Der Mächtige Strom. Chi Pang-yuan

Der Mächtige Strom - Chi Pang-yuan


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ob Natur oder Landwirtschaft, alles gedieh auf üppige Weise. In meinem langen Leben habe ich viele Reisen unternommen und so einiges von der Welt gesehen, doch kaum habe ich einen Ort gefunden, wo es größere, saftigere Rettichrüben und schmackhafteren Chinakohl gab als dort. Bevor die Gewalt des Krieges diese Gegend erreichte, war das Leben in Hunan einfach und friedlich. Man lebte dort in einer Idylle, beinahe als wäre man vom Rest der Welt abgeschnitten, genauso wie das schöne Fleckchen Erde, das im Roman „Die Grenzstadt“ von Shen Congwen als die Heimat der hübschen Jade (Cuicui) beschrieben wird.

      Die Gedenkschrift zum 50. Jubiläum der Zhongshan-Schule enthält einige Artikel, die alle von ihrer Zeit in Yongfeng erzählen. Im Zuge unserer langen Flucht, die uns häufig mit schwerwiegenden Hindernissen konfrontierte, erinnern wir uns gern an Xiangxiang und Yongfeng als eine ganz besondere Station, die zum Synonym wurde für eine bezaubernde Landschaft und eine gute Zeit der Lebensversorgung – wir, als Jugendliche, fühlten uns einfach sicher und genossen die Sorglosigkeit!

      Am 21. Oktober 1938 waren die japanischen Truppen in der Bucht von Dapeng gelandet. Von dort aus besetzten sie die Hafenstadt Guangzhou (Kanton), um China von einem seiner wichtigsten Häfen zu isolieren und somit dringend benötigte Lieferungen von Kriegsmaterial zu blockieren. Im Zuge dessen setzten die Japaner die Stadt von verschiedenen Seiten aus in Brand. Die Feuer breiteten sich schnell aus und innerhalb weniger Stunden waren weite Teile der Stadt in einem Meer aus Flammen versunken. Im November des Jahres wurde Changsha, basierend auf einer falschen Information, von der eigenen, in Panik geratenen Kommandantur gemäß der „Politik der verbrannten Erde“ in Brand gesetzt. Am 27. Oktober wurde Chongqing offiziell zum neuen Regierungssitz der Republik China erklärt. Eine Woche zuvor hatte Chiang Kai-Shek in einem offenen Brief „An die Bevölkerung und Soldaten Chinas“ den Befehl zur endgültigen Evakuierung Hankous bekannt gegeben. Zugleich beschwor er die Nation, sich als eine große Einheit im Widerstandskrieg zusammenzuschließen, gemeinsam vom Südwesten aus zu kämpfen und keinesfalls aufzugeben: „China wird niemals kapitulieren!“ I

      Bis zu diesem Zeitpunkt hatte China schon ein Jahr und drei Monate lang erbitterten Widerstand gegen die japanischen Aggressoren geleistet. Somit hatte sich die kühne Prophezeiung des japanischen Militärs, China binnen drei Monaten in die Knie zu zwingen, als offenkundig wahnwitziges Versprechen entlarvt, das es dem Tenno und dem japanischen Volk gegenüber abgegeben hatte, um deren Einvernehmen für eine militärisch erzwungene Expansion zu erwirken. In ihrer Siegesgewissheit hatten sie es jedoch versäumt, sich hinlänglich über die geographischen Verhältnisse und die Zugänglichkeit des Terrains zu informieren. Vor allem der Südwesten Chinas präsentierte sich den japanischen Truppen als ein weit größeres geologisches Mysterium, als sie es sich je hätten vorstellen können, und wurde ihnen als solches schließlich zum Verhängnis. Die unwegsame Gebirgsregion mit ihren unzähligen Schluchten, reißenden Flüssen und dichten Wäldern brachte die militärischen Vorstöße der Japaner immer wieder zum Erliegen. Millionen von Soldaten der japanischen Streitkräfte waren über einen Zeitraum von acht Jahren in diesem mörderischen Unterfangen eingeschlossen. Hunderttausende fanden nie mehr den Weg zurück in ihre Heimat und starben einsam in der Fremde.

      Die unbeschwerte Zeit und das trügerische Gefühl von Sicherheit, die ich während unseres Aufenthaltes in der Provinz Hunan erleben durfte, erscheinen mir heute wie ein Wimpernschlag. Während ich die Schule in Changsha besuchte, wurde die Lage in der Provinz zunehmend brenzliger, da die japanische Armee stetig vorrückte und einen Zangenangriff auf Hunan vorbereitete. Mein Vater hatte bereits vor meiner Rückkehr nach Yongfeng die erneute Evakuierung der Zhongshan-Schule organisiert. Meine Mutter, die sich inzwischen wieder hinlänglich von ihrer langen Krankheit erholt hatte, trieb uns Kinder zur Eile an, bis wir alle unsere Habseligkeiten gepackt hatten. Zunächst fuhren wir in einem Zug der kurz zuvor fertiggestellten Xianggui-Eisenbahnlinie, welche die Provinzen Hunan und Guangxi miteinander verband. Wir hatten den Zug in Hengyang bestiegen und fuhren Richtung Süden bis nach Guilin, der Provinzhauptstadt von Guangxi. Damals ahnten wir noch nicht, dass uns die Reise noch weiter westwärts über die Provinz Guizhou nach Sichuan weiterführen würde. Ja, auch dieses Mal hielten wir das kleine Lichtlein hoch und freuten uns daran, anstatt auf die Dunkelheit zu schimpfen. Als wir Guilin erreichten, hofften wir tatsächlich noch, dass wir dort für längere Zeit bleiben könnten, und so meldeten meine Eltern mich gleich bei der städtischen Mädchenschule an, wo ich die erste Klasse der Mittelschule besuchte. Wir waren dankbar für jeden einzelnen Schultag, an dem ich den Unterricht besuchen konnte, denn ein Tag mit schulischer Bildung war besser als einer ohne. Während ich im Internat der Schule untergebracht wurde, bezog meine Familie ein paar Zimmer in einer kleinen Pension. Mein Schulbesuch währte gerade mal eineinhalb Monate während des Wintersemesters.

      Während jener Tage gab es zwei Vorkommnisse, die für mich nur schwerlich zu vergessen sind. Bei schönem Wetter und klarem Himmel kamen die japanischen Bomber immer tagsüber. Sobald das Heulen der Sirenen begann, rannten wir, angeführt von einigen älteren Schülerinnen der Oberstufe, zu einem nahegelegenen Flussufer am Stadtrand. Dort versteckten wir uns dann im Schatten der Trauerweiden. Aus dem Schutze der Bäume heraus konnten wir beobachten, wie die Flugzeuge schnell näher kamen und mit bedrohlichem Getöse direkt über unsere Köpfe hinwegdonnerten. Im Schein der Sonne waren die glänzenden Bomben gut zu erkennen, die wie Perlen an einer Kette herunterfielen. Wir hörten das bösartige Pfeifen der Geschosse, während sie auf die Stadt zurasten, Sekunden später folgten die ohrenbetäubenden Explosionen und über der Stadt stiegen schwarzgraue Rauchschwaden auf. Die Luft war erfüllt mit dem Geruch von Feuer und Tod … danach war Stille! Nur das leise Plätschern des Li-Flusses war zu hören, der vollkommen unbeeindruckt dahin- und weiterfloss.

      Manchmal fanden die Luftkämpfe sogar direkt über uns statt. Wie die Bussarde meiner Heimat ihre Beute jagten, so verfolgten sich die chinesischen und japanischen Flieger. Dicht auf dicht flogen sie ihre gegenseitigen Attacken, während sie sich unentwegt mit den Bordgeschützen beschossen. Das Kreischen der Motoren und die knatternden Salven der Maschinengewehre versetzten uns in Angst und Schrecken. Vor lauter Anspannung wagten wir kaum noch zu atmen, doch jedes Mal, wenn ein Flugzeug mit dem „roten Zeichen der aufgehenden Sonne“ abgeschossen wurde, dann brachen wir in lauten Jubel aus und applaudierten, bis uns die Hände brannten. Einmal war eine feindliche Maschine ganz in unserer Nähe abgestürzt. Trotz aller Gefahren eilten wir zur Absturzstelle und bejubelten gemeinsam mit anderen Schaulustigen das Unglück. Es war ein unbeherrschter Moment der Freude, denn jeder einzelne Gegner, der zu Tode kam, erschien uns wie ein Funken Hoffnung.

      Dann warteten wir darauf, dass die Sirenen mit einem langen Dauerton die Entwarnung signalisierten und wir wieder ins Wohnheim zurückkehren konnten. Ich kann mich noch gut erinnern, dass eine der älteren Schülerinnen in solchen Momenten immer begann, mit heller Stimme ein bestimmtes Lied zu singen: „Jeden Tag wasche ich mich im Wansha-Fluss, und liebestrunken zähle ich die Tage bis zu deiner Wiederkehr …“ Obwohl noch ein junges Mädchen, war ich dennoch schon alt genug, um ihre Beweggründe zu verstehen. Trotzdem fand ich es entsetzlich, ein derart „dekadentes Lied“ hören zu müssen, während am Himmel der Krieg tobte.

      Das zweite Vorkommnis, das ich niemals vergessen habe, bezieht sich auf das Wohnheim der Mädchenschule. Dort herrschten strenge Regeln, und eine davon lautete: Ab 21:00 Uhr herrscht Bettruhe! Dazu wurde das elektrische Licht ausgeschaltet, das bedeutete für uns Schülerinnen: Wer nachts zur Toilette wollte, musste einen langen Portikus entlanglaufen, in dem nur zwei oder drei große Öllampen hingen, deren Dochte jedoch soweit heruntergedreht waren, dass sie nur ein schwaches Licht erzeugten. Dieser Laufgang war auf einer Seite von hohen tempelartigen Säulen flankiert und somit nach außen hin geöffnet. Sobald es etwas windiger war oder ein heftiger Regen fiel, warfen die Lampen unruhig flackernde Schatten in die Dunkelheit. Das war wirklich unheimlich und ich gruselte mich ganz schrecklich! Ganz egal, wie dringend ich zur Toilette musste, ich wartete immer so lange, bis eines der anderen Mädchen aufstand, um dann mit ihr zusammen dorthin zu gehen. Diese tanzenden Schatten habe ich bis jetzt noch lebendig vor Augen, wie eine Horrorvision, und das Gefühl der Angst ist noch immer so gegenwärtig, als wäre es erst gestern geschehen.

      Meine lebhafte Fantasie wurde durch meine Mitschülerinnen auch noch richtig angeheizt, denn es war ein beliebter Zeitvertreib, sich


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