Seewölfe Paket 6. Roy Palmer
Zegú, wir könnten auch hier in deinem Dorf den Freundschaftspakt feiern, aber von Bord der ‚Isabella‘ aus behalten wir die See besser im Auge. Dort fühlen wir Seewölfe uns sicherer.“
„Dein Wunsch ist mir Befehl“, antwortete Zegú.
Er klatschte zweimal in die Hände. Sofort setzte emsiges Treiben ein. Die Frauen trugen Krüge mit Getränken und Körbe mit Eßwaren auf, die Männer schleppten frisch erlegtes Wildbret an Tragestöcken heran. So bildete sich eine Prozession aus lachenden, fröhlichen Menschen, die sich schließlich durchs Dickicht zur Ankerbucht der Schiffe hin in Marsch setzte.
Der Profos schritt neben dem Kutscher, stieß diesen mit dem Ellenbogen an und raunte ihm zu: „Übrigens, was die Sache mit der Proviant- und Trinkwasserbeschaffung betrifft, so brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu bereiten.“
„Wirklich nicht?“
Carberry wies mit dem Daumen auf die Frauen, die hinter ihnen hertrippelten und ihre Lasten auf den Köpfen balancierten. „Da, siehst du nicht, wie ich so was organisiere?“
Das große Festbankett auf der „Isabella VIII.“ wurde keineswegs zu einem herrlichen Besäufnis, wie man es sich bei Nathaniel Plymson daheim in der „Bloody Mary“ von Plymouth vorstellen mochte – nein, das hier, in dieser lauen Tropennacht, das war etwas ganz anderes. Ein Traum voll exotischem Zauber, das war die treffende Bezeichnung.
Die Getränke, die die Eingeborenen servierten, waren mild und hatten wenig Alkoholgehalt. Wein, Bier, Whisky und Rum aus den Beständen des Seewolfs und der Roten Korsarin flossen auch, aber es ließ sich keiner über den Pegelstand des Verträglichen vollaufen. Nicht einmal Missjöh Buveur. Und das war schon ein kleines Wunder.
Vielleicht lag es an der Anmut der Mädchen. Sie kredenzten nicht nur Flüssiges aus Krügen und Fisch, Wild und Früchte, sie tanzten auch zu den Klängen einfacher Instrumente, die von ein paar jungen Männern zum Tönen gebracht wurden. Die Polynesier waren musikalische, künstlerisch hochbegabte Menschen. Ihr Gemüt war ausgeglichen und von vollkommener Harmonie.
Carberry saß mit verzücktem Gesicht auf der Kuhlgräting und schaute den Tänzerinnen zu.
„Mann, ich kann das gar nicht fassen“, sagte er zu Dan O’Flynn. „So was Hübsches hier auf dem Oberdeck unserer ‚Isabella‘ – das ist das Allergrößte …“
„Ja, so etwas sehen und sterben, was, Ed?“ meinte Dan.
Arwenack kauerte hinter ihm auf der Holzroste und hatte einen noch verträumteren Gesichtsausdruck als der Profos. Sogar Sir John sah entrückt aus. Er hockte in den Hauptwanten und rührte sich nicht mehr vom Fleck.
„Sterben, wieso das denn?“ fragte Carberry.
„Ach, nur so. Irgendwer hat den Spruch mal aufgebracht.“
„Versteh ich nicht. Ich fühle mich so jung wie Bill, unser Moses.“
„Na, nun übertreib mal nicht.“
Eins der Mädchen näherte sich mit schwingendem Schritt. Sie bückte sich, hängte dem verblüfften Profos einen Kranz aus Blumen um und trippelte wieder davon. Carberry fuhr ganz behutsam mit der Hand über die frischen Blumen. Man traute ihm soviel Feinsinn gar nicht zu.
Er nahm einen Schluck Wein aus seinem Becher, seufzte und sagte: „Das ist schöner als Weihnachten und Ostern zusammen, Leute.“
Hasard, Siri-Tong, Shane, Ben Brighton, Ferris Tucker, Old O’Flynn, Thorfin Njal, Juan, der Boston-Mann und ein paar andere saßen auf dem Achterdeck bei Zegú und Thomas Federmann. Auf Hasards Drängen hin hatte Thomas über seine Vergangenheit zu sprechen begonnen.
„Ich bin auf abenteuerlichen Wegen hierhergelangt“, begann er. „Das ist eine sehr lange Geschichte. Die Kurzfassung lautet folgendermaßen: Als ich aus verschiedenen Gründen nicht länger in Neu-Granada bleiben wollte, schlich ich mich auf dem Landweg bis nach Panama und dort, als blinder Passagier auf ein Schiff. Das war eine Galeone, die mit Kurs auf die Philippinen auslief.“
„Etwa die Manila-Galeone?“ fragte Ben Brighton.
„Du meinst – die ‚Nao de China‘?“
„Ja, die.“
„Nein“, erwiderte Thomas. „Auf jenem Schiff befanden sich kaum Güter, von Wertvollem ganz zu schweigen. Vorwiegend diente es dazu, Menschen von Neuspanien nach Manila umzusiedeln. Also, unterwegs wurde ich entdeckt und von dem strengen Kapitän in einer Nußschale ausgesetzt. Wäre ich nicht durch Zufall auf diese Insel zugetrieben, wäre es mit mir aus gewesen. Die Eingeborenen empfingen mich auf See wie einen Gast, luden mich in eins ihrer Auslegerboote um, und seitdem lebe ich hier.“
„Wie lange ist das her?“ fragte Hasard.
„Drei oder vier Jahre. Ich habe die Tage seit meiner Ankunft nicht mehr gezählt. Die Zeit hat hier einen relativen Wert.“
„Verstehe. Warum bist du aus Neu-Granada geflohen?“
„Weil meine Eltern getötet wurden und ich nicht mein restliches Leben bei Mönchen in einem Kloser verbringen wollte.“
„Wie alt bist du?“
„Vierundzwanzig.“
„Federmann“, murmelte der Seewolf. „Dieser Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Ich glaube, Karl von Hutten erwähnte ihn mal …“
„Von Hutten?“ Thomas setzte sich auf. „Du kennst einen von Hutten? Das ist ja kaum zu fassen!“
„Wieso, du auch?“
„Mein Onkel war Nikolaus Federmann. Ein Welser, der an der Seite von Dalfinger, Philipp von Hutten und Bartolomäus Welser Venezuela eroberte, dann die Kordilleren überstieg und bis nach Neu-Granada vordrang.“
„Ja. Diesem Nikolaus Federmann will man sogar ein Denkmal setzen, habe ich gehört.“
Thomas zuckte mit den Schultern. „Mag sein. Aber es wäre besser gewesen, die Deutschen hätten nie an der Conquista teilgenommen. Aber lassen wir das. Wann kann ich einmal mit diesem Karl von Hutten reden? Gehört er zu einer eurer Crews?“
„Er fuhr unter Hasards Kommando“, erwiderte die Rote Korsarin. „Aber jetzt ist er zusammen mit Jean Ribault Kapitän auf einem eigenen Segler und kreuzt in der Karibik.“
„Ach so …“
„Er ist der Sohn Philipps von Hutten und einer indianischen Häuptlingstochter“, ergänzte der Seewolf. „Philipp von Hutten war, wie du ja sicher weißt, der letzte Generalkapitän der deutschen Kolonie des Handelshauses der Welser in Venezuela. Er wurde von den Spaniern umgebracht – seine Frau auch. Karl haßt die Spanier deswegen wie die Pest. Übrigens wurde er tatsächlich von Mönchen großgezogen. Später lief er ihnen aber davon und kämpfte mit den Indianern gegen die Spanier. Wir befreiten ihn aus spanischer Gefangenschaft, aber das liegt auch schon wieder ein paar Jahre zurück.“
„Vielleicht lerne ich Karl von Hutten eines Tages kennen“, sagte Thomas. „Er hat also den Weg des Kampfes, der Rebellion gewählt, um sich gegen die spanischen Herrscher zu behaupten. Nun, ich bin gegen Gewalt. Ein Dasein wie das auf Hawaii beweist, daß man in Frieden leben kann. Auf Jahrzehnte hinaus. Jahrhundertelang.“
Old Shane beugte sich vor. „Schön, aber was ist, wenn du dich verteidigen mußt? So, wie im Fall einer Auseinandersetzung mit de Galantes?“
„Ja, das wäre ein Problem geworden, wie ja auch schon der Seewolf gesagt hat.“ Thomas nahm einen Schluck von seinem Becher und fuhr fort: „Die Harmonie dieser Inselwelt bleibt eben nur solange intakt, wie keine Einflüsse von außen sie stören. De Galantes und seine spanischen Spießgesellen waren ein solcher störender Einfluß. Denn vor ihrem Eintreffen waren auch die Eingeborenen von Oahu friedfertig.“
„Ich nehme an, dieser de Galantes ist ein Meuterer“, sagte Hasard. „Seinem Aufzug nach muß er früher an Bord eines spanischen Seglers gedient haben. Als Bootsmann, schätze ich.“
„Das