Seewölfe Paket 6. Roy Palmer
und anstürmenden Angreifern die heilige Furcht in die Schädel zu hämmern.
Nach noch nicht einmal fünf Minuten schienen die Maya-Krieger zu der Ansicht zu gelangen, daß sie den Teufel persönlich am Schwanz gezogen hatten – oder jedenfalls das Wesen, daß in ihrer Mythologie die Rolle des Teufels spielte.
Die ersten braunhäutigen Männer wandten sich zur Flucht. Die kehligen, tremolierenden Kampfschreie der anderen klangen plötzlich überhaupt nicht mehr so kampflustig. Und als dann auch noch der zähe, hagere Gary Andrews aus voller Lungenkraft „Arwenack“ brüllte und die anderen donnernd einfielen, gab es kein Halten mehr.
Die Seewölfe brauchten nur noch die Bewußtlosen einzusammeln.
Und das taten sie auch. Denn von diesen Männern hofften sie, Näheres über das Schicksal von Dan O’Flynn und Batuti zu erfahren.
8.
Stille lag über der Stadt der Maya.
Eine feierliche – und gespenstische Stille. Die Straßen waren leer, kein Neugieriger trieb sich mehr in der Nähe der hölzernen Käfige herum, um die Gefangenen zu betrachten. Das Orakel hatte gesprochen. Das Orakel sagte, daß die Götter nach Blut verlangten – und auf der höchsten Spitze des Tempelbaus waren die Vorbereitungen für das grausame Opfer-Ritual im Gange.
Dan O’Flynn kauerte reglos am Boden seines makabren Gefängnisses. Er hatte sich unwillkürlich so nahe wie möglich an Batutis Seite gedrängt. Der Holzkäfig links von Dan war leer. Denn Jacahiro, den abtrünnigen Maya, hatten die Priester als erstes Opfer ausersehen – genau wie er es selbst vorausgesagt hatte.
Jetzt stand er hoch oben auf den Stufen des Tempels: eine winzige Gestalt, nur zu erkennen an dem rituellen Gewand, das er trug.
Er stand sehr aufrecht, flankiert von zwei hünenhaften Wächtern.
Die Priester in ihren wallenden blutroten Gewändern bildeten einen dichten Ring um den Opferstein. Aus der Entfernung war nicht viel von der Szenerie zu sehen, aber Jacahiro hatte – auf Jean Morros eindringliche Fragen – alles erklärt, was er von dem schrecklichen Ritual wußte oder selbst gesehen hatte.
Jetzt hockte der Bretone bleich wie ein Laken in seinem Käfig. Noch gab es keinen Hinweis darauf, was nach Jacahiros Tod geschehen würde. Ihn, den Abtrünnigen, zu bestrafen, war den Maya offenbar besonders wichtig gewesen. Aber Jacahiro hatte auch prophezeit, daß es nicht bei dem einen Menschenopfer bleiben würde. Und nach allem, was er sonst noch erzählt hatte, war dem Bretonen nur zu klar, daß er selbst mit seiner hellen Haut, den grauen Augen und dem glatten grauen Haar alle Chancen hatte, in die engere Wahl genommen zu werden.
Bessere Chancen als er hatte eigentlich nur noch Dan O-Flynn, der zwar von der Sonne dunkelbraun gebrannt, aber dafür weizenblond und blauäugig war.
Dan hatte sich eine Weile mit Jacahiros Versicherung getröstet, daß man die hellhaarigen Männer unter Umständen auch mit vornehmen Maya-Damen verheiraten würde, statt ihnen auf dem Opferstein bei lebendigem Leibe das Herz herauszuschneiden. Aber das war ein schwacher Trost – vor allem, da die Priester, die Jacahiro abholten, ausgesprochen blutrünstig aussahen. Genauso wie Batuti, wie Jean Morro, der einäugige Esmeraldo und der leichenblasse „andere Burgunder“ beobachtete Dan O’Flynn die makabren Vorbereitungen auf der Tempel-Pyramide – und wenn er ehrlich zu sich selbst war, mußte er sich eingestehen, daß das Gefühl in seinem Innern fatale Ähnlichkeit mit ordinärer Angst hatte.
Die nächste halbe Stunde schien sich zu einer höllischen Ewigkeit zu dehnen.
Trommeln begannen zu dröhnen, dumpf und unheilverkündend. Auf der Spitze der Tempelpyramide nahm das Ritual seinen Lauf. Einer der Priester trat vor, breitete die Arme aus und erhob seine Stimme zu einem seltsam eintönigen, endlosen Singsang. Von Zeit zu Zeit fielen weitere Stimmen ein und wiederholten im Chor ein paar Worte. Weder Dan noch die anderen verstanden irgend etwas, aber sie konnten sich vorstellen, daß die Priester dort oben ihre Götter anriefen, das Opfer gnädig anzunehmen.
Das Opfer, das jetzt mit ruhigen Schritten auf den unheimlichen schwarzen Steinquader zuging.
Jacahiro wehrte sich nicht. Auch nicht, als ihn die beiden hünenhaften Wächter packten und rücklings auf den Stein warfen, wo sie ihn an Händen und Füßen festhielten.
Der Oberpriester ließ die ausgebreiteten Arme sinken. Ein paar Atemzüge lang verharrte er reglos und versunken, dann wandte er sich gemessen ab und trat hinter den Opferstein.
Als er wieder die Arme hob, hielt er ein langes, gekrümmtes Messer in der Rechten.
Dan O’Flynn schloß die Augen.
Er hörte Jacahiro schreien – ein wilder, gellender Schrei, der auf dem Höhepunkt abbrach und wie abgeschnitten verstummte. Dumpf dröhnten die Trommeln. Wieder erklang der seltsame Singsang, dunkler und erregter diesmal. Dan öffnete die Augen wieder und starrte zu dem Steinquader hinauf, der nicht mehr schwarz war, sondern in Blut schwamm.
Batuti murmelte etwas in seiner Heimatsprache.
Sein Gesicht wirkte in diesen Sekunden wie aus schwarzem Basalt gehauen. Genauso starr wie das bleiche Gesicht Jean Morros, dessen Fäuste die Gitterstäbe umklammerten. Seine grauen Augen hatten sich verdunkelt, die Lippen zuckten, und Dan begriff plötzlich, daß Jacahiro für den Bretonen mehr gewesen war als ein Werkzeug, das man benutzt und wegwirft.
„Friede seiner Seele“, murmelte Jean Morro fast tonlos.
Es war das letzte, was er in den nächsten Stunden sagte. Und auch die anderen waren nicht wild auf eine Unterhaltung. Das unheimliche Schweigen schien wie ein Tonnengewicht auf ihnen zu lasten und sie langsam zu erdrükken.
Fünf gefangene Maya-Krieger standen mit gefesselten Händen im grünen Schatten des Urwalds.
Sie standen aufrecht, mit stolz erhobenen Köpfen. Nur ihre Augen verrieten die Furcht, die sie vor dem rothaarigen Riesen empfanden, der sich vor ihnen aufgebaut hatte. Ferris Tucker hatte den Gefangenen mit seiner Axt vor der Nase herumgefuchtelt und sie nacheinander auf Englisch und Spanisch angesprochen, beide Male vergeblich, und jetzt versuchte er es mit furchterregenden Blicken.
Der Wortführer der Maya antwortete in seiner Heimatsprache, obwohl – oder vielleicht gerade weil – er annehmen mußte, daß seine Gegner davon kein Wort verstehen konnten.
Die Stimme des Kriegers klang dunkel, rauh und vibrierte vor Haß. Ohne jedes äußere Zeichen von Furcht schleuderte er den Seewölfen seine Verachtung entgegen – und er ahnte nicht, daß es unter den Männern jemanden gab, der ihn verstand, weil er die gleiche Sprache hatte.
Yuka, der Maya, hatte sich sofort als Dolmetscher angeboten. Aber Hasard wollte nicht, daß der Mann bei seinem Volk künftig als Verräter galt. Außer Sichtweite der gefangenen Krieger hatte der Seewolf Yuka in den Schatten eines mächtigen Urwaldriesen geschoben. Der Maya konnte zuhören, ohne gesehen zu werden, und jetzt erwies sich, daß das durchaus reichte.
Yukas Züge spannten sich. Seine dunklen Augen suchten Hasards Blick.
„Er sagt, daß sie Männer gefangen und in die Stadt der Könige gebracht haben“, flüsterte der Maya. „Sechs Gefangene! Einen Abtrünnigen, vier weiße Männer und einen schwarzen Dämon.“
Hasard biß die Zähne zusammen.
Batuti, dachte er. Mit dem „schwarzen Dämon“ konnte nur der Gambia-Neger gemeint sein. Bei dem Abtrünnigen handelte es sich vermutlich um Jacahiro, den Maya, der zur Crew des Bretonen gehörte.
„Und weiter?“ fragte der Seewolf knapp.
Yukas Augen flackerten. Über seine stolzen, schönen Züge, die so wenig zu dem lächerlichen Strohhut paßten, senkte sich ein Ausdruck dunker Trauer.
„Er sagt, daß die Maya uns besiegen werden, weil sie unter dem Schutz der Gefiederten Schlange stehen. Er sagt, daß alle weißen Männer noch heute auf dem Stein Quetzalcoatls geopfert werden, um die Götter gnädig zu stimmen.“