Seewölfe Paket 6. Roy Palmer
sie selbst. Ihre Begleiter waren die fünf Wikinger, der Boston-Mann und Mike Kaibuk. Das zweite Boot war unter anderem mit den beiden Portugiesen, Muddi und Tammy bemannt.
Juan hatte bis zur Rückkehr der Roten Korsarin das Kommando auf „Eiliger Drache über den Wassern“ übernommen. Im Vormars hockte noch immer Missjöh Buveur.
Dan O’Flynn war als Ausguck auf der „Isabella“ zurückgeblieben, obwohl er natürlich lieber an der Erforschung der Insel teilgenommen hätte. Die Rolle des Kapitäns hatte während Hasards Abwesenheit Ben Brighton inne.
Hasard sprang als erster übers Dollbord seines Bootes an Land. Ihm folgten Carberry, Shane, Ferris, Blake und Batuti. Gemeinsam zerrten sie das Boot durchs Flachwasser auf den Sandstrand. Knirschend schob sich der Rumpf auf den Untergrund.
Siri-Tong war nun auch eingetroffen. Nach ihr landeten die anderen beiden Boote. Siri-Tong lief zu Hasard. Sie trug ihre weißleinenen Schifferhosen und eine dazu passende weiße Bluse, die zwei Knöpfe weit offenstand.
Dicht vor dem Seewolf blieb sie stehen und lächelte ihn an.
Die Brandung rollte gegen das Ufer an, weiße Schaumstreifen umspülten ihre Stiefel. Große Wellen umkränzten die Insel von allen Seiten, nur hier, in der Bucht, waren sie etwas flacher. Ihr Rauschen klang unterschwellig und bildete die tönende Kulisse bei der kurzen Unterredung der beiden Kapitäne.
„Da wären wir also“, sagte Siri-Tong. „Ist es nicht herrlich hier? Ich schlage vor, wir bleiben ein paar Tage auf der Insel und erholen uns von der Langeweile der Überfahrt.“
„Erst mal schauen wir uns sehr genau um“, erwiderte Hasard. „Carberry meint, der Frieden täusche.“
Siri-Tong sah den Profos der „Isabella“ an. „Ed, warum denn so sauertöpfisch? Es ist doch nicht gesagt, daß wir immer und überall Verdruß kriegen.“
„Äh, Madame – wir haben doch unsere Erfahrungen, oder? Also, ich gebe mich lieber keinen Hoffnungen hin. Wenn dann doch alles in Ordnung ist, kann ich mich immer noch freuen.“ Er kratzte sich am Rammkinn und überlegte, ob das eine gute Rede gewesen sei. Kraftausdrücke waren nicht darin enthalten, aber trotzdem war er nicht ganz sicher.
„Trennen wir uns“, sagte der Seewolf. „Wir sind ein starker Trupp und können drei Parteien bilden. Die eine marschiert nach Norden, die zweite nach Süden. Die dritte Gruppe nimmt sich das Inselinnere vor. In spätestens drei Stunden treffen wir uns wieder hier bei den Booten.“
„Ich bleibe diesmal bei dir“, erklärte Siri-Tong. „Thorfin, du suchst dir neun Männer aus, die dich begleiten, der Rest geht mit dem Seewolf und mir.“
„Ed, du wählst auch deine Leute aus und übernimmst die Führung der dritten Gruppe“, ordnete Hasard an. „Ihr wandert nach Osten und nehmt den höchsten Berg als Markierungspunkt. Thorfin Njal und seine Männer wenden sich nach Süden. Wir anderen gehen jetzt nach Norden los.“
„Dann mal los“, brummelte der Profos. „Bin gespannt, wann wir auf den ersten Kannibalen oder das erste Ungeheuer stoßen.“
Sir John hatte sich ihm wie üblich angeschlossen und hockte auf Carberrys linker Schulter. Jetzt schien er sich die Sache aber anders überlegt zu haben. Mit einem heiseren Laut hob er ab und flog zur „Isabella“ zurück.
Hasard und die Rote Korsarin schritten an der Spitze der Nord-Gruppe dahin. Zunächst hielten sie sich in unmittelbarer Ufernähe. Etwas später drangen sie auf vier-, fünfhundert Schritt Distanz von der Küste ins Innere ein und bahnten sich einen Weg durchs Dickicht.
„Ein Glück“, sagte Ferris Tucker. „Ein richtiger Urwald ist das hier nicht. Man gelangt voran, ohne sich einen Pfad mit der Axt hauen zu müssen.“
„Warte ab“, erklärte Shane. „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“
„Fängst du jetzt auch wie Carberry an?“
„Ach, Unsinn, ich meine doch nur …“
Sie hatten den Rand einer Lichtung erreicht, und der Seewolf blieb plötzlich stehen und hob die Hand. Sofort schwiegen die Männer. Sie duckten sich und zückten ihre Waffen. Siri-Tong hielt ihre wertvolle, reich verzierte Radschloßpistole und spannte langsam den Hahn. Es knackte leise.
Hasard trat auf die Lichtung. Er bückte sich und bedeutete den anderen, zu ihm zu kommen. Er wies auf Spuren und Relikte auf dem Untergrund.
„Jemand hat ein Feuer angezündet und ein Wildbret zubereitet“, sagte er leise. „Asche, ein paar kleine Steine, Knochenreste, die Abdrücke nackter Fußsohlen.“
Blacky kniete sich hin und las einen der Knochen auf. „Sind das Menschenknochen? Unser Profos würde triumphieren und sagen: ‚Na bitte, ich habe also doch recht gehabt‘!“
Shane nahm ihm das weiße Gebilde ab. „Rede doch keinen Blödsinn. Das sieht doch ein Kind, daß das ein Tierknochen ist.“
„Zwei Menschen sind hier gewesen“, erklärte der Seewolf. „Wahrscheinlich ein Mann und eine Frau.“
„Wir müssen von jetzt an höllisch aufpassen“, raunte Matt Davies. „Wahrscheinlich gibt’s hier haufenweise Wilde. Die könnten uns mit Blasrohrpfeilen eindecken.“ Er blickte sich nach allen Seiten um.
Siri-Tong hatte den Platz einer ziemlich ausgiebigen Inspektion unterzogen. Jetzt sagte sie lächelnd: „Wenn ihr mich fragt, hier hat ein Stelldichein stattgefunden.“
Hasard musterte sie überrascht. „Worin siehst du denn das?“
„Nun, ich bin eine Frau, ich spüre so etwas. Die beiden haben ein Tier erlegt, das Feuer angezündet, ausgiebig zu Abend gespeist und dann hier die Nacht verbracht. Fern von ihrem Dorf. Vielleicht sind sie noch sehr jung, und ihre Eltern haben etwas gegen die frühreife Liebe. Oder es handelt sich um einen Fall von Ehebruch.“
„Und das alles lesen Sie aus den Spuren hier, Madame?“ sagte Blacky verdutzt.
Hasard erhob sich. „Na schön, wir können eine Menge in unsere Entdeckung hineindenken. Aber wie wir es auch drehen und wenden, die Gefahr bleibt. Wir sind nicht allein auf der Insel. Es wäre gut, wenn wir die anderen verständigen könnten, aber wir sind zu weit von ihnen entfernt.“
Sie schritten weiter. Kurze Zeit später stießen sie auf einen kleinen Flußlauf, der sich zur See hin verbreiterte und an beiden Ufern von Halmen bewachsen war. In einer Ausbuchtung des südlichen Ufers gewahrte der Seewolf die Konturen eines länglichen Gegenstandes. Wieder gab er seinen Freunden ein Zeichen, wieder duckten sie sich und verwuchsen mit dem alles verdekkenden Dickicht.
Hasard pirschte auf die Flußbucht zu, teilte die Halme mit den Händen und blickte auf zwei Auslegerboote, die zum Greifen nah vor ihm vertäut lagen. Nur das eine hatte er von seinem bisherigen Standort aus sehen können, das zweite lag halb unter Sträuchern versteckt.
Eine Hand legte sich auf seinen Unterarm.
Siri-Ton war neben ihm. „Das wird ja immer hübscher“, wisperte sie. „Wenn das so weitergeht, treffen wir bald auch auf das Dorf dieser Eingeborenen.“
„Und auf unser Liebespärchen.“
„Ach, hör doch auf.“ Sie lächelte und schob sich näher an ihn heran.
Plötzlich ertönte hinter ihnen ein feiner, fiepender Ton. Hasard legte den Zeigefinger auf die Lippen. Sie kauerten sich hin und bewegten sich nicht. Hasard bedeutete Siri-Tong durch ein Zeichen, daß einer seiner Männer diesen Laut ausgestoßen hatte – als Warnung.
Und dann knackte es auch schon im Unterholz. Irgend jemand oder irgend etwas brach durch die Büsche wie ein Stier und gab sich nicht die geringste Mühe, zu schleichen.
Blacky, der den Warnlaut von sich gegeben hatte, flüsterte: „Allmächtiger, hier scheint es doch Ungeheuer zu geben!“
Langsam brachte Siri-Tong ihre Pistole in Anschlag. Hasard zielte auch bereits mit seiner doppelläufigen Reiterpistole auf die Stelle, an dem