Seewölfe Paket 11. Roy Palmer

Seewölfe Paket 11 - Roy Palmer


Скачать книгу
verstehe“, sagte der Seewolf. „Die Vulkantätigkeit war natürlich reiner Zufall. Aber trotzdem glauben sie, daß die Götter mit dem Opfer nicht einverstanden sind. Deshalb haben sie das Ganze abgeblasen.“

      „So wird es sein“, sagte der Kutscher, „und der Portugiese sieht vermutlich seine Felle davonschwimmen, weil er die grausame Zeremonie aus einem ganz anderen Gesichtspunkt betrachtet hat.“

      „Nein, nein!“ rief Old Donegal Daniel O’Flynn. „Der Vulkanausbruch war bestimmt kein Zufall! Es gibt nun mal Dinge auf dieser Welt, von denen wir uns überhaupt keine …“

      „Hör auf, Old Donegal!“ brüllten die anderen. „Um Himmels willen, hör auf!“

      Hasard sorgte mit einer energischen Geste für Ruhe.

      Der alte O’Flynn schwieg beleidigt. Immer wieder mußte er es erleben, daß niemand für seine Geschichten Verständnis hatte. Aber verdammt merkwürdig war es doch, daß sie dem Kutscher zuhörten. Vielleicht lag es nur daran, daß er seine Worte ein bißchen besser zu wählen verstand. Aber das war noch lange kein Grund, sich über einen alten Mann lustig zu machen.

      Old Donegal beschloß grimmig, ihnen bei passender Gelegenheit den Kopf zurechtzusetzen – dann nämlich, wenn er wieder einmal recht behalten hatte. Die unerklärlichen Dinge, die sie in Australien erlebt hatten, waren anscheinend schon völlig in Vergessenheit geraten.

      „Wir brechen sofort auf“, ordnete der Seewolf an. „Obwohl es riskant ist, können wir nur drei Mann als Wache an Bord zurücklassen. Der Kutscher, Old O’Flynn und unser Moses übernehmen das. Außerdem bleiben natürlich Philip und Hasard an Bord. Wir brauchen alle verfügbaren Kräfte für den Einsatz auf der Insel. Klariert die große Jolle! Beeilt euch, wir erwischen keinen günstigeren Moment!“

      Die Zwillinge protestierten ausnahmsweise nicht dagegen, daß sie zurückbleiben mußten. Ihnen war klar, daß an Land die Fetzen fliegen würden. Und dazu fehlten ihnen denn doch noch einige Lebensjahre.

      Hasard wandte sich noch einmal kurz zur Insel um.

      Der Strand war wie leergefegt – dank des Entsetzens, das den Indonesiern in den Knochen saß.

      Noch immer stieg eine dünne Rauchsäule aus dem Krater des Vulkans, als der Kiel der großen Jolle auf den Ufersand knirschte. Das urgewaltige Grollen aus der Tiefe der Erde war jedoch verstummt.

      Der Seewolf und seine Männer sprangen außenbords und zogen die Jolle höher auf den Strand. Ferris Tucker lief zu dem kleineren Beiboot, mit dem Ed Carberry und seine Begleiter an Land gegangen waren. Während sich der hünenhafte Schiffszimmermann davon überzeugte, daß das Beiboot unversehrt war, verteilten die anderen die Waffen.

      Außer Pulverflaschen und Kugelbeuteln erhielt jeder eine Muskete und eine Pistole, überdies baumelten Entermesser oder Säbel an ihren Gurten. Ferris Tucker kehrte zurück und schulterte seine Zimmermannsaxt, die er als furchtbare Waffe einzusetzen verstand.

      Hasard selbst hatte seinen Radschloßdrehling und den schweren Säbel mitgenommen. Auf eine Muskete verzichtete er, weil er größere Beweglichkeit brauchte. Mit dem Drehling verfügte er ohnehin über sechs Schuß, die er nacheinander abfeuern konnte, ohne nachladen zu müssen.

      Sie verloren keine Zeit. Unbehelligt erreichten sie den Palmenwald. Dort fanden sie auf Anhieb den Pfad, von dem sie wußten, daß er zur Ansiedlung der Inselbewohner führen mußte.

      Der Seewolf und seine Männer marschierten mit weitausgreifenden Schritten, und der weiche Boden dämpfte die Geräusche. Nur das leise Klirren der Waffen war zu hören.

      Eine unnatürliche Stille lastete über der Insel. Selbst aus der grünen Dichte des tropischen Waldes drang kein Laut, keine der schrillen Vogelstimmen, die sonst in jedem Urwald zu hören waren.

      Zügig umrundeten sie die plateau-ähnliche Anhöhe aus Lavagestein. Auf der anderen Seite stießen sie auf die Fortsetzung des Pfades. Hasard hatte es nicht riskieren wollen, die Anhöhe auf direktem Weg zu überqueren. Möglicherweise gab es irgendwo doch noch Wachtposten. Darauf, daß sich die Indonesier aus Angst vor dem Vulkan verkrochen hatten, konnte er sich nicht allein verlassen.

      Die Zeit schien rasend schnell zu verstreichen. Hasard wußte, daß es das bohrende Gefühl war, etwa doch noch zu spät zu kommen. Auf dem Weg durch den Dschungel sprach keiner seiner Männer ein Wort. Jeder hegte die gleichen Gedanken – Gedanken an die Freunde und Gefährten, die noch immer in Ketten lagen oder gar schon getötet worden waren.

      Die Luft war drückender geworden, ein seltsames Zwielicht war heraufgezogen. Der Himmel, soweit er durch die dichten Baumkronen zu erkennen war, hatte sich grau gefärbt. Kein düsteres Grau, wie es im heimischen Europa einen Regenschauer ankündigte. Dies hier war eine unnatürliche, eher schweflige Färbung, die sich mit zunehmender Intensität auf das Land herabzusenken schien.

      Unvermittelt verlangsamte der Seewolf seine Schritte, hob die rechte Hand, gab das Zeichen zum Halten und winkte Ben Brighton zu sich heran.

      Ben folgte der Aufforderung auf leisen Sohlen.

      „Ich denke, wir haben das Dorf vor uns“, flüsterte Hasard und deutete nach vorn. Über dem Dickicht, zwischen den Reihen der lianenumwucherten Baumstämme, waren hellere Flecken von Bambusholz zu erkennen.

      „Wir sollten uns schon jetzt in zwei Gruppen aufteilen“, gab Ben ebenso leise zurück.

      Der Seewolf nickte und wandte sich um. Worte waren nicht erforderlich. Knappe Handzeichen genügten.

      Für seine eigene Gruppe teilte Hasard Ferris Tucker, Smoky, Pete Ballie, Al Conroy und Big Old Shane ein. Al und der Schmied von Arwenack trugen zwei handliche Kisten, die der Stückmeister gern als seine Trickkisten bezeichnete. Wie es Al Conroys Handwerk entsprach, bestand der Inhalt aus höchst brisanten und effektvollen Kleinigkeiten.

      Zu Ben Brightons Gruppe gehörten Batuti, Blacky, Gary Andrews, Jeff Bowie, Will Thorne und Stenmark.

      Vorsichtiger jetzt, fast lautlos, setzten sie ihren Weg fort, bis sie den Rand des Dschungels erreichten. Im Schutz der mächtigen Baumstämme verharrten sie.

      Wie auf dem Präsentierteller lag das Dorf vor ihnen. Das Gewirr der Bambushütten, der breite Hauptweg und die steinernen Tempel – alles zusammen wirkte wie ausgestorben. Dennoch waren die Menschen hier, hatten sich in ihre Hütten verkrochen und warteten auf das Ergebnis der Beratung, die der Brahmane in einer stummen Zwiesprache mit den Göttern führte.

      Nirgendwo war zwischen den Hütten eine Bewegung zu erkennen – nichts, was darauf schließen ließ, daß die Seewölfe bemerkt worden waren.

      Hasard gab seinem ersten Offizier das vereinbarte Zeichen.

      Hart am Rand des Dickichts pirschten sich Ben Brighton und seine Männer zur linken Seite des Dorfes vor – jeden Augenblick bereit, in Deckung zu gehen.

      Auf die gleiche Weise drang Hasard mit seiner Gruppe in die entgegengesetzte Richtung vor. Mit dieser alten, doch bewährten Taktik hatten sie das Dorf in der Zange, wenn es hart auf hart ging. Sie bewegten sich so geräuschlos wie nur möglich. Nach vielen gefahrvollen Abenteuern in tropischen Breiten war dies kein Neuland für sie. Sie kannten den Dschungelkampf mit all seinen Besonderheiten und Tücken.

      Die einzigen Lebewesen, die sie sahen, waren Hühner und Hängebauchschweine in den Verschlägen hinter den Hütten. Auch die Tiere waren unerklärlich ruhig, kauerten in Ecken und beobachteten die Männer bei ihrem leisen Vordringen mit ausdruckslosen Augen.

      Etwa in der Höhe der Dorfmitte hob Hasard die Hand. Sofort verharrten die Männer und suchten Deckung im Unterholz.

      Der Seewolf spähte nach vorn. Steinmauern waren zu erkennen, nur wenig höher als die Palmblattdächer der Hütten. Es konnte sich um keinen der Tempel handeln, denn die befanden sich weiter im Zentrum der Ansiedlung. Hasard wandte sich zu Ferris Tucker um, der unmittelbar hinter ihm war.

      „Ich sehe mir das genauer an. Wartet hier auf mich.“

      Der Schiffszimmermann nickte.

      Hasard


Скачать книгу