Der Mächtige Strom. Chi Pang-yuan

Der Mächtige Strom - Chi Pang-yuan


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endete der Krieg, und so kehrten die meisten Schüler der Zhongshan-Schule wieder nach Hause zurück in die Mandschurei. Fast ein Jahrzehnt hatten sie von ihren Familien getrennt gelebt, und sie waren des andauernden Herumziehens müde. So ist es auch nachvollziehbar, dass viele von ihnen während des erneut aufflammenden Bürgerkrieges zwischen der Nationalen KMT-Regierung und der Kommunistischen Partei Chinas lieber in ihrer zerbombten Heimat blieben, um die venenösen Hinterlassenschaften des Mandschukuo-Regimes zu beseitigen, den Wiederaufbau des Bildungswesens voranzutreiben und das nationale Bewusstsein wiederherzustellen. Doch die Zeit, die sie mit ihren Kommilitonen der Zhongshan-Schule wie Brüder und Schwestern verbracht hatten, verbunden nicht durch Blutsverwandtschaft, sondern durch Zuneigung und Fürsorge in Jahren des Elends, würden sie niemals vergessen.

      In den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Zhongshan-Schule in Shenyang wieder ins Leben gerufen. Die treibende Kraft dieser Unternehmung bildeten die ehemaligen Schüler, die nach dem Krieg in ihre Heimat zurückgekehrt waren, wie der Provinzgouverneur von Jilin, der Parteisekretär der KPCh der Provinz Liaoning und der Oberbürgermeister von Shenyang, um nur einige zu nennen. Jeder von ihnen hatte während der langen Märsche zur Evakuierung die Hymne der Heimatlosen gesungen: „Am Sunghua-Fluss war ich einst zu Hause.“

      Zum 50-jährigen Jubiläum wurde 1984 auf Taiwan eine Denkschrift von ehemaligen Schülern in Form eines Sammelbandes herausgegeben. Dieser Band enthält 60 detailreiche Erlebnisberichte aus jener Dekade der Entwurzelung. Sechzig Schicksale, geschrieben mit Blut und Tränen. Das Memorandum beginnt mit folgenden Worten: Die Staatliche Zhongshan-Oberschule wurde mitten im größten Leid geboren, überlebte den Großen Krieg, ihre Schließung jedoch war zutiefst erschütternd. Seit ihrer Gründung sind 50 Jahre vergangen, und hat es während all dieser Zeit auch nur einen einzigen Tag gegeben, da wir glücklich und in Frieden sein konnten?

      An einer anderen Stelle lese ich:

      … Am nächsten Morgen nach dem Fahnenappell ging General Guan Linzheng auf das Podest rauf und sprach zu uns, mit Tränen in den Augen, dass die militärische Ausbildung eingestellt werden muss, und sagte dann: „Unser Staat ist so weit gebracht worden, dass er kaum noch einen wirklichen Staat darstellt. Die Wut und der Hass, den wir zu Recht empfinden, müssen nun zu einer unbezwingbaren Vergeltung gebündelt werden, wie sonst können wir uns noch als ‚Chinas Kinder‘ bezeichnen? Wie sonst können wir uns als Nachkommen der Kaiser Yan und Huang würdig erweisen?“ Jeder von uns war sofort total berührt und hatte einen dicken Kloß im Hals sitzen. Als der kühne General mit seiner Rede fertig war und wir wegtreten durften, war die Erde, wo wir gestanden hatten, ganz nass von den Tränen. Deutlich konnte man die dunklen Streifen sehen, Reihe um Reihe, Kolonne für Kolonne.

      Zum Schluss: Unsere Heimat im Nordosten war gefallen! Viele der Schüler und Lehrer befanden sich in Gefangenschaft oder waren tot. Nur wenige waren um Haaresbreite demselben Schicksal entronnen und hatten Zuflucht auf Taiwan gefunden. Ruft man sich die Vergangenheit ins Gedächtnis, dann stellt sich einem jeden von uns die Frage, wer sich dem Gefühl von Gefangenschaft in dieser unablässig erschütterten Welt zu entziehen vermag.

      Während ich dies schreibe, erzittert mein Innerstes von dem Nachhall der knatternden Salven aus den Bordgeschützen, während die Bomber über unsere Köpfe hinwegdonnerten. Jedes Mal, wenn jemand die Zhongshan-Schule erwähnte, überkam mich eine Flut gestochen scharfer Bilder von unserer endlosen Flucht: Ich sah meinen Vater, der, nachdem er sich vergewissert hatte, dass es uns, seiner Familie, gut ging, zum nächsten verabredeten Treffpunkt hastete. Dort angekommen musste er in aller Eile mit der örtlichen Verwaltung über die Unterbringung und Verpflegung der im Anmarsch befindlichen Schüler verhandeln. Station um Station warf er kaum mehr als einen flüchtigen Blick auf meine kranke Mutter und seine jüngste Tochter. Ich war inzwischen befördert und durfte oben auf den Gepäckhaufen des Lastwagens sitzen. Mein Bruder marschierte dann immer zu Fuß mit.

      Manchmal erhaschten wir einen kurzen Blick auf unseren Vater, wenn er in einem Militärfahrzeug hektisch um uns herumkurvte. Dann blickten wir mit zwiespältigen Gefühlen in den Staub, der alles in dichte Wolken hüllte, und fragten uns, wann wir ihn wohl das nächste Mal zu Gesicht bekämen. Er schien uns kaum oder eigentlich überhaupt nicht wahrzunehmen. Natürlich kränkte es mich ein bisschen, dennoch wusste ich, dass er für all jene tausend Schüler und Schülerinnen wie für seine eigenen Kinder fühlte und sorgte. Ihm war es das höchste Gebot, sie alle unversehrt an einen geschützten Ort zu bringen, wo es Hoffnung und Sicherheit für sie gab.

      31 Hu Zhiwei: „Interview mit General Sun Yuanliang“, Taipei, «Biographical Literature» Juli/2007

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