Seewölfe Paket 9. Roy Palmer
Vorhang, als sich der Nebel erneut zusammenballte. Gleich darauf war der Fleck verschwunden.
Dafür riß jetzt an vereinzelten anderen Stellen der Nebel auf. Die Sonne, die hoch darüber stand, ließ sich nur vermuten, zu sehen war von ihrem hellen Schein nicht das geringste. Dunkel und geheimnisvoll lag das Meer teilweise ruhig da, an wieder anderen Stellen schien es zu kochen und zu brodeln. Aber auch dieser Eindruck, hervorgerufen durch den Nebel, täuschte.
Auch am Abend hatte sich immer noch nichts geändert. Der Nebel lichtete sich, gab einen Blick auf das Wasser frei und schloß sich wieder. Das wiederholte sich mehrmals. Dann brach die Nacht an, und um die „Isabella“ türmten sich Berge aus dunkler Watte.
An und für sich war die Deckwache unnötig, aber Hasard verzichtete aus Prinzip nicht darauf. Zu sehen gab es nichts, absolut nichts als wabernde Schwärze. Es war der gleiche Effekt, als wenn man die Augen fest geschlossen hielt.
Auf dem Achterdeck erzählte der alte O’Flynn Schauermärchen. Er konnte wieder einmal nicht schlafen, war mißmutig, schlich überall herum und fühlte sich gar nicht mehr wohl in seiner Haut.
Es war das Gefühl unbestimmter Vorahnungen, wie er sagte, und die würden sich, verdammt noch mal, auch bald bewahrheiten.
Die Nacht verging, die Wachen lösten sich ab, ohne daß einer auch nur den anderen richtig gesehen hatte, und der nächste Morgen brach an.
Zweieinhalb Tage lang passierte absolut nichts, und die Stimmung der Seewölfe erreichte langsam, aber sicher einen gewissen Tiefpunkt der Resignation. Es war die Hilflosigkeit, die den Männern auf die Nerven ging. Sie trieben einsam in einem immer noch fast unbekannten Meer und sahen nichts. Außer dem Kompaß gab es kein Orientierungszeichen, und der sagte nur aus, daß sie immer noch weiter in Richtung Südwesten drifteten.
Nebel wechselte mit zeitweilig eng begrenzter Sicht, aber den ersehnten Wind konnten sie nicht herbeizaubern, obwohl der alte O’Flynn immer dann, wenn er sich unbeachtet glaubte, am Mast kratzte, um so den Wind herbeizurufen.
Auch liefen nach altem Brauch ein paar Mann umher und begannen laut und falsch zu pfeifen, ebenfalls eine Methode, Sturm oder Wind anzulocken. Doch es half nicht. Ebensowenig half die Münze, die über den Rücken geworfen wurde.
Gewohnheitsmäßig enterte immer wieder ein Mann in den Ausguck, und als heute der junge O’Flynn an der Reihe war, aufenterte und sich hinter die Segeltuchverkleidung stellte, fuhr er zusammen, als hätte ihn der Blitz getroffen.
Er kniff die Augen zu, öffnete sie wieder und schüttelte dann den Kopf. Doch das Bild blieb, es verschwand nicht.
Wieder einmal hatte sich der Nebel gelichtet, und aus der luftigen Höhe konnte Dan fast bis zum Horizont sehen. Es war nur ein schmaler Streifen Wasser, den er sah, aber zwischen grauen Nebelfetzen sah er auf diesem kleinen Wasserstreifen ein Schiff.
Es mochte etwa drei Meilen querab auf Steuerbord liegen, und lag genau so bewegungslos in der See wie die „Isabella“.
Dan vergewisserte sich nochmals, daß er auch keinem Trugbild zum Opfer gefallen war. Das Schiff, ein Dreimaster, war etwas kleiner als die „Isabella“, und es hatte die Segel anscheinend im Gei hängen, so genau ließ sich das auf die Entfernung nicht erkennen. Außerdem deckten immer wieder Nebelschwaden das Schiff zu.
Nein, es war kein Hirngespinst, das Schiff existierte, so wahr sich Dan O’Flynn im Ausguck befand. Diese sensationelle Meldung konnte er getrost an den Mann bringen.
„Deck!“ schrie er. „Schiff Steuerbord querab. Etwa drei Meilen entfernt!“
Auf der „Isabella“ wurde es nach seinen Worten noch ruhiger. Sekundenlang stand alles wie erstarrt da, dann kam plötzlich Leben in die Seewölfe.
„Bist du sicher, Dan?“ rief der Seewolf hinauf.
„Ganz sicher, Sir, keine Täuschung!“
So schnell die anderen auch waren, der Seewolf war noch schneller und schon fast im Ausguck, als die anderen noch nicht einmal die Hälfte geschafft hatten.
„Tatsächlich“, sagte er. „Genau querab. Das könnte eine englische Karacke sein.“
„Dachte ich auch, Sir“, sagte Dan. „Der Bauweise nach jedenfalls ganz bestimmt sogar.“
Stenmark reichte dem Seewolf ein Spektiv. Aber als der es auszog, um hindurchzublicken, spielte ihnen der Nebel wieder einen Streich. Noch bevor die anderen es richtig gesehen hatten, war das geheimnisvolle Schiff verschwunden.
„Teufel auch“, sagte der Profos. „Das sind Leidensgenossen von uns, die hängen genauso in der Kalme wie wir. Ich habe den Kahn noch ganz kurz gesehen. Ob die uns wohl auch gesehen haben?“
„Schon möglich“, erwiderte der Seewolf. „Aber das werden wir gleich feststellen. Ladet eine der Culverinen und gebt einen Schuß ab. Sie werden bestimmt antworten.“
Das fremde Schiff, das so geisterhaft aus dem Nebel aufgetaucht war, beschäftigte und erhitzte die Gemüter. Endlich gab es mal eine Abwechslung in der Eintönigkeit.
Der Waffen- und Stückmeister Al Conroy lud eine Culverine und feuerte sie ab.
Der Donner der Explosion hallte über das Schiff, rollte über die See und wurde vom Nebel gebremst. Auf dem anderen Schiff mußte er trotzdem noch sehr gut zu hören gewesen sein.
Sie lauschten in den Nebel hinein auf Antwort. In der Kuhl auf der Steuerbordseite hatten sich alle versammelt und warteten.
„Das müssen die doch gehört haben, verdammt“, sagte Ed. „Oder sitzen die etwa auf ihren Ohren?“
„Wie weit hast du die Entfernung geschätzt, Dan?“ wollte der Seewolf wissen.
„Annähernd drei Meilen, vielleicht etwas weniger.“
„Ja, weniger als drei Meilen. Noch einmal zwei Culverinen abfeuern, Al, aber nicht gleichzeitig.“
„Aye, aye, Sir!“
Der Seewolf gab mit der Hand ein Zeichen. Conroy zündete, und aus dem Lauf der Kanone zuckte ein rotglühender Blitz, der eine dunkle Pulverwolke hinter sich herzog.
Hasard ließ ein paar Minuten verstreichen, ehe der dritte Schuß abgefeuert wurde. Die Stille danach wirkte fast beängstigend.
Von dem anderen Schiff erfolgte keine Antwort, so sehr sie auch darauf warteten.
„Ob die Brüder ein schlechtes Gewissen haben?“ fragte Blacky, der wieder gut laufen konnte, seit ihm das Faß den rechten Knöchel gebrochen hatte. Den Stützverband aus Lehm hatte der Kutscher längst entfernt.
„Vielleicht benötigen sie auch Hilfe, oder sie sind schon halb verhungert oder verdurstet“, vermutete Hasard. „Wer weiß, wie lange sie schon in der Kalme hängen.“
„Oder es ist ein Geisterschiff“, sagte der alte O’Flynn und ignorierte Hasards vorwurfsvollen Blick. „Hatten wir doch schon mal erlebt“, fuhr er fort. „Geisterschiffe gibt’s genug, sie treiben sich auf allen Meeren herum.“
Einige Seewölfe grinsten und sahen den Alten an, der es nicht lassen konnte, immer und ewig auf eventuell drohende Gefahren von Geisterschiffen oder anderen Spuk hinzuweisen.
„Das, was Dan und ich gesehen haben“, sagte Hasard, ohne auf O’Flynns Gefasel einzugehen, „sah ganz nach einer englischen Karacke aus, es ist nicht auszuschließen, daß es auch ein anderes Schiff ist, der Nebel verwischte alles. Aber wer immer es auch sein mag, er benötigt Hilfe, denn er befindet sich in der gleichen verdammten Situation wie wir, nur wahrscheinlich schon länger.“
„Heißt das, wir pullen hinüber?“ fragte Ben Brighton.
„Ja, wir werden nachsehen, ob jemand Hilfe braucht.“
Diesmal war es der Profos, der mahnend den Finger erhob. „Das kann auch eine Falle sein, Sir!“
Hasard schüttelte den Kopf.
„Das ist mit Sicherheit