Seewölfe Paket 6. Roy Palmer

Seewölfe Paket 6 - Roy Palmer


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Wie viele Sprachen kennst du eigentlich?“

      „Fünf oder sechs. Aber mein Hauptfach ist die Malerei.“

      „Malerei? Was malt man denn auf so einer Insel?“

      Federmann wollte eine Antwort darauf geben, aber die Rote Korsarin setzte in diesem Moment das Spektiv ab und wandte sich an ihn.

      „Hör mal zu, du Schlauberger“, erklärte sie nicht besonders freundlich. „Wenn du schon alles weißt, dann sag mir, ob es einen Kanal oder eine Passage nördlich der Insel dort gibt.“ Sie wies auf das Eiland, hinter dem der Feuerschein lohte und das Grollen der Geschütze zu vernehmen war. Der Schimmer schien sich immer weiter in nördlicher Richtung zu verlagern.

      „Die Eingeborenen nennen die Insel Maui“, erwiderte der Deutsche. „Wir können westlich an ihr vorbeisegeln, an Kahoolawe und Lanai vorbei, schwenken dann nach Nordosten und befinden uns im Pailolo-Kanal. Auf diese Weise fallen wir Ciro de Galantes in den Rücken.“

      „Ciro de Galantes?“ wiederholte sie verwundert.

      „Der Piratenkapitän.“

      „Ach so“, sagte sie, und fuhr dann in ironischem Tonfall fort: „Pailolo, das klingt lustig. Dieser Hund von einem Spanier wird gleich seine helle Freude an uns haben.“

      Thomas Federmann nahm den Blick von der schönen Frau und schaute nach rechts, zu Thorfin Njal. Der grinste von einem Ohr zum anderen. Er sagte nichts, wußte aber ganz genau, was der Deutsche äußern wollte. Und, verdammt noch mal, es stimmte ja auch: Ein so resolutes, entschlossenes Frauenzimmer wie die Rote Korsarin gab es auf dieser Welt nicht noch einmal!

      Siri-Tong hatte wieder das Fernrohr ans Auge gehoben.

      „Ein Schiff scheint lichterloh zu brennen“, sagte sie leise. „Hoffen wir, daß es nicht die ‚Isabella‘ ist. Gnade Gott diesen elenden Piraten, wenn dem Seewolf etwas zugestoßen ist.“

      Federmann schwieg, aber er hatte wieder etwas von dem, was mit dem Charakter und Lebensbild dieser Frau zusammenhing, begriffen. Sie liebte den Seewolf, diesen Sohn des Godefroy von Manteuffel, allem Anschein nach.

      Als das schwarze Schiff die Insel Lanai Backbord achteraus gelassen hatte und ganz hart an den Nordost ging, öffnete sich der Blick auf den Pailolo-Kanal. Im Norden lag noch eine Insel.

      Federmann wies mit der Hand hinüber und sagte: „Sie heißt Molokai. Und weiter nordwestlich befindet sich Oahu, wo die Piraten des de Galantes ihren Schlupfwinkel haben.“

      „Schiff voraus!“ schrie Missjöh Buveur. „Es brennt wie ein Weihnachtsbaum! Das ist nicht die ‚Isabella‘!“

      Die Männer begannen zu grölen und zu johlen.

      „Wenn er sich geirrt hat, lasse ich den Franzosen auspeitschen“, zischte Siri-Tong. Sie hielt angestrengt Ausschau. Das Feuer an der östlichen Seite der Passage spendete genügend Licht, so daß sie einen Begriff von der Bauweise der Galeone und der Höhe der Masten erhielt.

      „Nein, das ist wirklich nicht die ‚Isabella‘“, sagte sie aufatmend.

      Der Besanmast der Piraten-Galeone knickte soeben knackend und prasselnd nach Steuerbord weg. Er stürzte in die See. Das Zischen, das das verlöschende Feuer bei der Berührung mit den Fluten verursachte, war bis zum schwarzen Schiff hin zu vernehmen.

      „Wir verlegen ihnen den Fluchtweg nach Westen“, sagte Siri-Tong. „Jetzt bin ich gespannt, was sie tun. Im Osten scheint die ‚Isabella‘ zu stehen. Bleibt noch die nördliche Richtung. Aber das Schiff ist eine flügellahme Ente. Bevor es sich auf die offene See verdrücken kann, haben wir es erreicht – und geben ihm den Rest.“

      Soweit kam es aber gar nicht mehr.

      „Die ‚Isabella‘!“ schrie Missjöh Buveur. Seine Stimme überschlug sich. Das Kanonenfeuer war verstummt. Auf der feindlichen Galeone hatten der Kapitän und seine Mannschaft alle Hände voll damit zu tun, die Flammen irgendwie zu ersticken. Sie kippten Wasser und Sand in das Feuer, aber es war eine Sisyphusarbeit, denn der Brand griff schneller um sich, als sie ihn löschen konnten.

      Sie konnten seiner nicht mehr Herr werden.

      Um die vielen Verwundeten kümmerte sich Ciro de Galantes schon gar nicht mehr. Wütend rannte er auf dem Achterdeck auf und ab und trat mit den Füßen züngelnde Flammen aus. Einem verletzten Polynesier, der hilfesuchend die Hände nach ihm ausstreckte, versetzte er einfach einen Stoß. Der Mann kippte rücklings über das Schanzkleid und stürzte außenbords.

      Blinder Haß verzerrte de Galantes’ Züge. Er war ein großer, kompakt gebauter Mann mit vollem schwarzem Haar und dichtem Vollbart. Er trug noch Teile seiner Uniform, denn er war Bootsmann auf einem spanischen Schiff gewesen. Seine Beine steckten in langschäftigen Stiefeln, seine Hosen waren gestreift und hatten die typische Kürbisform. Nur hatte er auf den Helm und das Wams verzichtet und trug statt dessen eine Jacke aus grob gegerbtem Leder. Sein Haupt war unbedeckt. Die schwarzen Haare flatterten im Wind.

      De Galantes sah, wie sich die „Isabella“ auf ihn zuschob, und er schüttelte in ohnmächtiger Wut die Faust gegen sie.

      „Fahrt zur Hölle!“ schrie er. „Der Teufel soll euch alle holen, ihr elenden Hunde!“

      Dieser fromme Wunsch ging aber nicht in Erfüllung, er schien von dem gegnerischen Schiff gleichsam abzuprallen und sich wie eine Faust gegen ihn, de Galantes, zu wenden.

      Es war die Stunde der Vergeltung für alle seine Schandtaten.

      Entsetzt stellte der Spanier fest, daß es keinen Ausweg mehr gab. Die Galeone, die er so großartig hatte überrumpeln, entern und ausplündern wollen, holte mehr und mehr auf und schnitt ihm das Schlupfloch nach Norden und Osten ab.

      Und im Westen, jenseits des Inselsunds, zeichnete sich der unheimliche Schatten eines großen Schiffes ab. Da war er wieder, der rätselhafte Viermaster. Er eilte seinem Bundesgenossen zu Hilfe.

      „Wir sind verloren“, sagte er.

      Auf der „Isabella“ grollten jetzt wieder die Kanonen. Instinktiv duckte sich de Galantes. Seine Galeone erzitterte unter den Einschlägen der Kugeln. Die Männer brüllten vor Wut und Angst, aber es fand sich kaum noch einer, der an ein Geschütz stürzte, es gegen den Feind richtete und zündete.

      „Feuer!“ schrie de Galantes.

      Niemand hörte auf ihn. Die Verwundeten wälzten sich auf der Kuhl, suchten verzweifelt nach Deckung, nach Hilfe, nach Linderung der Schmerzen. Ihr Geschrei wurde zu einem grausigen Chor, dessen Lied in de Galantes’ Ohren hallte.

      „Aufhören!“ brüllte er.

      Ein besonders dicker Pfeil sirrte heran und bohrte sich dicht neben dem Kolderstock in die Planken. Der Rudergänger stöhnte auf. Er wollte seinen Posten verlassen, aber er schaffte es nicht mehr.

      Eine Explosion hieb mit immenser Wucht auf das Schiff ein und fetzte ein Loch in die Planken. Der Kolderstock war plötzlich nicht mehr da, der Rudergänger ebenfalls nicht mehr. Ciro de Galantes war zu Boden gegangen, richtete sich jetzt wieder auf und taumelte zum Schauplatz des schrecklichen Geschehens.

      „Was war das?“ stieß er immer wieder verwirrt aus. „Was? Stehen die mit dem Teufel im Bund?“

      Big Old Shane hatte einen seiner pulvergefüllten Brandpfeile abgefeuert. Zum erstenmal schloß de Galantes böse Bekanntschaft mit dieser „Spezialität“ der Seewölfe, aber erst einige Zeit später fand er heraus, was für eine Höllenwaffe das war.

      Zu logischen Überlegungen gelangte er im Augenblick nicht.

      Seine Leute hetzten in heller Panik über Deck, sprangen über das Schanzkleid und hechteten in die See. Der Spanier hastete ihnen nach. „Hierbleiben! Das ist Meuterei! Fahnenflucht! Ich werde euch auspeitschen – am Hals aufhängen …“

      Es nutzte nichts. Wer wie durch ein Wunder noch unversehrt geblieben war, suchte sein Heil in der Flucht, und auch diejenigen Verwundeten, die wenigstens noch kriechen konnten, retteten


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