Seewölfe Paket 11. Roy Palmer
verharrte auf der viertuntersten Sprosse, wartete, bis die Jolle von einer Woge hobgehoben wurde, und stieß sich dann ab. Mit einem Satz landete er zwischen Stenmark und Batuti, und sie packten seine Arme, damit er nicht zur anderen Seite hin aus der Jolle kippte.
Hasard saß auf der Heckducht und hielt bereits die Ruderpinne. Ferris und Shane hatten sich auf den mittleren Duchten niedergelassen und griffen zu den Riemen.
„Ruder an!“ rief der Seewolf.
Dan, Batuti und der Schwede nahmen ebenfalls Platz und beeilten sich, die Riemen in die Dollen zu legen. Der Seewolf stemmte einen Bootshaken gegen die Bordwand der „Isabella“. Die Jolle löste sich von ihrem Schiff, schwamm frei, und die fünf Männer pullten kräftig an, während Hasard die Ruderpinne herumdrückte.
Heftig stampfte und schlingerte die Jolle in der aufgewühlten See. Für eine Weile konnten die sechs Männer den im Wasser treibenden Mann nicht mehr sehen, denn ihr Boot sackte tief in eine Wellengrube ab.
In diesem Moment ertönte der langgezogene Schrei, der gegen den Wind bis zur „Isabella“ schallte und gleichzeitig bis zum Ufer wehte, wo die Spanier die Hälse reckten und die Köpfe hoben, um zu verfolgen, was jetzt geschah.
„Sir!“ brüllte Gary Andrews vom Großmars aus. „Aufpassen! Salzwasserkrokodile! Steuerbord voraus, von euch aus gesehen!“
Die Jolle schob sich auf die schaumgekrönte Spitze einer Welle, und von hier aus konnte der Seewolf sowohl den Mann mit seinem Baumstumpf als auch das halbe Dutzend herangleitender Krokodile erkennen.
Das konnte wohl kein Trick mehr sein, um die Männer der „Isabella“ in eine Falle zu locken, wie es auf Seribu geschehen war. Niemals hätte ein Mann soviel riskiert, um nur ein billiges Schauspiel aufzuziehen.
Hasard richtete sich von der Heckducht auf, hielt die Ruderpinne dabei aber noch fest.
Mit weit abgespreizten Beinen stand er da und rief Ferris Tucker zu: „Ferris, mach eine Höllenflasche fertig! Mit Musketen und Tromblons können wir gegen die Biester nicht allzuviel ausrichten!“
„Aye, Sir!“
Ferris holte den Riemen ein, hob ihn über die Köpfe der Kameraden und legte ihn längs auf die Duchten. Er bückte sich, nahm eine der pulvergefüllten „Flaschenbomben“ vom Bootsboden auf und kramte Feuerstein und Feuerstahl aus seinen Taschen hervor.
Genug Waffen hatte der Seewolf vorsorglich von Bord der „Isabella“ mitnehmen lassen, aber er hatte nicht auch noch ein Kupferbecken mit glimmender Holzkohle abfieren lassen können, denn das wäre garantiert umgekippt und hätte den Männern die Haut versengt.
So mußte Ferris also mühsam mit Feuerstein und Feuerstahl die Lunte der Flasche anzünden und gleichzeitig die schwankenden Bootsbewegungen durch geschickte Beinarbeit ausgleichen. Es kam schon fast einem Akrobatenstück gleich, was er hier tat, und kostbare Zeit ging verloren.
Big Old Shane, Dan O’Flynn, der Schwede und der schwarze Herkules aus Gambia pullten, so schnell sie konnten, und die Jolle war dem verzweifelten Mann, der obendrein auch noch verwundet zu sein schien, jetzt sehr nah.
Nah aber waren auch die Krokodile.
Hasard stand immer noch aufrecht da, und er konnte jetzt, als die Jolle auf einem neuen Wellenkamm tanzte, das Blut im Wasser hinter den Beinen des fremden Mannes sehen.
Wenn die Krokodile Blut spürten, wurden sie so wild und mordlustig wie die Haie, soviel war Hasard bekannt. Auch er und seine Crew hatten ihre Erfahrungen mit den gefährlichen Echsen gemacht, deshalb wußte er, daß man sie auf keinen Fall unterschätzen durfte.
Mit einem einzigen Biß seiner gewaltigen Kiefer konnte so ein Biest einem ausgewachsenen Mann die Beine vom Rumpf trennen. Und genau dieses Schicksal erwartete den Mann im Wasser, wenn nicht sofort etwas geschah.
Hasard stellte die Ruderpinne fest, nahm eine Muskete zur Hand und feuerte sie auf das Krokodil ab, das dem Fremden inzwischen am nächsten geraten war.
Bei dem Tanz, den das Boot in der See aufführte, und der Bewegung des lebenden Zieles war es beinah ein Wunder, daß er überhaupt traf. Der Schuß krachte, und im nächten Augenblick zuckte die große Echse heftig im Wasser zusammen. Ihr Maul klaffte auf und schnappte wieder zu, dann fiel sie ein Stück zurück.
Dennoch hätte auch eine Folge von sechs Musketenschüssen nicht viel ausrichten können, wie der Seewolf vorausgesehen hatte, denn die anderen Bestien drängten – unbeeindruckt von dem, was ihrem Artgenossen geschehen war – nach, und auf den Wellen tauchten jetzt immer mehr Tiere auf.
„Ferris!“ schrie der Seewolf.
„Es geht los, Sir!“ brüllte sein rothaariger Schiffszimmermann zurück. Die Lunte war jetzt trotz aller widrigen Umstände gezündet, sie glomm rötlichgelb und zischte, und die Glut arbeitete sich durch die Schnur auf den Korken der Flasche zu.
Ferris hob die geballte Ladung Pulver, Eisen, Blei und Glas hoch über seinen Kopf, zählte noch bis fünf und schleuderte sie dann über den Mann im Wasser hinweg mitten zwischen das Rudel Krokodile.
Hasard hatte die Muskete mit einem Tromblon vertauscht und feuerte zum zweitenmal, aber dieses Mal ging der größte Teil der Ladung aus gehacktem Blei und Eisen fehl, und die Panzerechsen wichen immer noch nicht zurück.
Die Flaschenbombe landete mit einem schwachen Klatscher im Wasser und versank. Es sah tatsächlich so aus, als habe Ferris Tucker den Moment der Explosion falsch kalkuliert, aber der rothaarige Riese wußte es besser, er grinste grimmig und zuversichtlich.
Wenn die Lunte nämlich erst einmal bis durch den Flaschenkorken abgebrannt war, dann glomm sie auch unter Wasser weiter, denn die Nässe konnte ihr nichts anhaben.
Plötzlich ging die „Höllenflasche“ dicht unter der Wasseroberfläche hoch. Die Detonation glich dem Ausbruch eines Seebebens: Wie von einer unsichtbaren Macht bewegt, wölbten sich die Fluten plötzlich hoch und warfen die Krokodile ein Stück in die Luft hoch.
Der Unterwasserdruck beförderte Morgan Young direkt auf die Jolle zu. Er hatte den Kopf eingezogen und wieder unter Wasser genommen, als die Flaschenladung explodiert war, jetzt aber blickte er wieder auf und sah die Hände, die sich ihm aus dem Boot hilfreich entgegenstreckten.
Er griff zu, glitt fast doch noch wieder ab, aber Shane und Batuti beugten sich tiefer über das Dollbord, faßten nach und packten ihn fest an den Oberarmen. Sie hievten ihn über die Dollen hinweg, ließen ihn zwischen zwei Duchten sinken und warfen erst dann wieder einen Blick auf die Krokodile.
Zwei oder drei Tiere hatte es zerrissen, die anderen ergriffen jetzt entsetzt die Flucht.
„Donnerwetter“, sagte Big Old Shane. „Was so eine Höllenflasche doch alles fertigbringt, Ferris!“
Der Schiffszimmermann grinste ihn an. „Nun tu doch nicht so scheinheilig, das wußtest du doch auch vorher schon.“
„Ja, aber man muß den Augenblick der Zündung schon richtig berechnen und die Flaschen auch zu werfen wissen!“ rief Dan O’Flynn.
Ferris ließ sich wieder auf seiner Ducht nieder und griff nach dem Riemen. „Nun hör sich das einer an“, sagte er. „Die Kerle wollen mir tatsächlich Honig um den Bart schmieren. Weiß der Henker, warum.“
„Ferris!“ rief der Seewolf. „Das war wirklich ein guter Wurf. Alle Achtung!“
„Danke, Sir“, sagte der rothaarige Riese, und diesmal spürte er sein Herz vor Stolz wirklich kräftiger schlagen.
Hasard drückte die Ruderpinne wieder herum, und die Jolle wendete in der stürmischen See. Bei der Rückfahrt zur „Isabella“ stellte er zu seiner Zufriedenheit fest, daß Ben Brighton den White Ensign inzwischen aus dem Großtopp hatte niederholen lassen.
Hasard hatte ihm das befohlen, bevor er das Schiff zur Rettung des Kettensträflings verlassen hatte. Vielleicht hatten die Spanier die Flagge noch nicht gesehen, vielleicht war es gut, wenn sie nicht erfuhren, welcher Nationalität