Seewölfe Paket 6. Roy Palmer
sagte der Maya.
Hasard schloß die Augen und öffnete sie wieder.
Der Gedanke an Dan und Batuti und an das fürchterliche Ritual, das ihnen Yuka geschildert hatte, schien sich wie ein glühender Nagel in sein Gehirn zu bohren. Er mußte sich zwingen, nüchtern und sachlich zu überlegen.
„Stadt der Könige“, wiederholte er gepreßt. „Dort sollen die Männer gefangengehalten werden, sagst du?“ Und als Yuka nickte: „Kennst du den Ort? Kannst du uns hinführen?“
Wieder nickte der Maya. Sein Gesicht wirkte undurchdringlich. Hasard ahnte, daß es viel war, was er von dem Mann verlangte, daß er vielleicht kein Recht hatte, es zu verlangen, aber schwerer als alles andere wog für den Seewolf der Gedanke an das grausame Schicksal, das Dan und Batuti erwartete.
Hasard überlegte einen Augenblick, dann traf er seine Entscheidung.
Er konnte die gefangenen Maya nicht laufenlassen, schon deshalb nicht, weil diese Männer ihnen ganz sicher auf den Fersen geblieben wäre. Und er wollte sich auch nicht mit den Piraten belasten, die ohnehin den Eindruck von Halbirren erweckten. Jacko, Pepe le Moco und der Burgunder wurden ebenfalls gefesselt. Hasard ließ sämtliche Gefangenen so aneinanderbinden, daß sie sich gegenseitig strangulieren würden, falls sie zu flüchten versuchten. Auf diese Weise genügten drei Männer, um die Piraten und die Maya-Krieger an Bord der „Isabella“ zu bringen.
Hasard schickte Will Thorne, den Kutscher und Jeff Bowie zurück – letzteren, weil sein scharfgeschliffener Haken so ungemein geeignet war, störrische Kerle zur Räson zu bringen.
Auf den Versuch, das Dickicht nach weiteren Überlebenden zu durchsuchen und vielleicht wenigstens Dan O’Flynn zu finden, verzichtete der Seewolf.
Dan hielt sich ohnehin meist in der Nähe seines schwarzen Freundes auf. Batuti gehörte mit Sicherheit zu den Gefangenen. Und der Maya hatte gesagt, daß sämtliche Gefangenen noch heute als Opfer für die Götter sterben würden.
Vierzehn Männer waren es, die sich wenig später unter Yukas Führung wieder in Marsch setzten.
Sie hatten es eilig. Sie mußten es eilig haben, wenn sie Dan und Batuti retten wollten. Der Gedanke an das Schicksal, das den beiden drohte, ließ sie die Anstrengungen des Urwald-Marsches überhaupt nicht wahrnehmen.
9.
Langsam und majestätisch schritt der Priester in seinem wallenden blutroten Gewand an der Reihe der Käfige vorbei.
Zwei Dutzend anderer Männer folgten ihm, Priester zum Teil, ebenfalls rot gewandet, Würdenträger in verschiedenfarbigen Roben, stämmige halbnackte Krieger, die ebenfalls eine besondere Funktion haben mußten, da sie nicht mit den üblichen Speeren und Kampfbögen bewaffnet waren, sondern mit Ungetümen von Schwertern. Dan starrte in die Gesichter, suchte die Blicke der dunklen, mitleidlosen Augen. Für die Maya waren sie goldgierige, gewissenlose Frevler, die die Heiligtümer der Götter geschändet hatten. Im Grunde konnte es Dan diesen Burschen nicht einmal verdenken, daß sie jetzt dafür Rache nahmen.
Der Oberpriester blieb stehen.
Noch einmal glitten seine Augen über die Gefangen. Dann hob er die Hand; und sein Finger wies auf den grauhaarigen Bretonen.
Jean Morro biß die Zähne zusammen.
Er wußte, daß er keine Chance hatte. Vielleicht hätte er versuchen können, dem Oberpriester die Waffe zu entreißen und an die Kehle zu setzen, aber die Priester waren nicht bewaffnet. Achselzuckend stand der Bretone auf, als vor ihm die hölzerne Gittertür zurückschwang, und verließ sehr aufrecht den Käfig.
Wieder hob der Priester die Hand.
Und diesmal war es der blonde, blauäugige Dan O-Flynn, auf den sein Finger zeigte.
„Mistkerl!“ brüllte Batuti und rüttelte wild an dem Käfiggitter. „Verdammtes Bastard! Ich dich fressen auf mit Haut und Haaren, wenn du …“
Niemand achtete auf ihn. Die Tür von Dans Käfig wurde geöffnet. Die Priester schienen zu erwarten, daß er sich wie ein Lamm zur Schlachtbank führen ließ. Aber Dan stemmte nur die Fäuste in die Hüften und bleckte die Zähne.
„Holt mich doch, ihr Enkel eines verlausten Ziegenbocks!“ fauchte er. „Ich bin doch nicht verrückt, ihr blutrünstigen Bastarde! Wenn ihr was von mir wollt, ihr Rübenschweine, müßt ihr euch schon zu mir hereinbemühen.“
Das taten sie auch, obwohl sie Dans Worte ganz sicher nicht verstanden hatten. Zwei von den Kerlen mit den riesigen Schwertern traten auf den Käfig zu – und in der nächsten Sekunde passierten eine Menge Dinge gleichzeitig.
Batuti stieß einen urigen Schrei aus und warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen das Gitter des Käfigs.
Es gab einen scharfen Krach. Holz splitterte, der Käfig überschlug sich und war plötzlich Kleinholz.
„Arwenack!“ schrie Dan O’Flynn begeistert, schnellte auf seine Gegner in der Käfigtür zu wie eine Katze – und jetzt endlich witterte auch der Bretone wieder eine Chance.
Fünf Minuten lang ließen die drei Männer mitten in der alten Ruinenstadt im Urwald eine Hölle los, von der die Maya-Krieger vermutlich noch ihren Enkeln erzählen würden.
In diesen fünf Minuten kriegte der Oberpriester die Trümmer des Holzkäfigs um die Ohren gehauen, verwandelten sich rote Gewänder in Fetzen und gewannen die Krieger mit den Riesenschwertern die Erkenntnis, daß sie mit ihren Mordinstrumenten einen Schädel nur spalten konnten, wenn der Betroffene ihn hinhielt.
Batuti gelang es, eins dieser Schwerter zu erobern. Mit beiden Händen schwang er es hoch über dem Kopf. Schreiend wichen die Priester zurück – und es wäre ihnen übel ergangen, wenn nicht einer der Maya-Krieger den schwarzen Herkules von hinten mit einem Stein gefällt hätte.
Auch Dan O-Flynn und den Bretonen erwischte es schließlich.
Batuti wurde mit zähen Lederriemen verschnürt und in einen der heilgebliebenen Käfige geworfen. Auch Dan und Jean Morro waren gefesselt, als sie aus der Bewußtlosigkeit erwachten. Sie fühlten sich beide lausig, aber immerhin hatten sie etwas Zeit gewonnen.
Denn bevor die Maya-Priester endgültig zur Tat schreiten konnten, mußten sie erst mal ihre Schrammen verarzten und ihre Gewänder reparieren.
Yuka blieb ruckartig stehen.
Er hielt den Atem an und lauschte gespannt. Hasard warf ihm einen fragenden Blick zu, während hinter ihm auch der Rest der Kolonne stoppte. Der Seewolf hatte lediglich einen rauhen Vogelschrei gehört, der sich ein paarmal wiederholte, aber der Maya kannte den Urwald natürlich besser.
„Das war kein Vogel“, sagte er nach ein paar Sekunden leise.
„Und was dann?“ fragte Hasard mit gerunzelter Stirn.
„Krieger! Sie wissen, daß wir kommen. Sie warten.“
„Um uns daran zu hindern, die Stadt zu erreichen“, sagte der Seewolf gedehnt. „Wir haben keine Chance, wenn wir es mit der Brechstange versuchen.“ Er überlegte einen Moment, dann wandte er sich um und winkte Ferris Tucker und Ed Carberra zu sich.
„Maya-Krieger?“ fragte der rothaarige Schiffszimmermann hellsichtig.
Hasard nickte.
„Hört zu“, sagte er ruhig. „Ihr werdet diese Krieger hier ablenken. Liefert ihnen einen Kampf, aber erschreckt sie nicht gleich wieder so, daß sie die Flucht ergreifen! Meinetwegen könnt ihr euch ruhig ein bißchen zurückziehen und die Kerle glauben lassen, daß sie eine Chance haben, euch auch noch für Ihre Götter zu kassieren. Ihr sollt sie nicht besiegen, versteht ihr? Ihr müßt sie hier binden, sie hinhalten und ihnen das Gefühl geben, daß sie die Situation im Griff haben.“
„Verstanden“, sagte Tucker gelassen. Und mit einem Seitenblick auf den Profos: „Also bezähm’ dich ein bißchen, Ed, klar? Am besten versteckst du dich,