Seewölfe Paket 6. Roy Palmer

Seewölfe Paket 6 - Roy Palmer


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Dan O’Flynn aus dem Großmars.

      „Irgend etwas stimmt da nicht“, sagte Hasard. „Wir zeigen natürlich auch keine Flagge. Damit geben wir ihm ebenfalls ein Rätsel auf, und er müßte schon ein Narr sein, wenn er uns direkt in die Fänge segelte.“

      „Vielleicht ist er nicht ganz richtig im Kopf“, meinte Old O’Flynn. „Er müßte uns doch längst gesichtet haben.“

      „Das hat er auch, du kannst Gift darauf nehmen“, sagte der Seewolf. Er steckte das Spektiv weg, trat an die Five-Rail und rief: „Ed, Schiff klar zum Gefecht!“

      „Klar zum Gefecht – aye, aye, Sir!“

      „Ben, Bug- und Heckanker lichten lassen.“

      „Bug- und Heckanker lichten, Sir!“

      Hasarf legte den Kopf in den Nakken. „Dan, du signalisierst zum schwarzen Schiff hinüber. Siri-Tong soll sich bereithalten, aber erst eingreifen, wenn ich ihr das Zeichen dazu gebe.“

      „In Ordnung!“

      Der schwarze Segler lag gut eine Kabellänge von der „Isabella“ entfernt und war damit außer Rufweite. Der besseren Manövrierfähigkeit wegen hatte es der Seewolf für richtiger gehalten, wenn sie in der geräumigen Bucht auf Distanz blieben.

      Hasard spähte wieder zu der Galeone hinüber. Ihr Name war am Bug nicht zu lesen. Der Kapitän schien großen Wert darauf zu legen, anonym zu bleiben.

      „Ben“, sagte Hasard. „Falls wir auslaufen müssen, halte ich es für das beste, wenn Siri-Tong uns den Rücken deckt. Die Galeone könnte Verbündete haben, die die Insel auf der Ostseite runden und dann versuchen, uns von achtern anzufallen.“

      „Wir müssen auf alles gefaßt sein“, entgegnete Ben.

      Ja, das müssen wir, dachte Hasard. Ruhig blickte er durchs Spektiv. Die Galeone lag hart am Nordost. Von ihrer Armierung war nicht viel zu erkennen, aber er nahm fest an, daß es sich um einen Kriegssegler handelte. Und solche Schiffe waren selten allein.

      Auf der „Isabella“ war hektisches Leben – die Kanonen rollten rumpelnd aus, wurden in Ladestellung gezurrt und mit Pulver und Blei gefüllt. Bill, der Schiffsjunge, streute weisungsgemäß Sand auf dem Oberdeck aus, der Kutscher stellte Kübel und Pützen mit Seewasser zum Befeuchten der Wischer und zum Löschen möglicher Feuer bereit. Ein Teil der Crew hatte Handspaken in die Spille gesteckt und stemmte sich dagegen. Die Trossen bewegten sich knarrend, langsam schwebten die beiden Anker hoch. Carberry wetterte und war in seinem Element. Unter seinen geharnischten Flüchen und liebevollen Kosenamen hangelte eine kleine Gruppe Männer affengewandt in den Wanten hoch, um für die Segelmanöver bereit zu sein.

      Als die fremde Galeone nur noch eine halbe Meile von der Küste der Insel entfernt war, waren die „Isabella“ und „Eiliger Drache“ für den Eventualfall gerüstet.

      Hasard nahm wahr, wie drüben im Vormars des heranrauschenden Freimasters Fahnen geschwenkt wurden.

      Dann rief Dan auch schon: „Er signalisiert! Wir sollen uns zu erkennen geben!“

      „Die spanische Flagge hissen“, befahl Hasard. „Die des spanischen Königs mit den Wappenzeichen von Kastilien und León!“

      Der bunt bestickte Stoff glitt in den Großtopp hoch und flatterte munter im Wind. Hasard verschränkte die Arme vor der Brust. „Jetzt muß er Farbe bekennen. Wir setzen ihm die Pistole auf die Brust. Setzt das Großsegel und die Fock, Männer, wir segeln mit Kurs Nordwest gemütlich aus der Bucht!“

      Die „Isabella“ glitt auf die offene See hinaus, während Siri-Tong mit ihrem Schiff noch in der Bucht verharrte. Hasard spähte zu dem Fremden hinüber. Entpuppte der sich als echter Spanier, so hielt er, der Seewolf, immer noch einge Trümpfe in der Hinterhand. Er konnte sich und die meisten seiner Männer ruhigen Gewissens als „geborene Spanier“ ausgeben. Die Sprache des Feindes beherrschten sie alle fast, perfekt, und den Gegner auf diese Art zu täuschen, war auf der „Isabella“ schon fast so etwas wie eine Tradition.

      Aber zu diesem Mittel brauchte Hasard nicht zu greifen. Es kam anders.

      Die fremde Galeone fiel plötzlich ab und legte sich platt vor den Nordostwind. Sie präsentierte den Seewölfen ihre Backbordseite.

      Hasard zählte die Stückpforten. „Zwölf“, sagte er. „Zwei Dutzend Geschütze führt unser Freund also, die Drehbassen oder Serpentinen nicht mitgerechnet. Eine kleine schwimmende Festung. Aber wer er ist, wissen wir immer noch nicht.“

      Die Stückpforten der Galeone standen offen, die Mündungen der Kanonen schienen hämisch herauszugrinsen. Eine, die vorderste, spuckte plötzlich weißen Qualm aus. Er puffte hoch, das Geschoß heulte heran – Hasard und seine Männer gingen in Deckung.

      Keine zehn Yards vor dem Bug der „Isabella“ stieg eine imposante Wassersäule hoch. Oben fächerte sie auseinander, dann fiel sie zischend in sich zusammen.

      „Siebzehnpfünder!“ rief Al Conroy. „Da bin ich ganz sicher.“

      „Und er hat Zielwasser getrunken, der Don!“ brüllte Carberry.

      „Wer sagt dir denn, daß er ein Don ist, Ed?“ fragte Big Old Shane. Er stand unten auf der Kuhl dicht vor der Querwand des Achterkastells und hielt schon Pfeil und Bogen bereit. Wenn es zum Gefecht kam, wollte er schnell sein und wie der Wind in den Großmars aufentern.

      „Ob Don oder nicht – den Arsch soll er sich versengen!“ brüllte der Profos.

      „Er gibt sich immer noch nicht zu erkennen“, sagte der Seewolf.

      Dan O’Flynn lehnte sich aus dem Großmars, legte die Hände als Schalltrichter an den Mund und rief: „Er luvt an und will mit Nordwestkurs an den Wind gehen und abhauen!“

      „Das verstehe ich nicht“, sagte Ben Brighton. „Erst fordert er uns heraus, dann kneift er.“

      Hasard antwortete noch nicht, er spähte weiterhin durch das Spektiv. Als er dann aber sah, wie die Galeone tatsächlich anluvte und davonzog, erwiderte er: „Vielleicht denkt er, daß er draußen auf See leichteres Spiel mit uns hat. Tun wir ihm den Gefallen. Nehmen wir die Verfolgung auf.“

      Er brauchte den Kurs um keinen Strich zu korrigieren. Während die Galeone ihnen das reich mit Ornamenten geschmückte Heck zuwandte, behielt Hasard strikt die Richtung bei und steuerte auf ihr Kielwasser zu.

      Er wollte es jetzt genau wissen.

      Was führte dieser geheimnisvolle Fremde im Schilde?

      Ferris Tucker, der auf der Kuhl beim Laden und Richten der Geschütze mitgeholfen hatte, stieg gerade wieder aufs Achterdeck und wandte sich den beiden Drehbassen zu.

      „Ferris!“ rief Hasard ihm zu. „Gib ein Signal an Siri-Tong. Sie soll noch in der Bucht bleiben.“

      Ferris zeigte klar, und der Seewolf drehte sich zur Kuhl hin. „Ed, Vollzeug setzen!“

      „Aye, Sir!“

      Die Crew löste die Reffleinen von Großmars-, Vormars- und Kreuzsegel, und auch die Blinde unter dem Bugspriet wurde nun gesetzt. Mit prallem Zeug lag die „Isabella“ am Wind und krängte leicht nach Backbord. Ihr Bug teilte die See wie ein Pflug, sie nahm mehr und mehr Fahrt auf.

      Die Jagd hatte begonnen.

      „Ein schönes Schiff“, sagte Hasard noch einmal, als er erneut zu dem Unbekannten blickte. „Aber abhängen kann es uns nicht.“

      Die Sonne stand als blutroter Riesenball tief über der Wasserfläche, als sie die große Insel passiert hatten. Jetzt geschah etwas Merkwürdiges. Der fremde Kapitän ging mit seinem Schiff durch den Wind und segelte nach Südosten. Auf diese Weise fuhr er genau in die Passage, die sich zwischen der großen Insel und ihren nördlichen Nachbarn ausdehnte.

      Hasard war gezwungen, es ihm nachzutun. Für kurze Zeit lagen die Schiffe sich gegenüber, und er rechnete damit, daß die Galeone nun das Feuer eröffnete. Aber er hatte sich getäuscht.


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