Seewölfe Paket 9. Roy Palmer
und faltenreicher aus als sonst. Er stand da wie ein Dämon aus der Finsternis und lehnte sich an das Geländer.
„Lausige Gegend“, sagte er, als spräche er zu sich selbst. „Wenn sich doch nur einmal eine kleine Welle erheben würde! Aber es rührt sich nichts. Das Wetter schlägt einem aufs Gemüt.“
„Uns auch, Dad, aber wir können es nicht ändern. Bei Tageslicht sieht alles anders aus, selbst wenn wir ein paar Tage in den Kalmen hängen, kratzt uns das nicht. Wir haben genug Proviant und Wasser, um es eine Weile auszuhalten.“
„Darum geht es gar nicht“, murmelte der Alte. Er sagte aber auch nicht, um was es ging, sondern behielt es für sich. Sie lachten ihn ja doch immer aus oder machten sich über ihn lustig, bezichtigten ihn der Spökenkiekerei, und doch fühlte er, daß in ganz kurzer Zeit schon etwas passieren würde. Er konnte es nur noch nicht erklären, es war zu undeutlich und verschwommen.
Die an Deck schlafenden Männer bewegten sich unruhig hin und her, erwachten ab und zu und versuchten, weiterzuschlafen. Jeder spürte die Unruhe des anderen und wurde davon angesteckt.
Die Stille blieb bis zum Morgen. Und sie sollte auch noch weiterhin anhalten.
3.
Batuti, der die Morgenwache hatte, sah die Nebel zuerst.
Anfangs wirkten sie wie lange dünne Spinnenarme, die über das Wasser krochen und es mit hellen Mustern überzogen. Wie Dämonen aus der Tiefe stiegen sie empor und legten sich besitzergreifend um das Schiff.
Die Nacht war einem fahlen Dämmer gewichen, die Sonne war nicht zu sehen. Der Horizont verschwand in einer undefinierbaren grauweißen Brühe und verlor seine Kontur. Himmel und Wasser schienen eins geworden zu sein.
Einer der ersten, die morgens immer an Deck erschienen, war der Kutscher. Er sah sich um und schüttelte den Kopf.
„So ein Mist“, sagte er laut. Er blickte über das Schanzkleid und versuchte mit seinen Blicken den Nebel zu durchdringen, der immer zäher und dichter wurde. Dabei war es allerdings nicht kalt. Er fühlte sich, als sei er in eine dampfende lauwarme Waschküche geraten.
Nach und nach erschienen die Männer an Deck, blickten auf die weißgrauen Schwaden und fluchten unterdrückt.
Immer noch war nicht der geringste Lufthauch zu spüren. Die Segel hingen faltig wie große Leichentücher an den Rahen.
Dort, wo das Wasser teilweise noch zu sehen war, schimmerte es jetzt in einem schwarzblauen Ton. Immer dichter schob sich die gigantische Nebelbank an die „Isabella“ heran, bis sie einen undurchdringlichen Berg aus weißer Watte bildete. Bald war das Schiff von den Schwaden so eingehüllt, daß man von der Brack aus kaum noch das Achterdeck sah.
Nach einer Weile erschien der Seewolf, gefolgt von Ben Brighton und den Zwillingen, die sofort an Deck herumrannten.
„Prächtig“, sagte Hasard sarkastisch. „Da hängen wir für eine Weile fest, vielleicht für eine lange Zeit.“
Er durchquerte die Kuhl bis zum Vordeck, wo die Männer herumstanden und Brühe tranken, die der Kutscher gekocht hatte.
„Guten Morgen, Sir“, tönte es dem Seewolf vielstimmig entgegen, doch die Worte klangen so leise und gedämpft, daß es kaum zu verstehen war. Der Nebel schluckte sie.
Hasard erwiderte den Gruß. Gary Andres reichte ihm eine Tasse heiße Fleischbrühe.
Carberry riß ein paar müde Witze über den Nebel, doch die Männer lachten nicht.
„Ich kann es nicht erklären“, sagte der blonde Schwede Stenmark, „aber auch ich fühle ganz deutlich, daß wir uns bewegen, und ich möchte sogar behaupten, daß wir das keinesfalls langsam tun.“
„Wir haben zwar keinen Bezugspunkt zur Orientierung“ erwiderte Hasard, „aber ich spüre es ebenfalls. Nun, passieren kann nichts, es gibt vorerst weit und breit kein Land. Wir können noch tagelang, mehr als eine Woche sogar, so driften, ohne Land zu erreichen. Pete, du kannst nach dem Frühstück mal feststellen, wie oft wir abweichen, oder ob die Richtung konstant bleibt, in der wir treiben.“
„Das Schiff dreht sich um sich selbst, Sir“, sagte Pete Ballie.
„Ich weiß, es ist merkwürdig genug. Trotzdem werden wir das herausfinden.“
„Aye, aye, Sir.“
Nach dem morgendlichen Essen stand einwandfrei fest, daß die „Isabella“ genau nach Südwesten driftete, also auf ihrem eingeschlagenen und bestimmten Kurs blieb. Im Abstand von etwas mehr als zwei Stunden drehte sie sich dabei einmal um ihre Achse.
„Es scheint so, als bewegten wir uns inmitten eines ausgedehnten, riesigen Strudels“, sagte der Seewolf. „Ich habe jedenfalls keine bessere Erklärung dafür.“
Die anderen hatten erst recht keine. Sie mußten sich treiben lassen und abwarten, es gab keine andere Möglichkeit.
Die Alternative, die der alte Segelmacher Will Thorne anschnitt, wurde auch sogleich wieder verworfen. Er war noch einer von den alten Seeleuten, genau wie O’Flynn, und brachte den Vorschlag, das große Boot auszusetzen, es zu bemannen, und die „Isabella“ damit aus der Kalme in den Wind zu rudern.
Aber Hasard war von dieser Idee nicht begeistert.
„Das hat keinen Zweck, Will“, sagte er. „Wir befinden uns hier am Rand des Sargassomeeres, und ich weiß wirklich nicht, in welche Richtung wir rudern sollen, um die Kalme zu verlassen. Außerdem kämen wir gegen die Abdrift nicht an. Nein, nein, Will, es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu treiben. Wenn wir das Boot vorspannen, treiben wir nur ein wenig schneller.“
Das sah der alte Segelmacher schließlich auch ein. Andere brauchbare Vorschläge kamen nicht zustande.
Der Nebel wurde noch zäher. Hatte man vorhin noch einigermaßen von vorn nach achtern blicken können, so sah man die Gestalten der Seewölfe vom Vordeck aus in der Kuhl nur noch als verwaschene Umrisse mit zerfließenden Konturen. Schon auf ein paar Yards Distanz ließen sich die Männer kaum noch voneinander unterscheiden. Sie wirkten wie unwirkliche Schemen.
Die Welt um sie herum war wie in Watte gepackt, der dichte Nebel schluckte die Geräusche, verfremdete sie, und wenn mal jemand etwas sagte, dann hörte man seine Stimme aus allen möglichen Richtungen erklingen, nur nicht aus der richtigen.
Ja, sie alle fühlten überdeutlich, wie ihr Schiff dahinglitt, gepackt von einer unbekannten Strömung, die es weiter nach Südwesten trieb. Es gab kein Glukkern an den Bordwänden, das Wasser teilte sich nicht, und auch hinter dem Rahsegler gab es kein Kielwasser oder Schaum. Geisterhaft still zog das Schiff seine Bahn.
Bis zum Mittag hatte sich immer noch nichts verändert. Es sah so aus, als würden sie wie Verdammte der Meere bis in alle Ewigkeit dahintreiben.
Erst am späten Nachmittag begann sich der Nebel an einigen Stellen etwas zu lichten.
Dan O’Flynn nahm das Spektiv und suchte die See ab, soweit der Nebel das zuließ. Sehr nachdenklich ließ er nach einer Weile das Spektiv wieder sinken.
„Ich glaube“, sagte er zu Hasard, „da vorn treibt dieser verdammte braune Seetang. Durch den Nebel kann das aber auch täuschen. Ich bin mir meiner Sache nicht sicher.“
Hasard warf ebenfalls einen langen Blick hindurch.
„Du könntest recht haben. Da schwimmt ein großer dunkler Fleck im Wasser, ziemlich flach und gleichmäßig ist er. Behalte das vorerst für dich, Dan, die anderen sollen nicht gleich wieder nervös werden. Denen reicht es noch vom letzten Mal, als wir in dem Zeug festsaßen.“
„Merkwürdig, daß wir Tang sichten“, sagte Dan. „Wenn sich alles mit der gleichen Geschwindigkeit fortbewegt wie wir auch, dürften wir keinen sehen.“
„Das ist richtig. Vorhin haben wir jedenfalls keinen gesehen. Aber es kann sein, daß es hier mehrere Strömungen gibt, die eine schneller, die andere