken und stellte sich dann hinter eine der Drehbassen, um aktiv mit einzugreifen, sobald sich die Gelegenheit bot.
„Nachladen“, befahl Carberry. Eigentlich war das überflüssig – die Seewölfe hatten die Backbordgeschütze schon wieder in Ladestellung gebracht und hantierten mit fliegenden Fingern.
„Nach Steuerbord anluven!“ rief der Seewolf. Er wollte nicht zu sehr nach Legerwall gedrückt werden, und außerdem hatte er vor, dem Feind jetzt die Steuerbordbreitseite zu entbieten.
Ein Blick nach achtern – das Ruderrad wirbelte unter Pete Ballies Fäusten. Hasard lief zu Carberry und konstatierte, wie ein paar Männer an die Brassen und Schoten stürzten.
Mitten in Holztrümmern und fetten Rauchschwaden stand der Profos wie eine eherne Bastion. Der Seewolf war bei ihm angelangt.
„Der Hundesohn geht in den Wind“, meldete Dan O’Flynn.
„Soll er“, grölte Carberry. „Wir spielen also beide Brummkreisel. Wollen doch mal sehen, wer schneller … Sir, was ist denn los?“ Er hatte Hasard erst jetzt neben sich entdeckt.
„Ich habe eben einen Schrei gehört, Ist jemand verletzt?“
„Ja, Batuti.“
Wieder der Gambia-Neger! Hasard stieß einen Fluch aus und hetzte in der von Carberry angegebenen Richtung. Da sah er den schwarzen Goliath liegen – nicht weit von der rechten Kante der Kuhlgräting entfernt. Der Kutscher war schon zur Stelle, hatte Verbandszeug mitgebracht und verarztete den Mann.
Bei der Schlacht gegen die Sabreras-Flotte hatte Batuti auch Federn lassen müssen. Fast wäre er mit dem Seewolf zusammen aus dem Vormars abgestürzt und hätte sich dabei sämtliche Knochen im Leib gebrochen.
Hasard kauerte sich neben ihn hin. „So ein verdammtes Pech, Batuti. Wo hat es dich erwischt?“
„Bein“, sagte Batuti grinsend. „War aber nur blöder Holzsplitter. Hat Kutscher schon wieder ’rausgezogen.“
„Das ist wirklich glimpflich abgegangen“, kommentierte jetzt auch der Kutscher.
Hasard atmete auf. „In Ordnung. Ich werde aber trotzdem einen Ersatzmann für dich in den Vormars abkommandieren, Batuti. Gary Andrews beispielsweise …“
Der Gambia-Neger fuhr hoch. „Ssörr!“ sagte er mit rollenden Augen. „Verdammich – Batutis Platz am Vormars. Will auf der Stelle tot umkippen, wenn ich nicht Pfeile abschießen kann.“
„Kannst du denn überhaupt aufrecht stehen?“ fragte Jasard.
Sofort erhob sich der schwarze Mann. Er stand stramm und verzog keine Miene, obwohl ihm die Fleischwunde noch weh tun mußte, und zwar nicht unerheblich.
Von achtern ertönte jetzt das Böllern der beiden Drehbassen. Die „Isabella“ hatte so weit angeluvt, daß Ferris und Old O’Flynn diese kleinen Geschütze hatten bedienen können. Ein Knirschen drüben auf dem Gegnerschiff und das Jauchzen des Alten verkündeten gleich darauf, daß sie nicht danebengeschossen hatten.
Batuti blickte nach oben. Es war noch dunkler geworden, so daß der Brandpfeil, den Bug Old Shane jetzt von der Bogensehne schnellen ließ, wie ein Fanal durch den Himmel stieß.
„Ssörr“, sagte Batuti fast wehmütig.
„Also gut, ab mit dir“, sagte der Seewolf.
Der