Seewölfe Paket 24. Roy Palmer

Seewölfe Paket 24 - Roy Palmer


Скачать книгу
schon dunkel war? Oder war es noch heller Tag? Auch diese Frage, die er sich immer wieder stellte, ließ sich nicht beantworten, weil jeder Orientierungspunkt fehlte.

      Sicher war es schon dunkel da draußen in der warmen, gemütlichen Welt. Und sicher würden sie jetzt um ein Feuerchen hocken, Wein trinken und zu Abend essen. Langusten vielleicht, wie er so nebenbei mitgekriegt hatte.

      Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, wenn er nur daran dachte. Und er hockte in dieser lausigen Höhle, kämpfte ums nackte Überleben und hatte nichts zu beißen, ganz zu schweigen von einem erfrischenden Getränk.

      Das verbitterte ihn, und er preßte wütend die Lippen zusammen, bis sie nur noch schmale Striche waren. Kein Mensch kümmerte sich um ihn, sie vermißten ihn vielleicht nicht einmal, was ihn wiederum mit heillosem Zorn erfüllte.

      Wer war er denn, daß man ihn einfach so überging!

      Nach einer weiteren Ewigkeit ahnte er, daß er doch wohl den falschen Weg eingeschlagen hatte und sich immer tiefer in das Höhlensystem verirrte.

      Erbittert verhielt er und sah sich zum hundertsten Male um. Nein, das war der falsche Weg, da war er sich ganz sicher. Hier ging es nur noch tiefer in das endlos scheinende Labyrinth hinein. Wenn er sich in diese Richtung weiterbewegte, fand er nie mehr heraus.

      Er schlug einen letzten dünnen Stalaktiten ab und bildete ein Kreuz mit den Zapfen. Verdammt, sein Holzbein nahm auch ganz rapide ab, da war nicht mehr viel übrig. Den größten Teil der Späne hatte er bereits verbrannt.

      „So, Schluß jetzt“, knurrte er. „Hier ist die Fahnenstange zu Ende. Jetzt geht’s achteraus.“

      Anhand der Bruchstücke orientierte er sich jetzt und begab sich auf den Rückweg. Er beglückwünschte sich insgeheim zu der Idee mit den Stalaktiten, die für ihn einfach „Zapfen“ waren. Wenn er sich hier umsah, hätte er den Rückweg nie gefunden, denn immer wieder gab es Nischen, Kammern und Irrgärten in verwirrender Zahl.

      So kroch er zurück, stundenlang, wie ihm schien, bis er das Ende oder den Anfang seiner Markierungen erreicht hatte. Da blieb er und zerschlug einen weiteren Stalaktiten. Aus den Bruchstücken und Splittern baute er ein Zapfenhäufchen, sozusagen als das Zentrum seiner Erkundungsgänge.

      Er merkte sich alles gut, nickte wie zur Bestätigung und unternahm den nächsten Vorstoß in eine andere Richtung.

      Old O’Flynn gab nicht auf, hartnäckig und zäh suchte er weiter nach dem Ausgang. Wieder kam er an Gestalten aus Alpträumen vorbei, die ihn angrinsten oder zu verschlingen drohten. Aber den vertrackten Hexenmeister fand er nicht mehr, oder der hatte sich heimlich in Luft aufgelöst, um ihn an der Nase herumzuführen. Auch der orgelspielende Riese mit dem versteinerten Chor war nirgendwo zu entdecken, sosehr er auch suchte.

      Einmal, es mußte jetzt schon sehr spät sein, landete er in einer weiteren Kathedrale. Da konnte er auch hoch über sich an einer unerreichbar fernen Decke die seltsamsten Gebilde sehen. Wie Eiszapfen hingen sie da zu Hunderten von der Decke.

      Er zog vorsichtshalber das Genick ein, denn dieser Bau war ihm nicht geheuer. Wenn ein paar der „Zapfen“ dort herabfielen, konnten sie ihn glattweg erschlagen.

      Mal richtete er sich zu voller Größe auf, drückte das Kreuz durch und entspannte seine verkrampften Muskeln.

      Langusten gibt es jetzt, Wein oder Bier, dachte er sehnsüchtig, und er konnte sich die Langusten in seiner Phantasie ausmalen. Da gab es ja wahrhaftig ein paar Dinger, die so ähnlich aussahen und auch so lange Fühler hatten. Auch farblich stimmten sie überein.

      Aber das alles nutzte ihm nichts, denn die Höhle gab nichts zu beißen her, und Trinkwasser fand er auch nicht. Er hatte es noch einmal an einem winzigen Becken versucht, aber das Zeug war wirklich nicht zu genießen und brannte ihm höchstens ein paar Löcher in den hungrigen Magen.

      Dann begann sein Herz plötzlich wie wild zu schlagen, denn jetzt sah er im schwachen Licht, daß der Boden in der Höhle sanft anstieg.

      Noch schneller bewegte er sich vorwärts und wollte schon seinen Triumph wild hinausbrüllen. Der Boden stieg noch mehr an.

      Ha, das war der Ausgang – die Rutsche! Es kann gar nicht anders sein, dachte er freudig.

      Als er übergangslos vor einer bizarr gemusterten Wand stand, blickte er verwirrt hoch. Es war tatsächlich eine Wand, und die versperrte ihm den weiteren Weg. Er sah nach rechts und nach links. Auch dort ragten die Wände steil in die Höhe.

      Aus! Es ging nicht mehr weiter. Die Höhle war zu Ende. Da war auch keine Rutsche, da war nur der Fels mit den Zapfen, Nischen und Spalten.

      Der Alte nahm die Überreste seines Holzbeines und kriegte fast einen Tobsuchtsanfall. Wütend Warf er den ganzen Krempel auf den Boden und fluchte wie ein Rohrspatz.

      „Himmel, Arsch und Zapfenscheiß!“ tobte er. „Jetzt langt es aber endgültig!“

      Als er sich ein wenig beruhigt hatte, kehrte er wutgeladen zu seinem „Zapfenzentrum“ zurück und starrte mißmutig auf den Boden.

      Eine feine Höhle war das! Die hatte zwar einen Eingang, aber der verschloß sich auf sehr mysteriöse Weise, sobald man wieder hinauswollte. Jetzt hielt ihn die Höhle gefangen, wahrscheinlich für den Rest seines Lebens. Vielleicht existierte er auch gar nicht mehr und war verwunschen. Bis hier wieder jemand in die Höhle fiel, konnten tausend Jahre oder mehr vergehen, überlegte er grimmig.

      Was jetzt? Er war hungrig, durstig und spürte auch eine bleierne Müdigkeit in den Knochen. Sollte er hier herumhocken und womöglich noch Wurzeln schlagen wie jene geheimnisvollen Gestalten mit ihren langen steinernen Bärten?

      No, Sir, er würde sich hinlegen und ein paar Runden schlafen. Wenn er dann erwachte, konnte es noch einmal losgehen. Er hatte nur das lausige Gefühl, daß er nie mehr aufwachen würde, sobald er erst einmal schlief. Ganz sicher eilte dann der verdammte Hexenmeister lautlos herbei und ließ ihn ebenfalls zu Stein erstarren.

      Wenn ihn dann jemand fand, konnten sie ihn mitnehmen und im fernen England im Garten aufstellen. Dann würden die lieben Kleinen ihren Vater gebührend bestaunen können. Und auch seine Enkelchen konnten später mal stolz verkünden, daß sie einen Opa aus Stein hätten. Aber für die Ewigkeit würde er erhalten bleiben, Jahrtausende, wenn nicht noch länger.

      Mit diesen krausen Gedanken schlief er ein. Neben ihm verlosch der Span mit einem letzten Glimmen.

      Aber offenbar versteinerte Old O’Flynn nicht, sonst hätte sein fürchterliches Schnarchen mit Sicherheit aufgehört.

       9.

      Hoch über ihm ging es weitaus lustiger zu. Es war auch noch nicht so spät, wie Old O’Flynn geschätzt hatte. Aber hier oben gab es auch keine Wurzelmänner und Kalbsköpfe.

      Alles war bis zum späten Nachmittag fertig geworden. Die Männer hatten Enormes an Arbeit geleistet, und jetzt sollte das auch gebührend gefeiert werden.

      Gunnhild, Gotlinde und Mary O’Flynn hatten auf der Südseite der Bucht ein großes Feuer entzündet und die Langusten zubereitet.

      Jetzt wurde „getafelt“, als sich alle um das Feuerchen versammelt hatten.

      Sie hatten auch frisches Brot gebacken, dazu gab es Wein, der noch aus den requirierten Fässern der spanischen Galeonen stammte, die sie aufgebracht hatten.

      Jean Ribault war zufrieden, daß unter der fachmännischen Beratung des alten Hesekiel alles so prächtig geklappt hatte. Morgen konnte die „Golden Hen“ aufgeslippt und ihr das neue Ruder verpaßt werden. Dann war die Welt auch wieder in Ordnung.

      In der Bucht plätscherten kleine Wellen an den Strand. Der Abend war lau und samtig, und es herrschte Stille bis auf die Unterhaltungen der Männer.

      Bisher hatte noch niemand Old O’Flynn vermißt, denn bei der ganzen Hektik war sein Verschwinden nicht weiter aufgefallen.

      Jetzt, da man


Скачать книгу